Grundfall § 822 BGB

23. August 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

K schenkt ihrer Tochter eine Tasse unterm Weihnachtsbaum. V schaut wütend durchs Fenster hinein.

V verkauft und übereignet K eine besondere Tasse, die anderweitig nicht mehr zu beschaffen ist. Diese schenkt K ihrer Tochter T zu Weihnachten, zusätzlich zu weiteren Geschenken. Falls K die Tasse nicht von V gekauft hätte, hätte sie es bei den übrigen Geschenken für T belassen. Später ficht V den Kaufvertrag wirksam wegen Inhaltsirrtums an (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB), weswegen der Kaufvertrag nichtig ist (§ 142 Abs. 1 BGB). Kann V die Tasse von T herausverlangen?

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Einordnung des Falls

§ 822 BGB ermöglicht einem Bereicherungsgläubiger den Durchgriff auf einen Dritten, wenn dieser den Bereicherungsgegenstand unentgeltlich vom eigentlichen rechtsgrundlosen Empfänger erhalten hat und Letzterer deshalb entreichert ist. § 822 BGB dient der Korrektur eines unbilligen Ergebnisses von § 818 Abs. 3 BGB: Wenn sich jemand erfolgreich auf den Wegfall der Bereicherung beruft (§ 818 Abs. 3 BGB), weil die Sache nicht mehr in seinem Eigentum ist, und er auch kein Surrogat dafür erhalten hat, geht der Gläubiger einer Kondiktion leer aus. § 822 BGB schafft hier Abhilfe.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat einen Anspruch auf Herausgabe der Tasse gegen T nach § 816 Abs. 1 S. 2 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 2 BGB setzt eine wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten voraus. K war zum Zeitpunkt der Schenkung (Verfügung) Eigentümerin. Als Eigentümerin der Tasse war K aber berechtigt, ihr Eigentum zu übertragen. K tätigte die Verfügung also als Berechtigte. Ein Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 2 BGB scheidet aus.
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2. Es kommt ein Anspruch aus § 822 BGB in Betracht.

Ja!

Der Anspruch aus § 822 BGB setzt voraus, dass der (1) Kondiktionsgläubiger gegen den ersten Empfänger einen Bereicherungsanspruch hat. Zudem muss der (2) erste Empfänger einem Dritten das Erlangte unentgeltlich zugewandt haben. Zuletzt muss (3) aufgrund der Zuwendung des ersten Empfängers der Bereicherungsanspruch des Gläubigers gegen den Erstempfänger ausgeschlossen sein.

3. V hat gegen K dem Grunde nach einen Bereicherungsanspruch.

Genau, so ist das!

K hat ohne Rechtsgrund (nichtiger Kaufvertrag wegen Anfechtung, § 142 Abs. 1 BGB) das Eigentum an der Tasse durch Leistung des V erworben. Der Kondiktionsgläubiger V hat gegen den ersten Empfänger K somit einen Anspruch auf Herausgabe aus Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

4. K hat T etwas unentgeltlich zugewandt (§ 822 BGB).

Ja, in der Tat!

Die erste Empfängerin K hat die Tasse der T aufgrund einer Schenkung übereignet.

5. K hat T die Tasse geschenkt. Hat V dennoch einen Bereicherungsanspruch aus Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) gegen K (siehe § 818 BGB)?

Nein!

An sich besteht eine Leistungskondiktion des V gegen K. Allerdings ist infolge der Verfügung an T der Bereicherungsgegenstand bei K ersatzlos weggefallen. Die Leistungskondiktion ist deshalb ausgeschlossen, da K nicht mehr bereichert ist (§ 818 Abs. 3 BGB). Durch das Verschenken der Tasse an T hat K nämlich keine sonstigen Kosten erspart, weil sie es sonst bei den übrigen Geschenken an T belassen hätte. Auch ist K nicht etwa bösgläubig im Sinne des § 819 Abs. 1 BGB, da K den Irrtum des V nicht kannte (§ 142 Abs. 2 BGB). Die Voraussetzungen des § 822 BGB liegen damit vor.

6. Vs Anspruch aus § 822 BGB besteht. Hat T die Tasse an K herauszugeben, damit diese den Anspruch auf Herausgabe gegen V erfüllen kann?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch aus § 822 BGB setzt voraus, dass der (1) Kondiktionsgläubiger gegen den ersten Empfänger einen Bereicherungsanspruch hat. Zudem muss der (2) erste Empfänger einem Dritten das Erlangte unentgeltlich zugewandt haben. Zuletzt muss (3) aufgrund der Zuwendung des ersten Empfängers der Bereicherungsanspruch des Gläubigers gegen den Erstempfänger ausgeschlossen sein. Die Voraussetzungen sind hier erfüllt. T hat die Tasse direkt an V herauszugeben (Direktkondition).
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