Öffentliches Recht

Völkerrecht

Umweltvölkerrecht

Schädigungsverbot: Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbelastungen I

Schädigungsverbot: Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbelastungen I

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schweinchenstaat S führt Abwässer in den Grenzfluss zu Nachbarstaat N ab. Die Wiederaufbereitung ist S zu aufwändig. Der Fluss ist Grundwasserquelle von Ns Bevölkerung; diese beklagt teils schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen. Auch am grenznahen Mangrovenwald zeigen sich bereits Schäden.

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Einordnung des Falls

Schädigungsverbot: Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbelastungen I

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Kann S in Ausübung seiner Gebietshoheit die Abwässer auf seiner Seite des Grenzflusses beliebig abführen?

Nein!

Bei Schädigungen grenzübergreifender Ressourcen verletzt der schädigende Staat in Ausübung seiner territorialen Souveränität die territoriale Integrität eines anderen Staates. Damit besteht eine Kollision der Souveränitätsausübung verschiedener Staaten. Einen Ausgleich dieser kollidierenden Rechte bezweckt das Verbot der erheblichen grenzüberschreitenden Umweltschädigung (kurz Schädigungsverbot). Als Geburtsstunde des Schädigungsverbots gilt der Trail-Smelter-Schiedsspruch von 1938, den die Völkerrechtspraxis bestätigend rezipiert. Der IGH hat die gewohnheitsrechtliche Geltung des Schädigungsverbots wiederholt anerkannt (z.B. im Corfu-Channel-Urteil oder Nuklearwaffen-Gutachten). Bestätigende Staatenpraxis kommt zum Ausdruck in Prinzip 21 der Stockholm-Deklaration und Grundsatz 2 der Rio-Deklaration.
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2. Stellen die teils schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen unter Ns Bevölkerung infolge der Verunreinigung durch S eine Umweltschädigung dar?

Genau, so ist das!

Umweltschädigungen erfassen jedenfalls objektiv negative Einwirkung auf die Umwelt, die die menschliche Lebensgrundlage unmittelbar verändern. Die toxischen Stoffe der Abwässer reichern sich im Grenzfluss an, werden von Ns Bevölkerung konsumiert und verursachen schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen. Diese Veränderung des menschlichen Lebens stellt eine relevante Umweltschädigung im Sinne des Schädigungsverbots dar.

3. Stellen die irreversiblen Schäden am Mangrovenwald eine Umweltschädigung dar?

Ja, in der Tat!

Umweltschädigungen erfassen jedenfalls objektiv negative Einwirkung auf die Umwelt . Jedoch ist umstritten, ob eine unmittelbare Veränderung der menschlichen Lebensgrundlage notwendige Voraussetzung ist (sog. antrophozentrischer Ansatz). Dagegen spricht, dass das Schädigungsverbot sich herleitet aus einem Ausgleich der Souveränität der Staaten, d.h. aus genuin zwischenstaatlichen und nicht individualschützenden Rechtssätzen. Der antrophozentrische Ansatz sieht sich auch erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten ausgesetzt, denn keine negative Einwirkung auf die Umwelt geht am Menschen als Teil derselben spurlos vorüber. Damit stellt jede objektiv negative Einwirkung auf die Umwelt eine relevante Umweltschädigung dar. Die durch die Abwässer verursachte beginnende Zerstörung des Mangrovenwaldes stellt eine relevante Umweltbelastung dar.

4. Haben die Schädigungen infolge der Abwasserverunreinigung durch S grenzüberschreitenden Charakter?

Ja!

Erst der grenzüberschreitende Charakter der Umweltschädigung provoziert die Kollision zwischen territorialer Souveränität und Integrität mehrerer Staaten. Umweltschädigungen haben grenzüberschreitenden Charakter, wenn sie jenseits des Staatsgebiets des emittierenden Staates auftreten. Beschränken sich Umweltbelastungen räumlich auf den emittierenden Staat, bleibt das Schädigungsverbot nach h.M. unanwendbar. Beide Umweltbelastungen - die an Ns Bevölkerung sowie die am Mangrovenwald - treten auf Ns Staatsgebiet und damit außerhalb des Staatsgebiets von Emittent S auf. Die Emissionen sind damit grenzüberschreitend

5. Verbietet das Schädigungsverbot jede grenzüberschreitende Umweltbelastung?

Nein, das ist nicht der Fall!

Nur erhebliche grenzüberschreitende Umweltbelastungen sind verboten. Unerhebliche Umweltschädigungen muss der belastete Staat hinnehmen. Diese Erheblichkeitsschwelle folgt aus dem Ausgleich zwischen kollidierenden Souveränitätsansprüchen, der dem Schädigungsverbot zugrunde liegt. Würde jede Umweltbelastung erfasst, bliebe die Gebietshoheit des emittierenden Staates gänzlich unberücksichtigt. Zur Bestimmung der Erheblichkeit bedarf es einer Abwägung zwischen einzelfallabhängigen Faktoren wie Beherrschbarkeit und Intensität der Umweltbelastung im belasteten Staat auf der einen Seite und den Interessen des belastenden Staates auf der anderen Seite.

6. Sind S's grenzüberschreitende Umweltschädigungen völkerrechtswidrig?

Ja, in der Tat!

Ein Völkerrechtsverstoß könnte aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Verbot der erheblichen grenzüberschreitenden Umweltschädigung (kurz: Schädigungsverbot) folgen. Dieses ist mit jeder negativen Einwirkung auf die Umwelt verletzt, die die territoriale Integrität des belasteten Staates unzumutbar beeinträchtigt. Die grenzüberschreitenden Umweltschädigungen zulasten von N, denen eine bloße Aufwandsersparnis zugunsten des S gegenübersteht, sind dem N bereits mangels berechtigten Interesses des S nicht zumutbar. Das Schädigungsverbot ist verletzt, ein Völkerrechtsverstoß liegt vor. Was aus der Völkerrechtswidrigkeit von S's Verhalten konkret folgt, richtet sich nach den Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit: N kann v.a. Einstellung der Verletzungshandlung (cessation) und daneben Wiedergutmachung (reparation) in Form der Wiederherstellung (restitution) oder des Schadensersatzes (compensation) verlangen.
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