Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Facebook Teil 1/2 – Wirksamkeit einer AGB-Änderung

Facebook Teil 1/2 – Wirksamkeit einer AGB-Änderung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Verbraucherin N wohnt in Wuppertal und nutzt seit 2014 das soziale Netzwerk F, welches auch in Deutschland zugänglich ist. F hat seine einzige EU-Niederlassung in Dublin. F strukturiert seine AGB vollständig um, um die Kommunikationsregeln zu präzisieren. In einem Pop-Up-Fenster klickt N auf „Ich stimme zu“. Nur so kann N ihr Konto weiter nutzen. N hält die AGB-Änderung für unwirksam und will am 11.8.2018 klagen.

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Einordnung des Falls

Facebook Teil 1/2 – Wirksamkeit einer AGB-Änderung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Frage, ob deutschen Gerichte international zuständig sind, bestimmt sich hier nach der EuGVVO.

Genau, so ist das!

Die internationale Zuständigkeit im Erkenntnisverfahren unterliegt der EuGVVO, wenn deren Anwendungsbereich eröffnet ist. Voraussetzungen sind (1) sachlich: Zivil- oder Handelssache (Art. 1 EuGVVO); (2) räumlich-persönlich: Beklagter hat seinen (Wohn-) Sitz – oder in Verbrauchersachen: eine Niederlassung (Art. 17 Abs. 2 EuGVVO) – in der EU; (3) zeitlich: Anhängigkeit der Klage nach dem 10.01.2015 (Art. 81 EuGVVO). Es geht um einen zivilrechtlichen Streit. F hat seine Niederlassung in Irland und damit der EU . Die Klage soll am 11.8.2018 und damit nach dem 10.01.2015 erhoben werden.
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2. Kann N die F vor deutschen Gerichten auf Feststellung der Unwirksamkeit der AGB-Änderung verklagen, obwohl F seine EU-Niederlassung in Dublin hat (Art. 18 EuGVVO)?

Ja, in der Tat!

Nach der EuGVVO kann ein Verbraucher kann wählen, ob er in seinem Heimatland oder im Land seines Vertragspartners klagt (Art. 18 Abs. 1 EuGVVO). N ist Verbraucherin. Ihr steht es insoweit frei in ihrem Heimatland zu klagen. Sofern es nicht um einen Vertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher geht, gilt in der EuGVVO wie in der ZPO grundsätzlich, dass der Kläger am (Wohn-) Sitz des Beklagten klagen muss (actor sequitur forum rei).

3. Das von den deutschen Gerichten anzuwendende materielle Recht bestimmt sich hier nach der Rom-I-VO.

Ja!

Die Frage welches materielle Recht anzuwenden ist, bestimmt sich nach der Rom-I-VO, wenn ihr Anwendungsbereich eröffnet ist. Voraussetzungen sind (1) vertragliches Schuldverhältnis mit Verbindung zum Recht verschiedener (auch Dritt-) Staaten (Art. 1 Abs. 1 Rom-I-VO) und (2) keine Bereichsausnahme (Art. 1 Abs. 2 Rom-I-VO); (3) Vertragsschluss nach dem 16.12.2009. (Art. 28 Rom-I-VO)Zwischen F und N besteht ein Nutzungsvertrag. Eine Bereichsausnahme liegt nicht vor und der Vertrag wurde 2014, also nach dem 16.12.2009 geschlossen. Sachlich gilt die Rom-I-VO für vertragliche, die Rom-II-VO für außervertragliche Schuldverhältnisse und die Rom-III-VO für Ehescheidungen. Außerhalb ihres Anwendungsvorrangs gelten die Art. 3 bis Art. 46 EGBGB.

4. Die Wirksamkeit der AGB-Änderung ist nur dann nach deutschem Recht zu prüfen, wenn N und F dies in einer Rechtswahlklausel vereinbart haben (Art. 6 Rom-I-VO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich gilt zwischen den Parteien der Grundsatz freier Rechtswahl (Art. 3 Rom-I-VO). Dieser wird in Verbrauchersachen allerdings eingeschränkt (Art. 6 Rom-I-VO). Ein Verbrauchervertrag unterliegt stets dem Recht des Mitgliedsstaates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn (1) der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf irgend eine Weise auf diesen Staat ausrichtet und (2) der geschlossene Vertrag in diesen Bereich fällt (Art. 6 Abs. 1 lit. b) Rom-I-VO). N ist Verbraucherin und F hat sein Netzwerk gezielt für den deutschen Markt geöffnet. Auch ohne die explizite Vereinbarung der Anwendbarkeit des deutschen Rechts, unterliegt der Nutzungsvertrag somit deutschem Recht.

5. Kann F die geltenden Nutzungs-AGB (§ 305 Abs. 1 BGB) einseitig ändern?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Änderung bereits wirksam einbezogener AGB erfordert den Abschluss eines Änderungsvertrags (§ 311 Abs. 1 BGB). Dieser Änderungsvertrag unterliegt der Einbeziehungskontrolle nach § 305 Abs. 2 BGB.<

6. Wurden die Änderungen wirksam einbezogen (§ 305 Abs. 2 BGB)?

Ja!

Eine wirksame Einbeziehung setzt voraus, dass (1) der Verwender den Kunden ausdrücklich auf die Neufassung hinweist und ihm (2) den geänderten Text zugänglich macht. Zudem muss (3) sich der Kunde mit der Einbeziehung der geänderten Geschäftsbedingungen einverstanden erklären F hat N über das Pop-Up-Fenster einen Änderungsvertrag angeboten (§ 145 BGB) und insoweit explizit auf die Änderung hingewiesen. BGH: Für die Möglichkeit der Kenntnisnahme (§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB) genüge ein Link zur Neufassung mit der Aufschrift „Los geht’s!“ N hat das Angebot durch Klick auf „Ich stimme zu“ ausdrücklich angenommen (§ 147 BGB). Insoweit wurden die Änderungen wirksam einbezogen.Eines gesonderten Hinweises auf die geänderten Passagen bedarf es für die wirksame Einbeziehung nicht, wenn die AGB vollständig umstrukturiert werden, da die Hervorhebung dann nicht zu einer schnelleren Erfassbarkeit führen würden (RdNr. 37).

7. Der Änderungsvertrag ist aber sittenwidrig, weil F seine marktbeherrschende Stellung ausgenutzt hat, um die AGB-Änderung durchzusetzen (§ 138 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Sittenwidrig ist die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nur dann, wenn sie subjektiv bezweckt, sich aus eigensüchtigen Beweggründen unter Missachtung der berechtigten Belange des Vertragspartners unangemessene Vorteile zu verschaffen und objektiv eine grobe Interessenverletzung von erheblicher Stärke darstellt (RdNr. 48). Im konkreten Fall verneint der BGH die Sittenwidrigkeit, auch weil F an einheitlichen (Kommunikations-) Regeln ein berechtigtes Interesse habe (RdNr. 49). An solchen Stellen kommt es in der Klausur darauf an, dass Du den Sachverhalt und sämtliche zur Verfügung gestellten Anhaltspunkte umfassend auswertest.

8. Der Änderungsvertrag ist aber sittenwidrig, weil F der N konkludent damit gedroht hat, ohne Zustimmung das Netzwerk nicht nutzen zu können (§ 138 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Sofern eine widerrechtliche Drohung vorliegt, hat der Vertragspartner die Möglichkeit, seine Willenserklärung anzufechten (§ 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Die Anfechtung geht gegenüber § 138 Abs. 1 BGB als speziellere Regelung (lex specialis) vor, sodass die Sittenwidrigkeit nie allein auf eine widerrechtliche Drohung gestützt werden kann. Die Frage der Widerrechtlichkeit der Drohung konnte der BGH offen lassen, da die Klägerin im zugrundeliegenden Originalfall ihre Zustimmung nicht angefochten hatte.

9. Sofern die AGB-Änderung bezüglich der Kommunikationsregeln einer Inhaltskontrolle nach §§ 307ff. BGB standhält, ist sie wirksam.

Ja!

Sofern AGB wirksam einbezogen wurden, stellt sich die Frage, ob die einbezogenen Regelungen auch einer Inhaltskontrolle standhalten. Hierzu ist zunächst zu prüfen, ob die Regelungen einer Inhaltskontrolle unterzogen werden dürfen (§ 307 Abs. 3 BGB). Ist dies der Fall prüfst Du zunächst Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit (§ 309 BGB), dann Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit (§ 308 BGB) und zuletzt die Generalklausel (§ 307 Abs. 1,2 BGB). Auf die Frage der inhaltlichen Wirksamkeit des im Originalfall zugrundeliegenden Hassredeverbotes werden wir aufgrund der hierfür benötigten zusätzlichen Sachverhaltsinformationen in einem zweiten Teil dieses Falles eingehen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JuliusBenedikt

JuliusBenedikt

26.6.2023, 17:03:50

Wann kommt der zweite Teil?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

26.6.2023, 17:47:24

Hi Julius, Teil 2 des Falles ist in unserer Pipeline für aktuelle Rechtsprechung für die zweite Julihälfte zur Veröffentlichung vorgesehen. Wir bitten bis dahin um Deine Geduld! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team


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