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Gesetzgebungsverfahren

Überstimmung des Bundesrates bei Einspruchsgesetzen (Art. 77 Abs. 4 GG)

Überstimmung des Bundesrates bei Einspruchsgesetzen (Art. 77 Abs. 4 GG)

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Bundestag beschließt das „Gute-Pflege-Gesetz“ auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG. Der Bundesrat beruft den Vermittlungsausschuss ein. Im Vermittlungsverfahren wird das Gesetz geringfügig geändert und vom Bundestag in dieser Fassung mehrheitlich beschlossen.

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Einordnung des Falls

Überstimmung des Bundesrates bei Einspruchsgesetzen (Art. 77 Abs. 4 GG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das „Gute-Pflege-Gesetz“ ist ein Einspruchsgesetz.

Genau, so ist das!

Grundsätzlich sind alle Gesetze Einspruchsgesetze. Einspruchsgesetze sind also alle Bundesgesetze, die nicht Zustimmungsgesetze sind. Ein Zustimmungsgesetz liegt nur vor, wenn das Grundgesetz die Zustimmungspflichtigkeit des Gesetzes ausdrücklich anordnet. Der Kompetenztitel für das „Gute-Pflege-Gesetz“ findet sich in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG. In Art. 74 Abs. 2 GG ordnet das Grundgesetz die Zustimmungsbedürftigkeit nur für Gesetze nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 und 27 GG an. Im Umkehrschluss ist das „Gute-Pflege-Gesetz“ ein Einspruchsgesetz.
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2. Bedarf es einer erneuten Abstimmung im Bundestag, wenn der Vermittlungsausschuss sich auf einen Änderungsvorschlag verständigt?

Ja, in der Tat!

Schlägt der Vermittlungsausschuss eine Änderung des Gesetzesbeschlusses vor, so hat der Bundestag erneut Beschluss zu fassen (Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG). Dabei kann der Bundestag entscheiden, ob er den Änderungsvorschlag des Vermittlungsausschusses annimmt (Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG) oder an dem ursprünglichen Gesetzesbeschluss (vgl. Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG) festhält. Durch den erneuten Bundestagsbeschluss wird gewährleistet, dass auch der Änderungsvorschlag vom Willen des unmittelbar demokratisch legitimierten Bundestag getragen wird.

3. Der Bundestag hat das Gesetz gemäß Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG erneut beschlossen. Kann der Bundesrat dagegen noch etwas unternehmen?

Ja!

Der Bundesrat kann gegen das Gesetz binnen zwei Wochen (für den Fristbeginn siehe Art. 77 Abs. 3 S. 2 GG) Einspruch einlegen (Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG).

4. Der Bundesrat legt mit 52 Stimmen Einspruch gegen das Gesetz ein. Hat der Bundestag bei Einspruchsgesetzen noch eine Möglichkeit, sich über den Einspruch des Bundesrates hinwegsetzen?

Genau, so ist das!

Der Bundestag kann den Einspruch des Bundesrates zurückweisen, also überstimmen (Art. 77 Abs. 4 S. 1, S. 2 GG). Daher hat der Bundesrats bei Einspruchsgesetzen nur ein „aufschiebendes Veto-Recht“.

5. Der Bundestag kann den Einspruch des Bundesrates immer mit der Mehrheit seiner Mitglieder überstimmen (Art. 77 Abs. 4 S. 1 GG).

Nein, das trifft nicht zu!

Der Bundestag kann einen Einspruch grundsätzlich mit der Mehrheit seiner Mitglieder (Art. 77 Abs. 4 S. 1 GG) zurückweisen. Das heißt, es ist die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl notwendig (Art. 121 GG): Bei der gesetzlichen Mitgliederzahl von 630 (§ 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG) sind dies 315 Abgeordnete. Dies gilt aber nicht, wenn der Bundesrat den Einspruch mit zwei Dritteln seiner Stimmen beschließt (Art. 77 Abs. 4 S. 2 GG). Bei 69 Stimmen sind für den Einspruch mit Zweidrittelmehrheit mindestens 46 Stimmen notwendig. Der Bundesrat hat den Einspruch mit 52 von 69 Stimmen eingelegt. 52 sind mehr als die für die Zweidrittelmehrheit notwendigen 46 Stimmen.

6. Bei der nächsten Plenarsitzung im Bundestag stimmen 320 von den anwesenden 400 Abgeordneten erneut für das Gesetz. Hat der Bundestag den Einspruch des Bundesrats wirksam zurückgewiesen (Art. 77 Abs. 4 S. 2 GG)?

Ja!

Wenn der Bundesrat den Einspruch mit zwei Dritteln seiner Stimmen beschließt benötigt der Bundestag (1) eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, die zugleich (2) mindestens die Mehrheit der Mitglieder des Bundestags (Art. 121 GG) darstellen müssen (Art. 77 Abs. 4 S. 2 GG). Zwei Drittel der 400 abgegebenen Stimmen sind 267 Ja-Stimmen. Für das Gesetz stimmten 320 und somit mehr als zwei Drittel der abgegebenen Stimmen. Zugleich müssen diese 320 Ja-Stimmen mindestens die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages darstellen. Bei der gesetzlichen Mitgliederzahl von 615 Abgeordneten (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG) sind hierfür 315 Ja-Stimmen erforderlich. Mit 320 Ja-Stimmen sind mehr als die geforderten 315 Ja-Stimmen abgegeben worden.

7. Das „Gute-Pflege-Gesetz“ ist wirksam zustande gekommen (Art. 78 Var. 5 GG).

Genau, so ist das!

„Ein vom Bundestage beschlossenes Gesetz kommt zustande, [...] wenn der Einspruch des Bundesrates vom Bundestage überstimmt wird (Art. 78 Var. 5 GG).“ Art. 78 GG taugt also nicht nur als Einstieg zum besseren Verständnis des Art. 77 GG, sondern auch als Zwischenergebnis, das die Prüfung des Hauptverfahrens in der Klausur abschließt.
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