„Passauer Giftfalle“

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Examensklassiker
besonders examenstauglich

Bei Apotheker T wurde in letzter Zeit mehrfach nach Ladenschluss (20 Uhr) eingebrochen. Aus Frust stellt er nach dem Mittagessen mit Tötungsvorsatz eine mit tödlicher Menge vergiftete Flasche Bier auf, davon ausgehend, dass die Einbrecher in der Nacht davon trinken. Er informiert auch die ermittelnden Polizeibeamten, um diese nicht zu gefährden. Diese überreden ihn daraufhin, das Gift zu entfernen, was T noch am selben Nachmittag tut.

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Einordnung des Falls

„Passauer Giftfalle“

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch eines Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 12 Abs. 1, 212 Abs. 1 StGB).
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2. T hat „Tatentschluss“ bezüglich eines Totschlags.

Ja, in der Tat!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T nimmt billigend in Kauf, dass ein Mensch stirbt. Er hatte also Vorsatz in Bezug auf die Tatbestandsverwirklichung.

3. Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB).

Ja!

Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen.

4. T hat nach dem BGH durch das Hinstellen des vergifteten Getränkes „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.

Nein, das ist nicht der Fall!

Es ist eine Mitwirkung des Opfers zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich, womit dieser Fall mit denen der mittelbaren Täterschaft zumindest vergleichbar ist. Der BGH führt aus, dass ein unmittelbares Ansetzen in derartigen Fällen dann vorliege, wenn der Täter die Falle aufstellt und „das Opfer [sich] in den Wirkungskreis des vorbereiteten Tatmittels begibt“ (RdNr. 10). Dies richte sich aber nach der Tätervorstellung, wobei bei Sicherheit über das Erscheinen des Opfers bereits bei Abschluss der Tathandlung unmittelbares Ansetzen vorliegen solle. Ist das Erscheinen jedoch ungewiss, hänge es von der objektiven Bedingung ab, dass das Opfer tatsächlich erscheint.

5. Die Ansicht des BGH ist unumstritten.

Nein, das trifft nicht zu!

Es werden zur Lösung derartiger Sachverhalte unterschiedliche Ansätze vertreten, welche denen beim Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft ähneln. Die Entscheidung des BGH stößt insbesondere auf Kritik, da sie nicht mehr auf die Tätervorstellung abstellt, wie es § 22 StGB fordert, sondern auf den Eintritt objektiver Bedingungen. Auch sei eine Unterscheidung des Versuchsbeginnes danach, wie sicher der Täter über den Eintritt der Mitwirkungshandlung ist, falsch. Als Alternativlösung wird daher zum einen (1) vertreten, dass bei Abschluss aller Vorbereitungshandlungen die Versuchsschwelle überschritten ist. Eine andere Theorie (2) stellt auf das subjektive Vorstellungsbild ab und bejaht einen Versuch dann, wenn der Täter davon ausgeht, dass nun jederzeit der Taterfolg eintreten kann. Die Unterscheidung ist insbesondere dann relevant, wenn der Eintritt des Erfolges - für den Täter unfreiwillig - verhindert wird.

6. Nach derjenigen Ansicht, die den Abschluss aller Vorbereitungshandlungen für ausreichend hält, wäre ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen.

Ja!

Im bloßen Aufstellen der Falle liegt nach dieser Ansicht ein unmittelbares Ansetzen. Jegliche Folgehandlung des T wäre eine Frage des Rücktritts nach § 24 Abs. 1 S. 1 StGB.

7. Es läge auch nach derjenigen Ansicht ein unmittelbares Ansetzen vor, die über den Abschluss der Vorbereitungshandlung hinaus verlangt, dass der Täter nun jederzeit mit dem Erfolgseintritt rechnet.

Nein, das trifft nicht zu!

Diese Auffassung wird von einem beachtlichen Teil der Literatur vertreten. Erforderlich wäre eine unmittelbare Gefährdung des Opfers. Das ist vorliegend aber erst dann der Fall, wenn T mit einem möglichen Trinken der Flasche rechnet, mithin kurz nach einem möglichen Einbruchszeitpunkt. Folglich also frühestens nach 20 Uhr, da vorher nicht ernsthaft mit einem Einbruch und einer damit einhergehenden Gefährdung zu rechnen war.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

7.5.2021, 07:19:26

Im konkreten SV (anders vllt. im Fall vor dem BGH ist weder die Rede von einer konkreten noch Zeit noch von Nachtzeit im Allgemeinen. Ein Abstellen auf die Uhrzeit erscheint m. E. verfehlt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.5.2021, 19:45:57

Hallo lexderogans, der Ausgangsfall spielte tatsächlich ausschließlich in der Nacht. Wir haben ihn etwas angepasst, um noch deutlicher zu machen, dass mit einem Erscheinen des "Opfers" nicht zu rechnen ist, da bereits im Laufe des Tages das Gift entfernt wurde. Um den zeitlichen Ablauf nun noch deutlicher zu machen, haben wir den Fall aber noch um einige Zeitangaben ergänzt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Timo TeNkS

Timo TeNkS

9.5.2022, 17:25:46

Der Fall kam in der letzten Examenskampagne in BaWü dran. :)

Timo TeNkS

Timo TeNkS

9.5.2022, 17:26:32

Bzw das Problem.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.5.2022, 18:40:05

Danke für den Hinweis, Timo. Die

Passauer Giftfalle

ist tatsächlich ein echter Examensklassiker. Haben wir nun auch entsprechend getagged. Danke Dir :-) Beste Grüße, Lukas

CH1RON

CH1RON

13.5.2022, 12:43:12

„Die Ansicht des BGH ist unumstritten“ - pure gold

Jonas22

Jonas22

10.7.2023, 11:25:58

Super Aufgabe! Aber könntet ihr vielleicht noch ein paar Argumente für/gegen die jeweiligen Ansichten hinzufügen? Weil wenn die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, müsste in der Klausur ja auch argumentiert werden.

Charliefux

Charliefux

20.8.2024, 09:07:43

Die Idee finde ich auch ein Jahr später noch gut :)

MAG

Magnum

1.11.2024, 13:00:35

In der Lösung wird erläutert, dass der BGH danach differenziert, ob das Erscheinen des Opfers sicher ist. Sofern es sicher ist, läge das Ansetzen schon im Abschluss der

Tathandlung

. Das würde doch der zweiten dargelegten Meinung entsprechen, die den Abschluss aller Vorbereitungshandlungen fordert, oder? Wenn das Erscheinen unsicher ist, fordert der BGH ja dagegen das Eintreten des Opfers in den Gefahrenkreis. Diese Differenzierung leuchtet mir nicht ein. Der Abschluss der Vorbereitungshandlungen ist ja noch sehr weit entfernt von einer tatsächlichen Gefährdung des Opfers, das ja aber das Argument für die Differenzierung zu sein scheint. Insofern finde ich das Vorgehen des BGH widersprüchlich. Könnte mir da jemand auf die Sprünge helfen?

LELEE

Leo Lee

3.11.2024, 11:19:54

Hallo Magnum, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Vorab: Du liegst mit dem Gefühl, dass die zweite dargelegte Meinung und die Ansicht des BGH nah beieinanderliegen, völlig richtig. Der Unterschied (der zumindest nach der dargelegten Meinung behauptet wird), liegt aber in der Perspektive: Der BGH stellt darauf a, dass das Opfer sich objektiv in den Wirkungskreis des Täters sich begibt. D.h., dass erst dann unm. angesetzt wird, wenn die Täter auch eigentlich erscheinen und gerade dabei sind, das Bier zu trinken. Die zweite dargelegte Meinung ist in dem Aspekt, dass das Opfer sogleich gefährdet wird zwar deckungsgleich mit dem BGH. Allerdings betrachtet diese Ansicht das ganze Geschehen aus dem Blickwinkel des Täters. Hiernach ist also unerheblich, ob die Opfer tatsächlich dabei sind, das Bier zu trinken, solange der Täter nicht davon ausgeht, dass sie das tun werden. Anders gilt auch: Sobald der Täter mit dem Eintritt des Erfolgs rechnet, hat er unm. angesetzt, selbst wenn die Täter nicht erscheinen sollten (da hier die Vorstellung des Täters maßgeblich ist). Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 5. Auflage, Hoffmann-Holland § 22 Rn. 103 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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