Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2021
Facebook Teil 2/2 – Mittelbare Drittwirkung von Meinungsfreiheit und Gleichbehandlungsgrundsatz
Facebook Teil 2/2 – Mittelbare Drittwirkung von Meinungsfreiheit und Gleichbehandlungsgrundsatz
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
N nutzt das weltweite soziale Netzwerk F. Laut AGB ist F berechtigt, näher definierte „Hassrede“ umgehend zu löschen. N postet: „Migranten können morden und vergewaltigen und keinen interessiert’s!“. F löscht diesen Post. N klagt auf Wiederherstellung.
Diesen Fall lösen 76,1 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Facebook Teil 2/2 – Mittelbare Drittwirkung von Meinungsfreiheit und Gleichbehandlungsgrundsatz
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. N könnte ein Anspruch auf Wiederherstellung ihres Posts aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB zustehen.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Zwischen N und F besteht ein Schuldverhältnis (§§ 241, 311 Abs. 1 BGB) in Gestalt eines Verbrauchervertrags über digitale Produkte (§ 327 Abs. 3 BGB).
Ja, in der Tat!
3. Der Nutzungsvertrag verpflichtet F grundsätzlich dazu, die Löschung von Posts zu unterlassen. Handelt es sich dabei um eine Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB)?
Nein!
4. Eine Pflichtverletzung scheidet aus, wenn sich F in ihren AGB wirksam ein Recht zur umgehenden Löschung von „Hassrede“ vorbehalten hat. Ist eine Inhaltskontrolle dieser AGB-Klausel möglich (§ 307 Abs. 3 BGB)?
Genau, so ist das!
5. Da F kein staatlicher Akteur ist, kann es die AGB-Klauseln gestalten, ohne auf Grundrechte seiner Nutzer Rücksicht nehmen zu müssen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
6. Meinungsäußerungen wie diejenige der N genießen gegenüber dem Staat den Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GG). Der Staat könnte sie nicht verbieten.
Ja!
7. Aufgrund der mittelbaren Drittwirkung genießen Grundrechte der Nutzer gegenüber F generell denselben Schutz wie gegenüber dem Staat (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Die mittelbare Drittwirkung der Meinungsfreiheit reicht so weit, dass verfassungsmäßige Meinungsäußerungen wie die der N stets auch gegen eine Löschung durch F geschützt sind (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
9. Verlieren Nutzer gegenüber F also jeden Schutz durch die Meinungsfreiheit, sodass F deren Posts nach Belieben löschen darf (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB)?
Nein!
10. Neben der Meinungsfreiheit berührt die Löschung eines Posts auch den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Auf diesen können sich die Nutzer gegenüber F berufen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).
Genau, so ist das!
11. Die Löschung von Posts ist von der Berufsfreiheit geschützt (Art. 12 Abs. 1 S. 1, Art. 19 Abs. 3 GG). Auf diese kann sich F gegenüber den Nutzern berufen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
12. Kann sich auch F gegenüber seinen Nutzern auf die Meinungsfreiheit berufen (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 19 Abs. 3 GG)?
Ja!
13. Neben diesen vier Grundrechten sind auch das Interesse der Nutzer an respektvollem Umgang und Haftungsrisiken für F in die Gesamtabwägung einzustellen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).
Genau, so ist das!
14. Die Abwägung der vier Grundrechtspositionen, der Drittinteressen und des Haftungsrisikos ergibt, dass F Posts wie den der N ohne weiteres umgehend löschen darf (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
15. Die AGB-Klausel war folglich unwirksam, sodass F mit der Löschung eine Nebenleistungspflicht verletzt hat. N kann Wiederherstellung verlangen (§§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB).
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Maxi97
9.8.2023, 10:48:29
Ich verstehe natürlich warum man hier bei "Wiederherstellung" auf §§ 280 I, 241 II ivm § 249 I abstellt. Irgendwie war mein Gedanke aber parallel zum FBA irgendwas mit 1004, 861 als AGL (quasi nrgatorischer Unterlassungsanspruch). Wäre dann zwar doppelt analog, also
Rechtsgüterdes 823 I + auf Wiederherstellung. Habe auch an § 823 I ivm § 249 I BGB gedacht. Ist halt für mich alles thematisch näher dran, als der 280er Anspruch. Gibt's dazu vielleicht irgendwelche Fundstellen bzw Diskussionen? Oder werden solche vertraglichen wiederherstellungsansprüche immer derart geregelt? Danke!
Niklas
10.8.2023, 00:09:26
FBA richtet sich gegen Hoheitsträger
Maxi97
10.8.2023, 00:12:52
Das ist mir bewusst, es ging jedoch um die Rechtsgrundlage. Beim FBA gibt es ja auch eine Meinung, wonach dieser sich aus 861,
1004 analogergibt.
Niklas
10.8.2023, 00:19:52
„Thematisch näher“ ist ja erstmal egal weil wenn es einen vertraglichen Anspruch gibt muss der sowieso zuerst geprüft werden. Und weil der durchaus schwerer zu sehen ist (da gebe ich dir Recht), war es vielleicht sogar sinnvoll, diesen hier aufzuwerfen.
David.
11.8.2023, 16:04:55
§§ 823 iVm
APR, 249 müsste meiner Ansicht nach hier durchgehen, da dieser auch das eigene geschriebene Wort schützt, dieser Anspruch wäre dann im Anschluss zu prüfen. In Bezug auf 1004 glaube ich allerdings, dass dieser eher nicht einschlägig wäre. Wie du ja selbst schon geschrieben hast, handelt es sich dabei um einen quasi negatorischen Unterlassungsanspruch und keinen Wiederherstellungsanspruch. Wiederherstellung kenne ich im Rahmen des 1004 nur unter dem Gesichtspunkt, dass nach Beseitigung auch der frühere Zustand wiederhergestellt werden soll.
David.
11.8.2023, 16:06:32
Also zB bei der Pappelwurzelentscheidung, wo nach Entfernung der Wurzeln der Belag vom Tennisplatz wiederhergestellt werden sollte.
Hannah B.
23.8.2023, 10:12:18
Nur redaktioneller Hinweis: Hier ist die Formatierung noch nicht ganz richtig an mancher Stelle, und bei der letzten Erklärung steht 2x „ist“.
Leo Lee
24.8.2023, 15:00:14
Hallo Hannah B., vielen Dank für den Hinweis! Das mit dem doppelten "ist" haben wir nun korrigiert. Magst du uns noch mitteilen, wo genau die Formatierung noch nicht ganz sitzt :)? Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
Hannah B.
8.9.2023, 13:21:20
Da gab es einige Antworten, bei denen das blaue Kästchen die anderen Kästchen umschlossen hat.
Fabian
9.4.2024, 08:57:00
Anmerkung: seit dem 17.02.2024 gilt der Digital Services Act. Dieser führt zu einigen Änderungen in Hinblick auf Hassrede etc.
david1234
23.10.2024, 17:12:36
Ich hätte eine kurze Frage: ihr habt geschrieben, die Abweichung vom Gesetzestext ist keine positive VSS der Inhaltskontrolle, sondern eine negative VSS der Kontrollfreiheit - ich habe leider noch nicht verstanden, was damit gemeint ist ?