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Erbrecht

Gewillkürte Erbfolge

Erbvertrag - Bindungswirkung/ Vertiefung (Fall 2)

Erbvertrag - Bindungswirkung/ Vertiefung (Fall 2)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die tödlich verunglückte Unternehmerin U hatte ihren Bruder B durch formgültigen Erbvertrag zum alleinigen Erben bestimmt. Da U aber nicht zusehen konnte, wie ihre Schwester S verarmt, hat U ihr mit späterem Testament eine Villa vermacht. Ohne besonderen Anlass schenkte U der S kurz vor Us Tod zudem eine Luxusyacht.

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Einordnung des Falls

Erbvertrag - Bindungswirkung/ Vertiefung (Fall 2)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Vermächtnis der U ist wirksam.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 2289 Abs. 1 BGB sind frühere letztwillige Verfügungen aufgehoben, soweit sie das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würden. Eine Beeinträchtigung liegt beispielsweise vor, wenn der Bedachte durch eine andere Erbeinsetzung erbrechtlich zurückgesetzt oder durch eine Auflage oder ein Vermächtnis beschwert wird. Durch das Vermächtnis wird die Erbeinsetzung des B beschwert, sodass das Vermächtnis unwirksam ist.
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2. Die Schenkung der Luxusyacht an S ist wirksam.

Ja!

Die Bindungswirkung der vertragsmäßigen Verfügungen ist rein erbrechtlich und beeinträchtigt nicht das Recht des Erblassers, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden über sein Vermögen zu verfügen. Das bedeutet, dass dingliche Verfügungsgeschäfte des Erblassers wirksam sind, auch wenn sie beim Erbfall die Stellung des Bedachten beeinträchtigen. Die Schenkung der Luxusyacht an S ist somit wirksam.

3. B hat einen Bereicherungsanspruch gegenüber S aufgrund der beeinträchtigenden Schenkung.

Genau, so ist das!

Der Vertragserbe hat nach § 2287 BGB bei einer Schenkung in Beeinträchtigungsabsicht einen Anspruch auf Herausgabe des Geschenks gegen den Beschenkten. Nach Ansicht des BGH liegt diese bereits vor, wenn es dem Erblasser darum ging, wesentliche Teile seines Vermögens einem anderen als dem Vertragserben zuzuwenden, ohne dass es dafür ein billigenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers gab. Mit der Zuwendung der Luxusyacht wird der S ein wesentlicher Teil des Vermögens zugewendet ohne dass es dafür ein billigenswertes Eigeninteresse der U gab. Es liegt somit eine Schenkung in Beeinträchtigungsabsicht vor und B hat einen Anspruch gegen S auf Herausgabe des Geschenks (§ 2287 BGB). Nach seiner früheren Rechtsprechung hat der BGH strengere Anforderungen gestellt und verlangt, dass der Wille zu Beeinträchtigung das leitende Motiv des Erblassers darstelle und nicht die Begünstigungsabsicht gegenüber dem Beschenkten überwiege.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

11.11.2022, 14:38:49

Irgendwie erscheint mir das super fragwürdig, es muss ja eigentlich weiterhin möglich sein jedenfalls weitestgehend frei über das Vermögen zu verfügen. Außerdem ergibt sich für mich keine Beeinträchtigungsabsicht aus dem Sachverhalt..

Nora Mommsen

Nora Mommsen

12.11.2022, 12:39:55

Hallo imponderabilie, danke für deine Anmerkung. In der Tat erscheint das Ergebnis eines Erbvertrages auf den ersten Blick fragwürdig. Dies entspricht aber genau dem Willen des Gesetzgebers und unterscheidet den Erbvertrag auch massiv vom Testament. Dort hat der Erblasser bis zuletzt die Möglichkeit es zu ändern je nach Testamentsform. Die Beeinträchtigungsabsicht liegt nur dann nicht vor, wenn der Erblasser ein berechtigtes lebzeitiges Eigeninteresse an der Schenkung hatte. Dies ist eine hohe Hürde, die den § 2287 BGB zu einer strengen Hürde für den erbvertraglich gebundenen macht. Wer dem entgehen möchte, kann statt eines Erbvertrages seine letztwillige Verfügung in Form eines Testaments treffen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

MAT

Matschegenga

29.4.2024, 16:03:09

Der Gedanke hinter dieser Rechtsprechung ist nachvollziehbar: Eine Beeinträchtigungsabsicht des Erblassers wäre für den Vertragserben kaum beweisbar, die Bindungswirkung des Erbvertrags würde somit andernfalls unterlaufen. Die Beweislastumkehr, die durch die Auslegung des BGH in der Praxis vorgenommen wird, ist aber mit dem Wortlaut des § 2287 I BGB („Hat der Erblasser in der Absicht, den Vertragserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht…“) und der dadurch zum Ausdruck kommenden Entscheidung des Gesetzgebers mE unvereinbar.

CitiesOfJudah

CitiesOfJudah

4.8.2023, 13:53:31

Ich finde den Sachverhalt in Bezug auf die Beeinträchtigungsabsicht nicht sonderlich gelungen formuliert. Nur weil die U keinen speziellen Grund hatte, heißt das ja nicht automatisch, dass sie das Vermögen in Beeinträchtigungsabsicht verschenkt hat.

DIAA

Diaa

16.10.2023, 12:32:29

Dem ich stimme ich auch zu

DIAA

Diaa

16.10.2023, 12:32:48

Ohne das erste "ich" ****

Richter Alexander Hold

Richter Alexander Hold

20.12.2023, 12:28:11

Liebes Jurafuchs-Team, in der Antwort auf die erste Frage, ob das Vermächtnis der U wirksam ist, wird als Begründung für dessen Unwirksamkeit auf § 2239 I 1 BGB abgestellt. Hier hat U das Vermächtnis aber ja erst nach Abschluss des Erbvertrags angeordnet. Insofern müsste zur Begründung § 2289 I 2 BGB herangezogen werden, da es um eine „spätere Verfügung von Todes wegen“ geht.

L.G

L.Goldstyn

8.8.2024, 18:47:00

Ich nehme an, Du meinst, dass derzeit auf § 2289 I 1 BGB abgestellt wird, richtig aber § 2289 I 2 BGB wäre, oder? Da stimme ich Dir auf jeden Fall zu, vielen Dank für den Hinweis!

MAX

Max

9.1.2024, 23:18:53

Liebes Jurafuchs-Team, in welcher Entscheidung änderte der BGH seine Rechtsprechung und weshalb? LG😊 Max

Cosmonaut

Cosmonaut

16.1.2024, 18:06:00

Hallo Max, sinngemäß wiedergegeben, was MüKo, 2287, Rn. 11 ff. dazu sagt: Das Gesetz verlangt in § 2287 die Absicht zu beeinträchtigen. Absicht bedeutet den Willen des Handelnden, einen bestimmten Erfolg nicht nur zu wollen, sondern ihn zu seinem

Handlungsmotiv

zu machen. „Treibendes“

Handlungsmotiv

der Schenkung sollte daher nach fr. Rspr. sein, einen bestimmten Gegenstand seines Vermögens nicht dem Erben zukommen zu lassen. In der Praxis sind jedoch i.d.R. verschiedene Beweggründe für das Handeln des Schenkenden maßgebend (Beschenktem Freude machen, Gutes tun etc.). Dies macht es für den (beeinträchtigten) Vertragserben extrem schwierig, eine Benachteiligungsabsicht des (toten) Erblassers zu beweisen (muss er aber infolge der Beibringungsmaxime , § 282 ZPO). Gemeinsam und innerlich verbunden mit der Änderung seiner Auffassung zur „Aushöhlungsnichtigkeit“ im Jahr 1972, die bisher von ihm vertretene Meinung aufgegeben, dass die Absicht, dem Vertragserben die Vorteile der Erbeinsetzung zu entziehen oder zu schmälern, der eigentliche und leitende Beweggrund der Schenkung sein müsste. Erforderlich ist nunmehr nur, dass der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht hat. Ein solcher Missbrauch wiederum ist dann ausgeschlossen, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm vorgenommenen Schenkung hatte.

Cosmonaut

Cosmonaut

16.1.2024, 18:14:14

Hallo Max, sinngemäß wiedergegeben, was MüKo, 2287, Rn. 11 ff. dazu sagt: Das Gesetz verlangt in § 2287 die Absicht zu beeinträchtigen. Absicht bedeutet den Willen des Handelnden, einen bestimmten Erfolg nicht nur zu wollen, sondern ihn zu seinem

Handlungsmotiv

zu machen. „Treibendes“

Handlungsmotiv

der Schenkung sollte daher nach fr. Rspr. sein, einen bestimmten Gegenstand seines Vermögens nicht dem Erben zukommen zu lassen. In der Praxis sind jedoch i.d.R. verschiedene Beweggründe für das Handeln des Schenkenden maßgebend (Beschenktem Freude machen, Gutes tun etc.). Dies macht es für den (beeinträchtigten) Vertragserben extrem schwierig, eine Benachteiligungsabsicht des (toten) Erblassers zu beweisen (muss er aber infolge der Beibringungsmaxime , § 282 ZPO). Gemeinsam und innerlich verbunden mit der Änderung seiner Auffassung zur „Aushöhlungsnichtigkeit“ im Jahr 1972, hat der BGH die bisher von ihm vertretene Meinung daher aufgegeben, dass die Absicht, dem Vertragserben die Vorteile der Erbeinsetzung zu entziehen oder zu schmälern, der eigentliche und leitende Beweggrund der Schenkung sein müsste. Erforderlich ist nunmehr nur, dass der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht hat. Ein solcher Missbrauch wiederum ist dann ausgeschlossen, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm vorgenommenen Schenkung hatte (Abwägung und Gewichtung verschiedener Motive - gewohnt wertungsoffen ;). Bei der Aushöhlungsnichtigkeit ging es mE letztlich darum, weitreichende, lebzeitige Verfügungen des überlebenden Ehegatten zugunsten eines Dritten, welcher infolge eines Ehegatten-Testaments gerade nicht Erbe werden sollte, mit Verweis auf § 138 zu verbieten. 1972 folgte der BGH jedoch der hLit, die den Schutz des Bedachten als durch den Gesetzgeber bewusst eingeschränkt ansah. Im Interesse der Freiheit des Erblassers zur Vornahme von Rechtsgeschäften unter Lebenden wurde nunmehr also ein Missbrauch abgelehnt, soweit ein lebzeitiges Eigeninteresse an der Schenkung des Erblassers besteht. Nur wenn besondere Umstände hinzutreten, die ein solches Rechtsgeschäft als unvereinbar mit den guten Sitten kennzeichnen, ist ein solches Rechtsgeschäft nach § 138 nichtig (MüKoBGB/Musielak, 4. Aufl. 2004, BGB § 2271 Rn. 47, beck-online).

Cosmonaut

Cosmonaut

16.1.2024, 18:16:29

Entsprechende Entscheidungen waren: BGHZ 59, 343 (349 f.) = NJW 1973, 240; BGH WM 1973, 681; BGHZ 88, 269 (271) = NJW 1

984

, 121 mwN. * PS: Entschuldigt den Doppelpost; ich habe noch nicht rausgefunden, wie man versehentlich zu früh abgeschossene Posts bearbeitet.

lexspecialia

lexspecialia

9.8.2024, 17:00:56

liegt bei §2287 I BGB „nach den vorschriften über e herausgabe einer ungerechtfertigten beriecherung“ ein rechtsfolgenverweis oder rechtsgrundverweis vor

Paulah

Paulah

10.8.2024, 11:19:15

Das ist ein Rechtsfolgenverweis. Die Gründe, die die Rechtsfolge auslösen stehen im " 2287 I BGB.

LELEE

Leo Lee

11.8.2024, 10:07:42

Hallo lexspecialia, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Wie Paulah bereits richtigerweise angemerkt hat, liegt eine RechtsFOLGENverweisung vor, da die Voraussetzungen, die davor geprüft werden, einen fehlenden Rechtsgrund bereits verkörpern (und damit einen Rechtsgrundverweis, wo man dann auch den „ohne Rechtsgrund“ nochmal prüfen müsste, überflüssig machen). Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Musielak § 2287 Rn. 6 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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