Zivilrechtliche Nebengebiete
Handelsrecht
Allgemeine Regeln für Handelsgeschäfte (§§ 343-372 HGB)
Schweigen im Handelsverkehr, § 362 Abs. 1 HGB
Schweigen im Handelsverkehr, § 362 Abs. 1 HGB
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Um das Geschäft anzukurbeln, versendet die Live Veranstaltungs-GmbH Flyer an ehemalige Kunden, in denen sie Tickets für ein Konzert zu gutem Preis anbietet. Eine Woche später erhält L-GmbH einen Brief von A. A möchte ein Ticket erwerben. Die L-GmbH versäumt es, A zu antworten, dass keine Tickets mehr verfügbar sind.
Diesen Fall lösen 76,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Vertrag zwischen Konzertveranstalter und Besucher ist ein Kaufvertrag (§ 433 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Flyer ist ein Angebot seitens der L-GmbH, gerichtet auf Abschluss eines Veranstaltungsbesuchsvertrags, welches A durch ihren Brief angenommen hat.
Nein!
3. Der Brief von A, in dem sie äußert, ein Konzertticket erwerben zu wollen, ist ein Angebot an L, gerichtet auf den Abschluss eines Veranstaltungsbesuchsvertrages.
Genau, so ist das!
4. Das Schweigen auf ein Vertragsangebot wird grundsätzlich als Annahme gewertet
Nein, das trifft nicht zu!
5. Das Schweigen auf As Brief könnte als Annahme des Angebots durch die L-GmbH gewertet werden müssen (§ 362 Abs. 1 HGB).
Ja!
6. Die L-GmbH ist Kaufmann (§§ 1-6 HGB).
Genau, so ist das!
7. Der Geschäftsbetrieb der L-GmbH bringt die Besorgung von Geschäften mit sich und zu A besteht eine Geschäftsverbindung (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB).
Nein, das trifft nicht zu!
8. Die L-GmbH hat sich gegenüber A zu einer Geschäftsbesorgung erboten (§ 362 Abs. 1 S. 2 HGB).
Ja!
9. Der L-GmbH ist ein entsprechendes Angebot über die erbotene Geschäftsbesorgung zugegangen (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB).
Genau, so ist das!
10. Die L-GmbH hat As Angebot unverzüglich beantwortet (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB).
Nein, das trifft nicht zu!
11. Zwischen der L-GmbH und A ist ein Veranstaltungsbesuchsvertrag zustande gekommen.
Ja!
7 Tage kostenlos* ausprobieren
Fundstellen
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Raphaeljura
10.9.2023, 05:29:52
Was würde passieren wenn zuviele Menschen auf die invitatio ad oferendum geantwortet hätten, und letztlich unzählige Verträge zustande gekommen wären. Man würde dann ja wohl auf Unmöglichkeit irgendwie kommen. Nur, wie wählt man dann die Leute aus, die noch aufs Konzert können?
Paulah
10.9.2023, 08:18:32
Dann passiert nichts. Eine
invitatio ad offerendumist ja nur die Aufforderung, ein Angebot abzugeben. Wenn du dich aufgrund des Flyers meldest und eine Karte kaufen möchtest, hast du das Angebot unterbreitet, dass der Veranstalter annehmen kann - oder eben auch nicht.
Raphaeljura
10.9.2023, 09:04:42
Der Veranstalter nimmt es ja an, durch Schweigen. Folglich würde er unzählige Verträge abschließen
Paulah
10.9.2023, 10:30:13
Schweigen bedeutet im Rechtsverkehr "nein" und ist keine Zustimmung
cann1311
11.9.2023, 09:23:00
@Paulah vielleicht mal den Fall durcharbeiten bevor man antwortet.. Raphaeljura ich würde auch sagen, dass dann ein fall der unmöglichkeit vorliegt. Auswahl liegt dann im kreis des Veranstalters, praktisch wäre wohl windhund- oder losprinzip. Der Rest hat Schadensersatzansprüche
Nora Mommsen
11.9.2023, 12:07:48
Hallo in die Runde, ist der Fall so gelagert wie in diesem Sachverhalt dargestellt, würde tatsächlich durch Schweigen so viele Verträge zustande kommen wie Angebote ergehen auf die Invitatio hin. Dann stünde allen, denen die Leistung wegen Unmöglichkeit nicht erbracht werden kann ein Schadensersatzanspruch zu. Ansonsten gilt im Rechtsverkehr grundsätzlich, dass Schweigen keinen Erklärungswert hat. Die Ausnahmen dazu, sollten aber unbedingt bekannt sein. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Raphaeljura
11.9.2023, 12:10:02
Super danke
Paulah
11.9.2023, 21:32:34
@cann1311 Deinen Ton mir gegenüber finde ich nicht in Ordnung! Ich hatte den Fall anders verstanden und bin davon ausgegangen, das sei hier ein Diskussionsforum. Aber dann schreibe ich besser keine Antworten mehr!
cann1311
12.9.2023, 10:01:53
@paulah tut mir leid, ich wollte dich nicht angreifen.
Paulah
13.9.2023, 08:48:41
@cann1311 Ok, danke für die Rückmeldung!
Dogu
14.3.2024, 15:52:14
Seid ihr euch sicher, dass ein Ticketverkauf für eine Veranstaltung eine Geschäftsbesorgung darstellt? Die Literatur: "Typische Geschäftsbesorgungen sind Inkassogeschäfte [...], Kommissionsgeschäfte [...] Lager- und Transportgeschäfte[...], Maklergeschäfte ([...]); Verwaltungs- oder Treuhandgeschäfte ([...]), Zahlungsdienstleistungen ([...]); vgl. aber § 675o BGB, der gegen einen Anspruch auf Erfüllung spricht), Vermögensanlage- oder Börsengeschäfte für einen anderen. Keine Geschäftsbesorgung stellen Verträge dar, die sich auf den reinen Austausch der gegenseitigen Leistungen beschränken ([...]). Hier wird der Kaufmann eigennützig und nicht für den Antragenden tätig; er erbringt eine Leistung an den Antragenden, nicht für diesen (vgl. Oetker/Maultzsch Rn. 11 f.). Wer einem Kaufmann einen Kauf-, Darlehens-, Dienst-, Werk- oder Mietvertrag anträgt, darf in aller Regel aus dessen Schweigen keine Zustimmung ableiten (zum Werkvertrag OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 115264 Rn. 35; zum Mietvertrag BGH NJW 2018, 296 Rn. 24)). So kommt etwa kein Vertrag nach § 362 zustande, wenn der Adressat unbestellt zugesandter Ware auf den Antrag nicht reagiert (EBJS/Eckert Rn. 13). Die Vorschrift ist auf diese Verträge auch nicht analog anwendbar (Staub/Canaris Rn. 10). In den beschriebenen Fällen kann allerdings nach den allgemeinen Grundsätzen zum beredten Schweigen (→ Rn. 2) ein Vertrag zustande kommen (Oetker/Maultzsch Rn. 12; vgl. auch BGH BeckRS 2007, 2309 Rn. 16). (BeckOK HGB/Moussa, 41. Ed. 1.1.2024, HGB § 362) Weitere Stimme: "Geschäftsbesorgungsverhältnisse liegen nicht vor, wenn der Geschäftsbetrieb auf den reinen Austausch von Leistungen gerichtet ist, wie insbesondere bei Lieferungsgeschäften. Da solche Verträge von einem Kaufmann regelmäßig nicht unbegrenzt abgeschlossen werden, kann das Schweigen des Kaufmanns nicht generell als Annahme eines dahingehenden Antrags gewertet werden. " (Ebenroth/Boujong/Eckert, 4. Aufl. 2020, HGB § 362 Rn. 13) Ich habe keine Quelle gefunden, nach der ein Miet- oder Werkvertrag bzw. dessen typengemischte Version eine Geschäftsbesorgung nach § 362 I HGB darstellen. Meines Erachtens ist daher der SV hier falsch subsummiert.
Burumar🐸
1.7.2024, 11:16:25
+push
Max
14.7.2024, 14:16:44
Ebenso
Foxxy
15.8.2024, 13:14:27
Hallo Dogu, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team
Dua
3.9.2024, 17:27:22
@[Dogu](
27391) Super interessanter Beitrag! Bin auch stark am Rätseln, wie genau abgegrenzt wird. Was evtl. zu berücksichtigen wäre, ist, dass bei einem Konzert die Leistungserbringung an die Musiker gebunden ist, die Erfüllung des Vertrages also von Dritten abhäng, die keine Arbeitnehmer des Vertragspartners sind. Die Konzerthalle gehört wahrscheinlich auch nicht der GmbH. Sie hat daher, aus meiner Sicht, eine vermittelnde Stellung zwischen Konzertbesucher und Musiker/ Vermieter des Veranstaltungsorts. Da steckt ein gewisses Management m
ehrerer Parteien dahinter. So eine zwischengeschaltete Position trifft auch auf die Beispiele, bei denen eine Geschäftsbesorgung bejaht wird, zu. Daher tendiere ich eher dazu, das Merkmal der Geschäftsbesorgung für den Veranstaltungsvertrag zu bejahen.
Sebastian Schmitt
22.10.2024, 11:39:40
Hallo @[Dogu](137074), vielen Dank für Deinen (wie immer) guten Hinweis. In der Tat ist die Abgrenzung der Geschäftsbesorgung nicht ganz einfach, zB auch ggü §§ 662, 675 BGB (zu dieser Abgrenzung zB BeckOK-HGB/Moussa, 44. Ed, Stand 1.7.24, §
362 HGBRn 18), für den Kaufmann aber natürlich potenziell wichtig, wie sich an diesem Fall zeigt. ME geht die Antwort von @[Dua](142849) schon in die richtige Richtung. Letztlich ist unsere Sachverhaltsdarstellung wieder bewusst etwas offen gehalten. Erforderlich ist jedenfalls ein Tätigwerden der L-GmbH im Interesse der Kunden und kein bloßer Warenaustausch, wie Dogu völlig richtig gesagt hat. Die L-GmbH könnte eine vermittelnde Tätigkeit zwischen Kunde und Konzertveranstalter einnehmen, für den Kunden also die Tickets besorgen. Das würde sie in die Nähe einer Tätigkeit wie zB der Reisevermittlung rücken, die jedenfalls von BeckOGK-HGB/Lorz, Stand 1.8.24, § 362 Rn 28.1 explizit als Geschäftsbesorgung anerkannt wird. Wir gehen in der Lösung sogar davon aus, dass die L-GmbH die Veranstaltung selbst für ihre Kunden als eine Art Eventmanagerin (dazu ebenfalls BeckOGK-HGB/Lorz, Stand 1.8.24, § 362 Rn 28.1) durchführt und organisiert (deswegen auch der vollständige Name der L-GmbH). Dementsprechend ließe sich eine Geschäftsbesorgung hier durchaus annehmen und ich halte unsere Lösung jedenfalls für vertretbar. In einer Prüfungssituation würdet Ihr aber natürlich deutlich mehr Abwägungsmaterial in der Sachverhaltsdarstellung bekommen, damit Ihr argumentieren könnt. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Max
14.7.2024, 14:21:28
Wurde nicht zu Beginn der Subsumtion eine bestehende Geschäftsbeziehung von euch abgelehnt? Wie kann denn dann das Schweigen des Kaufmanns als Annahme gewertet werden?
Lord Denning
18.7.2024, 15:53:32
Wenn du in § 362 S. 2 schaust, ist für den Fall, dass sich der Kaufmann dem anderen „erboten“, also sich ohne eine Willenserklärung (
invitatio ad offerendum) an zumindest einen bestimmten Personenkreis gewendet hat, eine bestehende Geschäftsbeziehung keine tatbestandliche Voraussetzung mehr. Der Kaufmann ist zwar geschäftserfahrender, muss aber zumindest die Möglichkeit haben zu erahnen, dass ihm ein Angebot reinflattert. Dem ist so bei vorheriger Geschäftsbeziehung und natürlich, wenn du anderen anbietest (untechnisch), für sie Geschäfte zu tätigen.
Max
18.7.2024, 15:58:01
Danke für die Antwort! Das ergibt natürlich Sinn, ich bin beim beantworten der Fragen nur durch die nicht ganz eindeutige Differenzierung bei der Aufgabe zwischen S. 1 und S. 2 aus dem Tritt gekommen. Vielleicht könnte man das noch klarer bei der Aufgabenstellung herausarbeiten :)
Nora Mommsen
23.7.2024, 15:14:44
Hallo Max, in den Fragen wird genau nach den einzelnen Alternativen gefragt. Was bräuchtest du um die Aufgabe besser zu verstehen? Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Max
23.7.2024, 17:38:51
Bei erneutem Bearbeiten ist die Aufgabe eingängig, ich bin wohl bei der ersten Bearbeitung über S. 2 gestolpert, weil zuvor immer von S. 1 die Rede war. Vielleicht könnte man S. 2 vorher schon einmal aufgreifen oder die Norm einfach fett drucken. Dann stolpert man beim schnellen lesen nicht so schnell über S. 2. Ansonsten ist Aufgabe anschaulich, danke der Nachfrage :)