Wirksamer Widerrufsvorbehalt

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

U hat fünf Jahre in Folge €250 Weihnachtsgeld gezahlt. Am schwarzen Brett hängt ein Aushang, wonach die Zusage zur Weihnachtsgeldzahlung ab einem Umsatzrückgang von 20% widerrufen werden kann. A fordert 2021 Weihnachtsgeld. U verweigert die Zahlung mit Verweis auf den Umsatzrückgang von 30%.

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Einordnung des Falls

Wirksamer Widerrufsvorbehalt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Widerrufsvorbehalt verstößt gegen § 308 Nr.4 BGB , da er den formellen Anforderungen nicht genügt.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 308 Nr. 4 BGB ist ein Änderungsvorbehalt nur zulässig, sofern die Vereinbarung der Änderung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist, wobei nach § 310 Abs.4 S.2 BGB stets die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Ausgehend vom Wortlaut der Norm („zumutbar“) hat das BAG formelle und materielle Kriterien entwickelt, die ein wirksamer Widerrufsvorbehalt erfüllen muss, um zumutbar zu sein. In formeller Hinsicht ist erforderlich, dass sich aus der Regelung selbst ergibt, dass der Widerruf nicht grundlos erfolgen darf. Die Klausel sieht ausdrücklich einen Umsatzrückgang von 20% als Voraussetzung des Widerrufs vor, sodass die formellen Anforderungen gewahrt sind.
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2. Der Widerrufsvorbehalt verstößt gegen § 308 Nr.4 BGB , da er den materiellen Anforderungen nicht genügt und ist daher unwirksam.

Nein!

In materieller Hinsicht ist ein Widerrufsvorbehalt gemäß § 308 Nr.4 BGB zumutbar, wenn der Arbeitgeber, der ein Interesse daran hat, Arbeitsleistungen flexibel auszugestalten, nicht (1) das Wirtschaftsrisiko auf den Arbeitnehmer verlagert oder (2) in den Kernbereich des Arbeitsvertrages eingreift. Ein Widerrufsrecht bezüglich Entgeltbestandteilen ist nach dem BAG zulässig, sofern der widerrufliche Anteil am Gesamtverdienst unter 25-30% liegt. Die Zahlung des Weihnachtsgeldes iHv €250 ist eine im Gesamtgefüge des Arbeitsverhältnisses relativ unbedeutende Arbeitgeberleistung, die diese Grenze nicht überschreitet. Damit erfüllt der Widerrufsvorbehalt die materiellen Anforderungen und verstößt somit nicht gegen § 308 Nr.4 BGB.

3. U hat hier den entstandenen Anspruch des A auf Weihnachtsgeldzahlung durch Widerruf beseitigt.

Genau, so ist das!

Der Arbeitgeber kann die betriebliche Übung ausnahmsweise dann einseitig durch Widerruf beseitigen, wenn er sich das Recht zum Widerruf der betrieblichen Übung in rechtmäßiger Weise vorbehalten hat (Widerrufsvorbehalt). Sofern der Widerrufsvorbehalt im Formulararbeitsvertrag als AGB vorformuliert ist, ist eine strenge Klauselkontrolle (§§ 308 Nr.4, 307 BGB) vorzunehmen. Da hier kein Verstoß gegen § 308 Nr.4 BGB vorliegt und der Arbeitnehmer auch nicht unangemessen im Sinne des § 307 BGB benachteiligt wird, hat sich U den Widerruf wirksam vorbehalten. Aufgrund des Umsatzrückgangs kann U die entstandene betriebliche Übung durch Widerruf endgültig beseitigen, sodass A keinen Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes hat.Selbst wenn in den kommenden Jahren also der Umsatz wieder steigen würde, lebt die betriebliche Übung nicht wieder auf.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

glaenzejenseitsvonnullundachtzehn

glaenzejenseitsvonnullundachtzehn

26.7.2022, 10:20:44

Wird dadurch die betriebliche Übung generell und endgültig widerrufen, also auch für den Fall, dass im nächsten Jahr die Umsätze wieder denen der Vorjahre entsprechen? Oder besteht der Anspruch dann nur nicht für das Jahr 2021?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.8.2022, 13:38:19

Vielen Dank für Deine Frage! Die betriebliche Übung ist damit erste einmal endgültig beseitigt und müsste erst wieder neu begründet werden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DAN

Daniel

30.7.2022, 18:57:05

Woher kommt der Maßstab mit den formellen und materiellen Anforderungen?

GI

GingerCharme

31.7.2022, 14:36:28

Ich würde mich der Frage quasi anschließen. Also, dass der

Widerrufsvorbehalt

beispielsweise nur dann zumutbar ist, wenn er generell, in formeller und materieller Hinsicht wirksam ist, lässt sich für mich schon noch aus dem Wortlaut "zumutbar" ableiten, denn was formell und/oder materiell unwirksam ist, ist nicht zumutbar. Aber kann ich das in der Klausurpraxis einfach so voraussetzen, dass Ganze ist quasi ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, sodass man im Rahmen der Auslegung einfach einen Obersatz formuliert, wann Zumutbarkeit gegeben wäre und dann prüft man die formelle Wirksamkeit (hinreichende Begründung) und die materielle (kein Verstoß gegen 305 ff.) unter dem Schlagwort der Zumutbarkeit?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.8.2022, 10:46:18

Hallo ihr beiden, in der Tat hat das BAG diese Voraussetzungen an dem Begriff der Zumutbarkeit aufgehangen. Zumutbar ist der Widerruf zunächst, wenn er nicht grundlos (=formelle Voraussetzung) erfolgen soll, sondern wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig ist (BAG, Urteil vom 12. 1. 2005 – 5 AZR 364/04 RdNr. 29 - https://lexetius.com/2005,348). Dabei darf das wirtschaftliche Risiko dem Arbeitnehmer nicht vollständig aufgebürdet werden, weswegen die Grenze von 25-30% des Gesamtverdienstes eingezogen wurde (vgl. RdNr. 31). Schaut gerne einmal in das Urteil im Original rein. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JEN

Jenn_

13.5.2023, 15:10:53

Muss der Widerruf grds. irgendwie besonders erklärt werden, wenn der Arbeitgeber davon Gebrauch machen will? Oder genügt es, wenn der Arbeitnehmer sich einen solchen Widerruf wirksam vorbehält und dann auf Nachfrage der Arbeitgeber einfach die Zahlung verweigert?

Carl Wagner

Carl Wagner

14.5.2023, 10:21:12

Vielen Dank für deine Frage Jenn_! Früher hatte das BAG die Ansicht vertreten, dass eine sog. "negative Übung" bzw. "gegenläufige Übung" über 3 Jahre hinweg ausreichend ist, um den Anspruch aus betrieblicher Übung zum Erlöschen zu bringen. Mittlerweile hat das BAG sich aber ausdrücklich dafür entschieden, dass die betriebliche Übung einen vertraglichen Anspruch begründet und die "negative Übung" unzureichend ist, um ihn zum Erlöschen zu bringen. ((BeckOK BGB/Baumgärtner, 65. Ed. 1.2.2023, BGB § 611a Rn. 80)) Vielmehr muss bei einem wirksamen

Widerrufsvorbehalt

der Widerruf erklärt werden. Ein "Schweigen" hat keinen Erklärungswert. Der Arbeitgeber muss also von sich aus tätig werden und den Widerruf erklären, §§ 133, 157 BGB. Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

JEN

Jenn_

17.5.2023, 12:17:47

Vielen Dank für die schnellen Antworten auf meine Fragen! 😁☺️


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