Rücktrittshandlung 3
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A dreht er alle Gashähne in seiner Wohnung auf, um sich zu töten. Kurz darauf wird ihm klar, dass auch andere Menschen im Mehrfamilienhaus zu Schaden kommen können. Zunächst billigte er dies. Kurz darauf ändert er aber seine Meinung und ruft die Polizei. Die Hähne lässt er offen. Die Polizei nimmt den Anruf nicht ernst und rückt nicht aus. Der Erfolg bleibt dennoch aus, da sich das Gas zu schnell verflüchtigt.
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Einordnung des Falls
Rücktrittshandlung 3
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Es liegt ein versuchter Totschlag durch Unterlassen (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB) vor.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. A hat nach der Rechtsprechung die Tatvollendung verhindert (§ 24 Abs. 1 S. 1 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
3. A hat nach der Rechtsprechung die Anforderungen des § 24 Abs. 1 S. 2 StGB eingehalten.
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Raphaeljura
28.8.2023, 03:06:39
Also das ist ja alles sehr wacklig argumentiert. Wir wissen ja nicht, welche Rettungsmöglichkeit er für am besten geeignet hielt. Ma könnte zwar schon annehmen, dass man lebensnah die Hähne abstellt um eine Vollendung abzuwenden. Auf der anderen Seite hielt er den Anruf für gut geeignet, sonst hätte er ja nicht angerufen. Außerdem gilt das Argument Opferschutz, und dann sind solche hohe Anforderungen kontr
aproduktiv.
Primitiver Lurch
14.4.2024, 13:33:51
Ist bei diesem Sachverhalt nicht ein Begehen durch
aktives Tunnaheliegend? Schließlich wendet der Täter Energie auf, um die Gashähne überhaupt erst aufzudrehen. Auch der Schwerpunkt der
Vorwerfbarkeitkann doch durchaus dem Aufdrehen der Hähne zugeordnet werden?
Timurso
14.4.2024, 16:50:05
Finde ich auch. Zudem würde es beim Unterlassen auch am
Vorsatzfehlen, da er die Vollendung in dem Zeitpunkt des Unterlassens ja gar nicht mehr will.
Leo Lee
15.4.2024, 13:59:47
Hallo Primitiver Lurch und Timurso, vielen Dank für eure Feedbacks! In der Tat könnte man meinen, es liege eher ein Tun nahe, da der Täter zunächst erstmal Energie aufwendet, um die Gashähne aufzudrehen. Dieser Einwand ist auch nachvollziehbar. Beachte allerdings, dass hier zunächst zwei verschiedene Phasen vorliegen. Der Täter dreht zunächst auf, um sich SELBST zu töten und hat dabei keinen
Vorsatzbzgl. anderer Menschen (ihm fällt dies erst später auf, als die Handlung schon vorbei ist); weiterhin ist diese „Tat“ auch überhaupt nicht strafbar, da die Selbsttötung nicht bestraft wird in Deutschland. Mithin ist einzig tauglicher Anknüpfungspunkt bzgl. unseren Täters das Nichtabdrehen, denn nur bzgl. dessen hat der Täter das Bewusstsein und auch den
Eventualvorsatz, dass andere Menschen verletzt werden könnten (wie erwähnt gibt es zuvor überhaupt keine Tat, weshalb auch kein Begehen durch Tun vorliegen kann). Erst durch das Nichtabdrehen trotz Erkennens der Gefahr für andere Menschen liegt eine taugliche Tat durch Unterlassen vor. Man könnte insoweit auch von einer „Zäsur“ sprechen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo