Uneinheitliche Stimmabgabe im Bundesrat (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Das „Maximale-Überwachungs-Gesetz“ steht im Bundesrat zur Abstimmung. Die entsprechende Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG. Der Bundesrat ist zutiefst gespalten. Als das Land L als letztes über sein Abstimmungsverhalten befragt wird, liegen 33 Ja- und 33-Nein-Stimmen vor. Bei der Abstimmung stimmen die Ministerpräsidentin und ein weiterer Minister mit Ja. Die ebenfalls anwesende Ministerin des Landes L stimmt allerdings mit Nein.

Einordnung des Falls

Uneinheitliche Stimmabgabe im Bundesrat (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das „Maximale-Überwachungs-Gesetz“ ist ein Einspruchsgesetz.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich sind alle Gesetze Einspruchsgesetze. Einspruchsgesetze sind also alle Bundesgesetze, die nicht Zustimmungsgesetze sind. Ein Zustimmungsgesetz liegt nur vor, wenn das Grundgesetz die Zustimmungspflichtigkeit des Gesetzes ausdrücklich anordnet. Der Kompetenztitel für das „Maximale-Überwachungs-Gesetz“ findet sich in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG. In Art. 73 Abs. 2 GG ordnet das Grundgesetz die Zustimmungsbedürftigkeit für Gesetze nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG an. Das Grundgesetz ordnet die Erforderlichkeit der Zustimmung des Bundesrates hauptsächlich in drei Fällen an, in denen die Interessen der Länder besonders betroffen sind: (1) verfassungsändernde Gesetze (Art. 79 Abs. 2 GG), (2) Gesetze mit Auswirkungen auf die Finanzen der Länder (beispielsweise Art. 104a Abs. 4, 105 Abs. 3 GG) und (3) Gesetze mit Auswirkungen auf die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder (beispielsweise Art. 84 Abs. 1 S. 6, Abs. 5 S. 1 GG). Wenn nur eine einzelne Vorschrift zustimmungspflichtig ist, erstreckt sich diese Zustimmungspflicht auf das ganze Gesetz. In der Praxis werden aus diesem Grund Gesetze oftmals in mehrere Gesetzespakete aufgespalten.

2. Der Bundesrat hätte vor der Abstimmung über das „Maximale-Überwachungs-Gesetz“ den Vermittlungsausschuss einberufen und den Abschluss des Vermittlungsverfahrens abwarten müssen.

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Bundesrat ist frei in der Entscheidung, den Vermittlungsausschuss einzuberufen („kann einberufen“, Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG). Der Bundesrat ist nicht verpflichtet den Vermittlungsausschuss vor der Abstimmung über Zustimmungsgesetze nach Art. 77 Abs. 2a GG einzuberufen. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG, der die Einberufung des Vermittlungsverfahrens zur Bedingung für den Einspruch macht („wenn das Verfahren nach Absatz 2 beendigt ist“, Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG). Der Bundesrat kann also die Zustimmung verweigern, ohne den Vermittlungsausschuss einzuberufen. Wollen Bundestag oder Bundesregierung, dass das Zustimmungsgesetz dennoch zustande kommt, können sie dafür den Vermittlungsausschuss einberufen (Art. 77 Abs. 2 S. 4 GG).

3. Der Bundesrat ist beschlussfähig.

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Ja!

Der Bundesrat ist beschlussfähig, wenn die Mehrheit seiner Stimmen vertreten ist (§ 28 Abs. 1 GO-BR). Weil es insgesamt 69 Stimmen im Bundesrat gibt, müssen 35 Stimmen vertreten sein. Nach dem Sachverhalt sind insgesamt bereits 66 Stimmen abgegeben worden. Daraus muss man schließen, dass mindestens 66 Stimmen und somit mehr als 35 im Bundesrat vertreten sind.

4. Die Stimmen des Landes L müssen als Ja-Stimmen gewertet werden.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Die Stimmen eines Landes im Bundesrat können nur einheitlich abgegeben werden (Art. 51 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 GG). Angesichts des strengen Wortsinns („können nur“) ist im Falle der Uneinheitlichkeit die Ungültigkeit der Stimmabgabe notwendige Folge. Etwas anderes könnte sich allenfalls bei der Annahme einer „Stimmführerschaft“ des Ministerpräsidenten annehmen, wie es in der Literatur teilweise vertreten wird. Das Grundgesetz sieht aber keine Stimmführerschaft des Ministerpräsidenten vor. Das Land L hat mit zwei Stimmen für und einer Stimme gegen das „Maximale-Überwachungs-Gesetz“ uneinheitlich im Sinne des Art. 51 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 GG abgestimmt. Die Stimmabgabe des Landes L ist daher ungültig. Es ist insbesondere nicht zulässig, die beiden Ja-Stimmen von der Nein-Stimme der Ministerin zu trennen (Art. 51 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 GG).

5. Der Bundesrat hat dem „Maximale-Überwachungs-Gesetz“ mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt.

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Bundesrat fasst seine Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG). Bei 69 Stimmen müssen mindestens 35 dem Gesetz zustimmen. Mit 33 gültigen Ja-Stimmen wird die erforderliche Mehrheit von 35 Ja-Stimmen verfehlt.

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