Öffentliches Recht

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Gesetzgebungsverfahren

Verfahren bei Zustimmungsgesetz (Art. 77 Abs. 2, Abs. 2a GG)

Verfahren bei Zustimmungsgesetz (Art. 77 Abs. 2, Abs. 2a GG)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Vielen Ländern ist es äußerst unangenehm, dass die Verkaufszahlen des Sexy-Polizei-Kalenders („Verhaftet wegen sächsy“) von Polizisten der Polizei Sachsen durch die Decke gehen. Sie wollen allen Landesbeamten verbieten, sich für derartige Publikationen „herzugeben“. Dieses Vorhaben wird als Änderung des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG vom Bundesrat eingebracht (Art. 76 Abs. 1 Var. 3 GG) Bundestag beschlossen (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG). Bei der Abstimmung im Bundesrat werden 29 Stimmen für das Gesetz abgegeben und 26 dagegen.

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Einordnung des Falls

Verfahren bei Zustimmungsgesetz (Art. 77 Abs. 2, Abs. 2a GG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das BeamtStG-Änderungsgesetz ist ein Einspruchsgesetz.

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich sind alle Gesetze Einspruchsgesetze. Einspruchsgesetze sind also alle Bundesgesetze, die nicht Zustimmungsgesetze sind. Ein Zustimmungsgesetz liegt nur vor, wenn das Grundgesetz die Zustimmungspflichtigkeit des Gesetzes ausdrücklich anordnet. Das Grundgesetz ordnet die Erforderlichkeit der Zustimmung des Bundesrates hauptsächlich in drei Fällen an, in denen die Interessen der Länder besonders betroffen sind: (1) verfassungsändernde Gesetze (Art. 79 Abs. 2 GG), (2) Gesetze mit Auswirkungen auf die Finanzen der Länder (beispielsweise Art. 104a Abs. 4, 105 Abs. 3 GG) und (3) Gesetze mit Auswirkungen auf die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder (beispielsweise Art. 84 Abs. 1 S. 6, Abs. 5 S. 1 GG). Der Kompetenztitel für das BeamtStG-Änderungsgesetz findet sich in Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG. Hier ist mit dem Beamtenrecht der Länder die Verwaltungshoheit der Länder besonders betroffen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG, Art. 74 Abs. 2 GG). Daher ordnet das Grundgesetz in Art. 74 Abs. 2 GG die Zustimmungsbedürftigkeit für Gesetze nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG an.
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2. Der Bundesrat hätte vor der Abstimmung über das BeamtStG-Änderungsgesetz den Vermittlungsausschuss einberufen und den Abschluss des Vermittlungsverfahrens abwarten müssen.

Nein!

Der Bundesrat ist frei in der Entscheidung, den Vermittlungsausschuss einzuberufen („kann einberufen“, Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG). Der Bundesrat ist nicht verpflichtet den Vermittlungsausschuss vor der Abstimmung über Zustimmungsgesetze nach Art. 77 Abs. 2a GG einzuberufen. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG, der die Einberufung des Vermittlungsverfahrens zur Bedingung für den Einspruch macht („wenn das Verfahren nach Absatz 2 beendigt ist“, Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG). Der Bundesrat kann also die Zustimmung verweigern, ohne den Vermittlungsausschuss einzuberufen. Wollen Bundestag oder Bundesregierung, dass das Zustimmungsgesetz dennoch zustande kommt, können sie dafür den Vermittlungsausschuss einberufen (Art. 77 Abs. 2 S. 4 GG).

3. Der Bundesrat ist beschlussfähig.

Genau, so ist das!

Der Bundesrat ist beschlussfähig, wenn die Mehrheit seiner Stimmen vertreten ist (§ 28 Abs. 1 GO-BR). Weil es insgesamt 69 Stimmen im Bundesrat gibt, müssen 35 Stimmen vertreten sein. Insgesamt haben die Mitglieder des Bundesrates 55 Stimmen abgegeben. Daraus muss man schließen, dass mindestens 55 Stimmen und somit mehr als 35 im Bundesrat vertreten sind.

4. Der Bundesrat hat dem BeamtStG-Änderungsgesetz mit der erforderlichen Mehrheit (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG) zugestimmt.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Bundesrat fasst seine Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG). Bei 69 Stimmen müssen mindestens 35 dem Gesetz zustimmen. Mit 29 Ja-Stimmen wird die erforderliche Mehrheit von 35 Ja-Stimmen verfehlt. Dass mehr Ja-Stimmen (29) als Nein-Stimmen (26) vorliegen, ist irrelevant. Enthaltungen oder ungültige Stimmen haben im Bundesrat also ein negatives Stimmgewicht. Sie sind Nein-Stimmen gleichzusetzen.

5. Für die Beschlussfähigkeit und die Beschlussmehrheit kommt es darauf an, wie viele Stimmen der Länder vertreten sind und nicht wie viele Mitglieder des Bundesrates anwesend sind.

Ja!

Jedes Land kann so viele Mitglieder (also natürliche Personen) entsenden, wie es Stimmen hat (Art. 51 Abs. 3 S. 1 GG). Für die Beschlussfähigkeit (§ 28 Abs. 1 GO-BR) und die Beschlussmehrheit (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG) ist die Anzahl der Stimmen und nicht die der anwesenden Mitglieder entscheidend. Jedes Land kann also alle seine Stimmen durch ein einziges anwesendes Mitglied abgeben. Insofern weicht das Verfahren im Bundesrat von dem Verfahren im Bundestag ab. Im Bundestag ist bei Beschlussfähigkeit und Beschlussmehrheit grundsätzlich die Anzahl der anwesenden Mitglieder des Bundestages entscheidend.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SN

Sniter

21.4.2023, 15:39:00

Props an den / die Autor*in für diesen Fall. "Sächsy" hat mich sehr abgeholt :D

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.4.2023, 16:49:43

Danke Sniter! Das gebe ich gerne weiter :-) Beste Grüße, Lukas

Ella

Ella

10.6.2023, 17:25:53

Ich stimme Sniter zu, die Aufgabenstellung ist sehr entertaining :D


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