Handlungen im Vorfeld der tatbestandlichen Ausführungshandlung / Zeitbombe


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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T möchte einen Anschlag begehen. Auf einem öffentlichen Platz platziert er eine Zeitbombe, welche in einer Woche explodieren soll. Er ist überzeugt, dass er in einer Woche eine Vielzahl von Leuten töten wird.

Einordnung des Falls

Handlungen im Vorfeld der tatbestandlichen Ausführungshandlung / Zeitbombe

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch eines Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

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Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 12 Abs. 1, 212 Abs. 1 StGB).

2. T hat „Tatentschluss“ bezüglich eines Totschlags.

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Ja, in der Tat!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist fest entschlossen mehrere Totschläge zu begehen.

3. T hat nach der Rechtsprechung bereits durch das Platzieren der Bombe „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.

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Ja!

Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB). Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt ein unmittelbares Ansetzen in derartigen Fällen dann vor, wenn die letzte Tathandlung begangen ist und für den Täter feststeht, dass der Erfolg eintritt, vergleichbar mit den Fallenstellerfällen. T hat die letzte Tathandlung abgeschlossen und ist überzeugt, dass er in einer Woche eine Vielzahl von Leuten töten wird. Es ist kein Unsicherheitsmoment gegeben.

4. Nach a.A. hätte T erst kurz vor der geplanten Explosion „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.

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Genau, so ist das!

Nach a.A. liegt ein unmittelbares Ansetzen erst dann vor, wenn der Erfolg nun jederzeit eintreten kann, mithin kurz vor Erfolgseintritt. Vorliegend wäre dies kurz vor Eintritt der Zündungszeit; auch in diesem Moment liegt erst eine unmittelbare Gefährdung für die Personen vor. Aus praktischer Sicht ist die Lösung des BGH einfacher zu begründen. Wird der Täter beim Legen der Bombe erwischt oder wird die Bombe vorzeitig entdeckt und entschärft, so bleibt der Täter straffrei, wenn er davon erfährt und erkennt, dass seine (Vorbereitungs-)Handlung ohne Erfolg bleibt. In der Praxis müsste die Polizei abwarten, bis die Bombe kurz vor der Explosion steht, bis sie T „festnehmen“ könnte. Auch stellt sich dann die Frage nach einer möglichen Notwehr, während die Bombe platziert wird.

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INDUB

indubiolaw

13.10.2022, 11:25:36

Wie unterscheidet sich das vom vorherigen Fall mit dem Gift? Verstehe das nicht so ganz

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.3.2023, 13:51:02

Hallo indubiolaw, in seiner Giftfallenentscheidung führt der BGH aus, dass der Täter nicht automatisch in das Versuchsstadium eintrete, wenn er - wie hier - bereits sämtliche für die Tatbestandsverwirklichung notwendigen Tatbeiträge erbracht hat. Vielmehr liege ein Angriff auf das geschützte Rechtsgut erst dann unmittelbar vor, wenn sich das Opfer in den Wirkungskreis des vorbereiteten Tatmittels begibt. (BGH NJW 1997, 3453 - https://opinioiuris.de/entscheidung/1450). Nun kommt der entscheidende Kniff des BGH. Ob sich das Opfer in den Wirkungskreis begibt, soll sich nach dem Tatplan richten. Ist das Erscheinen des Opfers gewiss, so soll bereits mit Abschluss der Tathandlung eine unmittelbare Gefährdung vorliegen und der Täter damit in das Versuchsstadium eingetreten sein. So liegt der Fall hier. Da es sich bei dem Anschlagsort um einen belebten Platz handelt, konnte T davon ausgehen, dass auch in einer Woche Besucher sich dort aufhalten würden. Anders dagegen im Giftfallenfall. Hier hielt es der Apotheker lediglich für möglich, dass das zukünftige Opfer (also der Einbrecher) auftauchen würde. In diesem Fall soll deshalb die unmittelbare Rechtsgutsgefährdung erst mit dem Erscheinen des Opfers vorliegen. Ob dies dogmatisch wirklich überzeugen kann, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt. Aber ich hoffe, die vom BGH vorgenommene Unterscheidung wird so noch etwas klarer. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

26.8.2023, 15:15:37

Den "Kniff" könntet ihr auch in dem Apothekerfall noch in den Erläuterungen aufnehmen bzw. das mit der objektiven Bedingung noch entsprechend erklären.


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