Zivilrechtliche Nebengebiete
Arbeitsrecht
Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis
Unwirksamer Widerrufsvorbehalt
Unwirksamer Widerrufsvorbehalt
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
U hat Mitarbeitern fünf Jahre in Folge €250 Weihnachtsgeld gezahlt. Am schwarzen Brett hängt stets ein Aushang, dass die Zusage zur Weihnachtsgeldzahlung widerrufen werden kann. Als Arbeitnehmer A im Jahr 2021 Weihnachtsgeld fordert, verweigert U die Zahlung.
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Einordnung des Falls
Unwirksamer Widerrufsvorbehalt
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Es ist ein Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes aus § 611a Abs.2 BGB iVm. den Grundsätzen der betrieblichen Übung entstanden.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Arbeitgeber kann sich stets einseitig von Zahlungsverpflichtungen aus betrieblicher Übung durch Widerruf lossagen.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Der Arbeitgeber kann sich allerdings einseitig von der Zahlungsverpflichtung durch Widerruf lossagen, wenn ein wirksamer Widerrufsvorbehalt vorliegt.
Ja!
4. Der Wirksamkeit des Widerrufsvorbehalts könnten die §§ 305ff. BGB entgegenstehen.
Genau, so ist das!
5. Zudem ist hier der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs.3 BGB eröffnet.
Ja, in der Tat!
6. Der Widerrufsvorbehalt ist hier wegen Verstoßes gegen § 308 Nr.4 BGB unwirksam, da er den formellen Anforderungen nicht genügt.
Ja!
7. U hat hier den entstandenen Anspruch des A auf Weihnachtsgeldzahlung durch Widerruf beseitigt.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Blackpanther
4.2.2023, 14:06:06
Wurden die AGB überhaupt schon wirksam einbezogen, wenn § 305 II, III nicht anwendbar sind?
donjuan
9.2.2023, 05:04:53
was meinst du genau @[Blackpanther](163646)
Blackpanther
9.2.2023, 13:44:47
Mir ist nicht ganz klar, wie die AGB genau einbezogen werden, wenn 305 II und III unanwendbar sind.
Lukas_Mengestu
20.2.2023, 16:12:45
Hallo Blackpanther, wie auch im Geschäftsverkehr (vgl. § 310 Abs. 1 BGB) genügt im Arbeitsrecht zur wirksamen Einbeziehung von AGB jede ausdrückliche bzw. stillschweigende Willensübereinkunft. Es genügt grundsätzlich, dass der Arbeitgeber als Verwender erkennbar auf seine AGB hinweist und der Arbeitnehmer ihrer Geltung nicht widerspricht.(MüKoBGB/Spinner, 9. Aufl. 2023, BGB § 611a Rn. 51). Eine Einbeziehungskontrolle gemäß § 305 Abs. 2 und 3 BGB findet nicht statt (§ 310 Abs. 4 S. 2). Hintergrund der Regelung ist, dass der Gesetzgeber Arbeitnehmer durch das Nachweisgesetz bereits hinreichend geschützt sah (vgl. § 2 NachwG). Im konkreten Fall kommt die Einbeziehung also dadurch zustande, dass U ihre Zusage zum Weihnachtsgeld am öffentlich zugänglichen schwarzen Brett des Betriebes mit dem
Widerrufsvorbehaltversehen hat. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Dogu
23.2.2024, 14:52:37
@[Lukas_Mengestu](136780) D.h. wenn im SV nur "schwarzes Brett" steht, ist in der Klausur von der Zugänglichkeit für alle AN auszugehen? Die Geldzahlungen bekommt ja jeder mit, sodass es zur Begründung einer betrieblichen Übung keinem Blick auf das schwarze Brett bedarf. Ein Unternehmen kann allerdings groß sein und es muss ja nicht in jeder Niederlassung ein schwarzes Brett mit allen aktuellen Aushängen für alle verfügbar sein. Bei Großkonzernen sind mir eher Veröffentlichungen im Intranet geläufig. Da ist zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme unstreitig.
LDS
28.8.2023, 10:54:37
Inwiefern hat sich im ersten Fall dann aus dem Anhang ergeben, dass der Widerruf nicht grundlos erfolgt ist? Durch die Betonung, dass das Weihnachtsgeld nur eine freiwillige Zahlung ist und deshalb auch in Zukunft kein Anspruch darauf besteht?
Lukas_Mengestu
12.10.2023, 08:49:37
Hallo LDS, sehr gute Nachfrage! Hier musst Du aufpassen und sauber differenzieren. Wird ein wirksamer Freiwilligkeitsvorbehalt vereinbart, dann ENSTEHT bereits keine betriebliche Übung. Es fehlt dann gerade an einem Verhalten des Arbeitgebers, das indiziert, dass er sich auch für die Zukunft binden will. In Aufgabe 1 bedarf es also keines Widerrufs, da hier überhaupt keine betriebliche Übung entstanden ist. Im Falle der Vereinbarung eines
Widerrufsvorbehalts entsteht die betriebliche Übung zunächst. Der Arbeitgeber drückt aus, dass er sich binden möchte, sich aber die Möglichkeit vorbehält diese Bindung aber beim Eintritt bestimmter Umstände nachträglich einseitig wieder zu BESEITIGEN. Ich hoffe, jetzt ist es noch etwas klarer geworden :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
petruvia
26.4.2024, 12:58:38
in der Subsumtion zur Aufgabe ist ein überzähliges "kann". schönen Gruß
Leo Lee
26.4.2024, 14:24:58
Hallo petruvia, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen, weshalb wir den Text nun entsprechend korrigiert haben. Wir bedanken uns bei dir vielmals dafür, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen uns auf weitere Feedbacks von dir :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Lord Denning
8.7.2024, 11:16:40
Toller Vertiefungshinweis :))
Foxxy
19.7.2024, 15:00:41
Hallo, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team
StellaChiara
1.9.2024, 11:36:22
Ist der Aushang am Brett nicht eine unzulässige einseitige Änderung des Arbeitsvertrages? Das Ganze benachteiligt den Arbeitnehmer doch, oder nicht? Ansonsten würde die betriebliche Übung ja entstehen.
Tobias Krapp
5.9.2024, 01:30:47
Hallo StellaChiara, guter Gedanke! Hierzu musst du dir aber Folgendes bewusst machen: Zunächst geht es hier nicht um den Arbeitsvertrag selbst, sondern um einen Anspruch aus betrieblicher Übung. Wäre der Anspruch schon im Arbeitsvertrag vereinbart, wäre ein Aushang am schwarzen Brett, wie du vollkommen richtig andenkst, eine unzulässige nachträgliche einseitige Änderung des Arbeitsgebers. Es bräuchte zur Abänderung dann eine Änderungskündigung oder eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die betriebliche Übung fußt nach der Vertragstheorie des BAG auf dem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird,
§ 151 BGB. Es ist also entscheidend, wie dieses Angebot des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände nach Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu verstehen ist. Mit einem
Widerrufsvorbehalterklärt der Arbeitgeber, dass er zwar grundsätzlich von einem Anspruch der Arbeitnehmer aus betrieblicher Übung ausgeht, es sich aber vorbehält, in bestimmten Gründen diesen nachträglich zu beseitigen. Anders als der Freiwilligkeitsvorbehalt hindert der
Widerrufsvorbehaltdaher zwar nicht das Entstehen des Anspruchs aus betrieblicher Übung - dieser steht aber von vornherein unter dem erklärten
Widerrufsvorbehalt. Es handelt sich damit nicht um eine einseitige Änderung, das Vertragsangebot des Arbeitgebers ist vielmehr von Anfang an nur mit diesem Vorbehalt verbunden. Daher kann der Arbeitnehmer auch nur dieses annehmen und daher kann auch nur in diesem Umfang eine betriebliche Übung entstehen. Anders sähe es wiederum aus, wenn schon eine betriebliche Übung OHNE
Widerrufsvorbehaltentstanden wäre. Dann wäre, wie beim Arbeitsvertrag, schon ein Anspruch vorhanden, und der Aushang am schwarzen Brett eine unzulässige nachträgliche einseitige Änderung des Arbeitsgebers. In der Klausur wäre, wie in der letzten Aufgabe der vorangegangen Session näher dargestellt (https://applink.jurafuchs.de/qqzaivU3CMb), dann hier auch die Frage einer gegenläufigen betrieblichen Übung zu diskutieren. Das BAG verneint eine Abänderungsmöglichkeit durch eine solche
gegenläufige betriebliche Übung, da eine solche mit dem Klauselverbot für fingierte Erklärungen, § 308 Nr. 5 BGB, nicht zu vereinbaren ist. Ergänzend (für dein Gerechtigkeitsempfinden :) ) für den Fall eines wirksamen
Widerrufsvorbehalts: Die Erklärung des Widerrufs stellt eine Bestimmung der Leistung durch den Arbeitgeber nach § 315 I BGB dar. Daher unterfällt ein der Inhaltskontrolle standhaltender
Widerrufsvorbehaltimmer noch der Ausübungskontrolle gemäß § 315 III BGB. Der Widerruf muss daher im Einzelfall billigen Ermessen entsprechen. Auch hier wird der Arbeitnehmer also nochmal geschützt. Ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias