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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Um das Geschäft anzukurbeln, versendet die Live Veranstaltungs-GmbH Flyer an ehemalige Kunden, in denen sie Tickets für ein Konzert zu gutem Preis anbietet. Eine Woche später erhält L-GmbH einen Brief von A. A möchte ein Ticket erwerben. Die L-GmbH versäumt es, A zu antworten, dass keine Tickets mehr verfügbar sind.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Vertrag zwischen Konzertveranstalter und Besucher ist ein Kaufvertrag (§ 433 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Der Vertrag zwischen dem Besucher eines Konzerts und dem Veranstalter ist ein typengemischter Vertrag. Er besteht (1) aus Elementen des b>Werkvertrages (§§ 631ff. BGB): Der Durchführung des Konzerts am vereinbarten Ort zur bestimmten Zeit mit angegebenem Inhalt und Besetzung. Er besteht (2) zudem aus der Bereitstellung eines Sitz- oder Stehplatzes, also einer mietvertraglichen Komponente (§§ 535ff. BGB). Vertragspartner ist der Veranstalter, welcher sich gegenüber dem Konzertbesucher zu diesen Leistungen verpflichtet. Üblich für einen solchen Vertrag ist die Bezeichnung „Veranstaltungsbesuchsvertrag“. Zwischengeschaltet kann als Vertreter des Konzertveranstalters eine Vorverkaufsstelle sein.

2. Der Flyer ist ein Angebot seitens der L-GmbH, gerichtet auf Abschluss eines Veranstaltungsbesuchsvertrags, welches A durch ihren Brief angenommen hat.

Nein!

Ein Angebot ist eine Willenserklärung, durch die der Vertragsschluss einem anderen so angetragen wird, dass nur von dessen Einverständnis das Zustandekommen des Vertrages abhängt. Ein verbindliches Angebot (§ 145 BGB) setzt voraus, dass der Erklärende Rechtsbindungswillen hat. Nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) möchte die L-GmbH beim Versenden eines Flyers noch kein verbindliches Angebot unterbreiten, das der Interessent einseitig annehmen kann. Sie wäre sonst gegenüber jedem „Annehmenden“ zur Leistung verpflichtet, ohne vorher über die Person informiert zu sein und seine Rechtsbindung von den noch verfügbaren Beständen abhängig machen zu können. Der Flyer ist nur eine invitatio ad offerendum.

3. Der Brief von A, in dem sie äußert, ein Konzertticket erwerben zu wollen, ist ein Angebot an L, gerichtet auf den Abschluss eines Veranstaltungsbesuchsvertrages.

Genau, so ist das!

Ein Angebot ist eine Willenserklärung, durch die der Vertragsschluss einem anderen so angetragen wird, dass nur von dessen Einverständnis das Zustandekommen des Vertrages abhängt. Der objektive Tatbestand liegt in einem Verhalten, das aus Sicht Dritter auf Vorliegen von Handlungs-, Rechtsbindungs- und Geschäftswillen schließen lässt. A gibt in ihrem Brief nach dem objektiven Empfängerhorizont zu erkennen (§§ 133, 157 BGB), einen Vertrag mit L schließen zu wollen. Dieser soll die Teilnahme an der im Flyer angekündigten Veranstaltung zum angegebenen Preis beinhalten. Das Angebot ist auch hinreichend bestimmt, es enthält alle essentialia negotii (Vertragsparteien, Veranstaltung als Vertragsgegenstand, Gegenleistung).

4. Das Schweigen auf ein Vertragsangebot wird grundsätzlich als Annahme gewertet

Nein, das trifft nicht zu!

Die Annahme ist eine Willensklärung, mit der das Einverständnis mit dem Antrag ausgedrückt wird. Der objektive Tatbestand liegt in einem Verhalten, das aus Sicht Dritter auf Vorliegen von Handlungs-, Rechtsbindungs- und Geschäftswillen schließen lässt. Ein Schweigen setzt jedoch überhaupt keinen Erklärungstatbestand, es fehlt an jeglichem Verhalten. Schweigen gilt daher nur als Willenserklärung, wenn die Parteien dies vereinbart haben, das Gesetz es bestimmt (etwa in §§ 108 Abs. 2, S. 2, 177 Abs. 2, 516 Abs. 2 S. 2, 1943 BGB, § 362 Abs. 1 HGB) oder beim Schweigen eines Kaufmanns auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben.

5. Das Schweigen auf As Brief könnte als Annahme des Angebots durch die L-GmbH gewertet werden müssen (§ 362 Abs. 1 HGB).

Ja!

§ 362 Abs. 1 HGB normiert eine Ausnahme vom Grundsatz, dass Schweigen keinen Erklärungswert hat. Voraussetzung ist, dass (1) der Angebotsempfänger Kaufmann ist, (2) sein Betrieb Geschäftsbesorgungen mit sich bringt und zum Anbietenden eine Geschäftsverbindung besteht (S. 1), oder der Kaufmann sich zu einer Geschäftsbesorgung erboten hat (S. 2), (3) ihm ein solches Angebot zugeht und er auf dieses (4) nicht unverzüglich geantwortet hat. In der Folge gilt das Angebot als angenommen und der Vertrag kommt zustande. § 362 Abs. 1 HGB dient der Sicherstellung von Rechtssicherheit, Leichtigkeit und Schnelligkeit im Handels- und Geschäftsverkehr.

6. Die L-GmbH ist Kaufmann (§§ 1-6 HGB).

Genau, so ist das!

Der Empfänger des Angebots muss Kaufmann sein (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB) (=einseitiges Handelsgeschäft). Auf nichtkaufmännische Unternehmensträger ist § 362 Abs. 1 HGB aber analog anwendbar. Vorschriften, die den Kaufmann betreffen, finden auch auf Handelsgesellschaften Anwendung (§ 6 Abs. 1 HGB). Kapitalgesellschaften wie die GmbH, AG und die KGaA gelten kraft gesetzlicher Bestimmungen aufgrund ihrer Rechtsform als Handelsgesellschaften (§ 13 Abs. 3 GmbHG, § 3 Abs. 1 AktG, § 278 Abs. 3 AktG) ("Form-Kaufmann"). So auch die L- GmbH.

7. Der Geschäftsbetrieb der L-GmbH bringt die Besorgung von Geschäften mit sich und zu A besteht eine Geschäftsverbindung (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Geschäftsbesorgung ist jede selbständige, rechtsgeschäftliche oder rein tatsächliche Tätigkeit wirtschaftlicher Art für einen anderen und in dessen Interesse. Eine Geschäftsverbindung liegt in einer auf Dauer angelegten Beziehung, die einen wiederholten Abschluss von Geschäften erwarten lässt. Indiziell sind schon in der Vergangenheit miteinander getätigte Geschäfte. Das Konzert ist eine Veranstaltung, welche die L-GmbH für Besucher in deren Interesse organisiert und durchführt. Hierin liegt eine tatsächliche Tätigkeit wirtschaftlicher Art, mithin eine Geschäftsbesorgung (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB). Anzeichen dafür, dass zu A eine aktuelle Geschäftsverbindung besteht, gibt es allerdings nicht.

8. Die L-GmbH hat sich gegenüber A zu einer Geschäftsbesorgung erboten (§ 362 Abs. 1 S. 2 HGB).

Ja!

Geschäftsbesorgung ist jede selbständige, rechtsgeschäftliche oder rein tatsächliche Tätigkeit wirtschaftlicher Art für einen anderen und in dessen Interesse. Der Kaufmann muss sich gerade gegenüber dem Anbietenden zur Geschäftsbesorgung erboten haben. Ein unspezifisches Erbieten gegenüber der Allgemeinheit genügt nicht. Die L-GmbH erbietet in ihrem Flyer, den sie an einen ausgewählten Kundenkreis (unter anderem A) verschickt hat, die Organisation und Durchführung eines Konzerts (=Geschäftsbesorgung). Das Erbieten zur Geschäftsbesorgung ist nicht mit dem bindenden Anbieten (§ 145 BGB) zu verwechseln. Das „Erbieten“ stellt gerade keine Willenserklärung dar.

9. Der L-GmbH ist ein entsprechendes Angebot über die erbotene Geschäftsbesorgung zugegangen (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB).

Genau, so ist das!

§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB verlangt den Zugang (§ 130 BGB) eines Angebots, welches sich auf die erbotene Geschäftsbesorgung bezieht. Der L-GmbH ist ein Brief von A zugegangen, in welchem sie sich auf den Flyer bezieht und äußert, ein Ticket zur Veranstaltung „erwerben“ zu wollen. Dem ist ein Angebot zu entnehmen, gerichtet auf den Abschluss eines Veranstaltungsbesuchsvertrags zu den im Flyer genannten Bedingungen.

10. Die L-GmbH hat As Angebot unverzüglich beantwortet (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Wenn der Kaufmann nicht unverzüglich auf das Angebot antwortet, gilt dieses als angenommen und der Vertrag kommt zustande (§ 362 Abs. 1 HGB). Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB). Die L-GmbH hat das Angebot von A überhaupt nicht beantwortet.

11. Zwischen der L-GmbH und A ist ein Veranstaltungsbesuchsvertrag zustande gekommen.

Ja!

§ 362 Abs. 1 HGB normiert eine Ausnahme vom Grundsatz, dass Schweigen keinen Erklärungswert hat. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen wie hier erfüllt, gilt das Angebot als angenommen und der Vertrag kommt zustande. § 362 Abs. 1 HGB dient der Sicherstellung von Rechtssicherheit, Leichtigkeit und Schnelligkeit im Handels- und Geschäftsverkehr.

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RAP

Raphaeljura

10.9.2023, 05:29:52

Was würde passieren wenn zuviele Menschen auf die invitatio ad oferendum geantwortet hätten, und letztlich unzählige Verträge zustande gekommen wären. Man würde dann ja wohl auf Unmöglichkeit irgendwie kommen. Nur, wie wählt man dann die Leute aus, die noch aufs Konzert können?

Paulah

Paulah

10.9.2023, 08:18:32

Dann passiert nichts. Eine invitatio ad offerendum ist ja nur die Aufforderung, ein Angebot abzugeben. Wenn du dich aufgrund des Flyers meldest und eine Karte kaufen möchtest, hast du das Angebot unterbreitet, dass der Veranstalter annehmen kann - oder eben auch nicht.

RAP

Raphaeljura

10.9.2023, 09:04:42

Der Veranstalter nimmt es ja an, durch Schweigen. Folglich würde er unzählige Verträge abschließen

Paulah

Paulah

10.9.2023, 10:30:13

Schweigen bedeutet im Rechtsverkehr "nein" und ist keine Zustimmung

CAN

cann1311

11.9.2023, 09:23:00

@Paulah vielleicht mal den Fall durcharbeiten bevor man antwortet.. Raphaeljura ich würde auch sagen, dass dann ein fall der unmöglichkeit vorliegt. Auswahl liegt dann im kreis des Veranstalters, praktisch wäre wohl windhund- oder losprinzip. Der Rest hat Schadensersatzansprüche

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.9.2023, 12:07:48

Hallo in die Runde, ist der Fall so gelagert wie in diesem Sachverhalt dargestellt, würde tatsächlich durch Schweigen so viele Verträge zustande kommen wie Angebote ergehen auf die Invitatio hin. Dann stünde allen, denen die Leistung wegen Unmöglichkeit nicht erbracht werden kann ein Schadensersatzanspruch zu. Ansonsten gilt im Rechtsverkehr grundsätzlich, dass Schweigen keinen Erklärungswert hat. Die Ausnahmen dazu, sollten aber unbedingt bekannt sein. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

RAP

Raphaeljura

11.9.2023, 12:10:02

Super danke

Paulah

Paulah

11.9.2023, 21:32:34

@cann1311 Deinen Ton mir gegenüber finde ich nicht in Ordnung! Ich hatte den Fall anders verstanden und bin davon ausgegangen, das sei hier ein Diskussionsforum. Aber dann schreibe ich besser keine Antworten mehr!

CAN

cann1311

12.9.2023, 10:01:53

@paulah tut mir leid, ich wollte dich nicht angreifen.

Paulah

Paulah

13.9.2023, 08:48:41

@cann1311 Ok, danke für die Rückmeldung!

Dogu

Dogu

14.3.2024, 15:52:14

Seid ihr euch sicher, dass ein Ticketverkauf für eine Veranstaltung eine Geschäftsbesorgung darstellt? Die Literatur: "Typische Geschäftsbesorgungen sind Inkassogeschäfte [...], Kommissionsgeschäfte [...] Lager- und Transportgeschäfte[...], Maklergeschäfte ([...]); Verwaltungs- oder Treuhandgeschäfte ([...]), Zahlungsdienstleistungen ([...]); vgl. aber § 675o BGB, der gegen einen Anspruch auf Erfüllung spricht), Vermögensanlage- oder Börsengeschäfte für einen anderen. Keine Geschäftsbesorgung stellen Verträge dar, die sich auf den reinen Austausch der gegenseitigen Leistungen beschränken ([...]). Hier wird der Kaufmann eigennützig und nicht für den Antragenden tätig; er erbringt eine Leistung an den Antragenden, nicht für diesen (vgl. Oetker/Maultzsch Rn. 11 f.). Wer einem Kaufmann einen Kauf-, Darlehens-, Dienst-, Werk- oder Mietvertrag anträgt, darf in aller Regel aus dessen Schweigen keine Zustimmung ableiten (zum Werkvertrag OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 115264 Rn. 35; zum Mietvertrag BGH NJW 2018, 296 Rn. 24)). So kommt etwa kein Vertrag nach § 362 zustande, wenn der Adressat unbestellt zugesandter Ware auf den Antrag nicht reagiert (EBJS/Eckert Rn. 13). Die Vorschrift ist auf diese Verträge auch nicht analog anwendbar (Staub/Canaris Rn. 10). In den beschriebenen Fällen kann allerdings nach den allgemeinen Grundsätzen zum beredten Schweigen (→ Rn. 2) ein Vertrag zustande kommen (Oetker/Maultzsch Rn. 12; vgl. auch BGH BeckRS 2007, 2309 Rn. 16). (BeckOK HGB/Moussa, 41. Ed. 1.1.2024, HGB § 362) Weitere Stimme: "Geschäftsbesorgungsverhältnisse liegen nicht vor, wenn der Geschäftsbetrieb auf den reinen Austausch von Leistungen gerichtet ist, wie insbesondere bei Lieferungsgeschäften. Da solche Verträge von einem Kaufmann regelmäßig nicht unbegrenzt abgeschlossen werden, kann das Schweigen des Kaufmanns nicht generell als Annahme eines dahingehenden Antrags gewertet werden. " (Ebenroth/Boujong/Eckert, 4. Aufl. 2020, HGB § 362 Rn. 13) Ich habe keine Quelle gefunden, nach der ein Miet- oder Werkvertrag bzw. dessen typengemischte Version eine Geschäftsbesorgung nach § 362 I HGB darstellen. Meines Erachtens ist daher der SV hier falsch subsummiert.

Burumar🐸

Burumar🐸

1.7.2024, 11:16:25

+push

Max

Max

14.7.2024, 14:16:44

Ebenso

Max

Max

14.7.2024, 14:21:28

Wurde nicht zu Beginn der Subsumtion eine bestehende Geschäftsbeziehung von euch abgelehnt? Wie kann denn dann das Schweigen des Kaufmanns als Annahme gewertet werden?

Lord Denning

Lord Denning

18.7.2024, 15:53:32

Wenn du in § 362 S. 2 schaust, ist für den Fall, dass sich der Kaufmann dem anderen „erboten“, also sich ohne eine Willenserklärung (invitatio ad offerendum) an zumindest einen bestimmten Personenkreis gewendet hat, eine bestehende Geschäftsbeziehung keine tatbestandliche Voraussetzung mehr. Der Kaufmann ist zwar geschäftserfahrender, muss aber zumindest die Möglichkeit haben zu erahnen, dass ihm ein Angebot reinflattert. Dem ist so bei vorheriger Geschäftsbeziehung und natürlich, wenn du anderen anbietest (untechnisch), für sie Geschäfte zu tätigen.

Max

Max

18.7.2024, 15:58:01

Danke für die Antwort! Das ergibt natürlich Sinn, ich bin beim beantworten der Fragen nur durch die nicht ganz eindeutige Differenzierung bei der Aufgabe zwischen S. 1 und S. 2 aus dem Tritt gekommen. Vielleicht könnte man das noch klarer bei der Aufgabenstellung herausarbeiten :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.7.2024, 15:14:44

Hallo Max, in den Fragen wird genau nach den einzelnen Alternativen gefragt. Was bräuchtest du um die Aufgabe besser zu verstehen? Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Max

Max

23.7.2024, 17:38:51

Bei erneutem Bearbeiten ist die Aufgabe eingängig, ich bin wohl bei der ersten Bearbeitung über S. 2 gestolpert, weil zuvor immer von S. 1 die Rede war. Vielleicht könnte man S. 2 vorher schon einmal aufgreifen oder die Norm einfach fett drucken. Dann stolpert man beim schnellen lesen nicht so schnell über S. 2. Ansonsten ist Aufgabe anschaulich, danke der Nachfrage :)


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