Aufrechnung und Klagerücknahme

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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K klagt gegen B auf Zahlung von €4.000. B erklärt nach Einreichung, aber vor Zustellung der Klage die Aufrechnung mit einer Forderung iHv. €2.000. Die Aufrechnungslage bestand bereits lange vor Erhebung der Klage. K nimmt die Klage daraufhin iHv. €2.000 zurück. Die Klage war bis zur Aufrechnung voll begründet.

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Einordnung des Falls

Aufrechnung und Klagerücknahme

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Kann K die Klage auch teilweise zurücknehmen?

Ja, in der Tat!

Dem Kläger steht es frei, seinen ursprünglichen Klageantrag in der Hauptsache zu beschränken (§ 264 Nr.2 ZPO). Da es sich dabei um einen Fall der „privilegierten“ Klageänderung handelt, müssen die Voraussetzungen des § 263 ZPO (Einwilligung/Sachdienlichkeit) nicht vorliegen. Sofern die mündliche Verhandlung noch nicht begonnen hat, ist die Einwilligung des Beklagten auch nicht nach § 269 Abs.1 ZPO erforderlich.
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2. Die Entscheidung in der Hauptsache ergeht nur noch über den nicht zurückgenommenen Teil der Klage.

Ja!

Der zurückgenommene Teil ist infolge der teilweisen Klagerücknahme nie anhängig geworden (§ 269 Abs.3 S.1 ZPO). Es ergeht darüber daher keine Hauptsacheentscheidung.Der zurückgenommene Teil ist allerdings bei den Kosten zu berücksichtigen!

3. Ergeht hier ein gesonderter Kostenbeschluss hinsichtlich der Kosten, die auf den zurückgenommenen Teil entfallen (§ 269 Abs.4 ZPO)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich ergeht im Fall der Klagerücknahme auf Antrag ein Kostenbeschluss nach § 269 Abs.4 ZPO. Allerdings ist bei einer nur teilweisen Klagerücknahme ein Teilkostenbeschluss unzulässig. Vielmehr ist über die Kosten des zurückgenommenen Teils im Urteil mitzuentscheiden. Es ergeht eine Kostenmischentscheidung, die teils auf § 269 Abs.3 ZPO und teils auf §§ 91, 92 ZPO beruht.

4. B hat den auf den zurückgenommenen Teil entfallenden Kostenteil gem. § 269 Abs.3 S.3 ZPO zu tragen, wenn er insoweit unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen unterlegen wäre.

Ja, in der Tat!

Wenn der Klageanlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen ist und die Klage daraufhin zurückgenommen wird, bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (§ 269 Abs. 3 S.3 ZPO). B muss den auf den zurückgenommenen Teil entfallenden Kostenteil gem. § 269 Abs.3 S.3 ZPO also dann tragen, wenn er bei streitiger Entscheidung unterlegen wäre.

5. Durch die nach Einreichung der Klage erklärte Aufrechnung des B ist der Klageanlass in Höhe des zurückgenommenen Teils der Klage entfallen und die Klage insoweit unbegründet geworden.

Ja!

Durch die erklärte Aufrechnung erlöschen die Forderungen, soweit sie sich aufrechenbar gegenüberstehen, gem. § 389 BGB. Die zuvor begründete Klageforderung erlischt daher iHv. €2.000, sodass die Klage insoweit unbegründet geworden ist.

6. Die Aufrechnung bringt die Forderungen ex tunc zum Erlöschen (§ 389 BGB). Hier standen sich die Forderungen lange vor Klageeinreichung aufrechenbar gegenüber. Folgt aus der Rückwirkungsfiktion, dass die Klage von Anfang an unbegründet war, sodass nicht B, sondern K die Kosten zu tragen hat?

Nein, das ist nicht der Fall!

Aufgrund der gesetzlichen Fiktion der Rückwirkung der Aufrechnungserklärung ist die Erfüllung bereits in dem Zeitpunkt eingetreten, als sich die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüberstanden (§ 389 BGB). Nach der hM ist die Rückwirkung der Aufrechnung nach § 389 BGB aber als lediglich materiell-rechtliche Fiktion für die prozessuale Frage des Wegfalls des Klageanlasses bedeutungslos. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung und nicht der Zeitpunkt, in dem sich die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüberstanden.Argumente: (1) Es ist die Erklärung der Aufrechnung und nicht die Aufrechnungslage, die das Erlöschen der Forderungen „bewirkt“. (2) Es ist auch nicht unbillig, dem Beklagten mit den Kosten zu belasten. Denn er hätte sofort nach vorprozessualer Zahlungsaufforderung die Aufrechnung erklären und insoweit die Klage unbegründet machen können.

7. B hat die Kosten des Rechtsstreits vollumfänglich zu tragen.

Ja, in der Tat!

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 iVm. § 269 Abs.3 S.3 ZPO. Hinsichtlich der noch bestehenden Klageforderung folgt die Kostentragungspflicht aus dem Unterliegen des B (§ 91 Abs.1 ZPO), da die Klageforderung des K voll begründet ist. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, hat der Beklagte auch den auf den zurückgenommenen Teil entfallenden Kostenteil gem. § 269 Abs.3 S.3 ZPO zu tragen. Ohne die Aufrechnung hätte er die Klage auch insoweit gewonnen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

frausummer

frausummer

6.9.2023, 14:48:44

Das „daher“ in der letzten Frage finde ich irreführend. Klar ist, dass B die Kosten zu tragen hat. Das „daher“ bezieht sich für mich aber auf die vorhergehende Frage und suggeriert, dass er aufgrund der erst nach Anhängigkeit erklärten Aufrechnung und eben nicht nach außergerichtlicher Aufforderung des Klägers gezahlt hat und deshalb die gesamten Kosten zu tragen hat.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.9.2023, 17:20:00

Hallo frausummer, zur Vermeidung von Unklarheiten haben wir das rausgenommen. Konkret bezog sich das „daher“ allerdings auf die Rückwirkungsfiktion. Weil diese nicht zur anfänglichen Unbegründetheit der Klage führt, muss B hier die Kosten der anfänglich begründeten und dann zurückgenommenen Klage tragen. Beste Grüße, Lukas

HME

Hilfloser Melancholiker

19.4.2024, 15:49:09

Verstehe nicht ganz, warum hier § 269 III 3 ZPO einschlägig ist... Der Anlass zur Klage fällt ja eigentlich doch erst mir der Aufrechnungserklärung weg. Mir ist klar, dass die Aufrechnung materiell auf den Zeitpunkt der erstmaligen Aufrechenbarkeit zurückwirkt. Aber so lange die Aufrechnung noch nicht erklärt wurde, hatte der Kläger prozessual ja einen "Anlass", die Klage zu erheben...

Nocebo

Nocebo

22.5.2024, 19:31:18

Das ist ja genau der Fall, den § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO regelt :) Wegfall des Anlasses zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit. Deshalb muss B die Kosten tragen. Bei einer "normalen" Klagerücknahme müsste ja ansonsten K die Kosten tragen. Da wäre dann eine Erledigungserklärung vorzugswürdig.

nboss

nboss

16.5.2024, 18:35:38

Hallo, ich verstehe nicht warum es bei der Kostentragungspflicht nicht auf die Rechtshängigkeit der Klage ankommt? Die Aufrechnung wurde doch vor Zustellung an den Beklagten erklärt? Der Eingang bei Gericht spielt doch eigentlich im Zivilrecht keine Rolle oder?

Nocebo

Nocebo

22.5.2024, 19:32:45

Die Rechtshängigkeit ist für die Kostentragungspflicht bei einer Klagerücknahme entscheidend :) Bei einer Rücknahme NACH Rechtshängigkeit muss grds. immer der Kläger die Kosten tragen, egal ob seine Klage begründet war/ist. Falls der Anlass also nach Rechtshängigkeit weggefallen ist und die Klage davor begründet war (wie bei einer späteren Aufrechnung), ist eine Erledigungserklärung zweckmäßig. Dagegen besteht bei einer Rücknahme VOR Rechtshängigkeit gem. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO schon von sich heraus die Möglichkeit, dass der Beklagte die Kosten tragen muss.


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