Selbstgefährdung („Psycholysefall“)
4. Juli 2025
12 Kommentare
4,7 ★ (17.227 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Arzt A verteilt an die Teilnehmer einer sog. Psycholyse-Sitzung illegale Drogen. Diese sollen ermöglichen, an unbewusste Inhalte der Psyche zu gelangen. Alle wissen, dass die Therapie nicht anerkannt ist und die Drogen illegal sind. Teilnehmer T erleidet (wie schon bei früheren Sitzungen mit A) Halluzinationen und Spasmen.
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Einordnung des Falls
Psycholysefall (BGH NStZ 2011, 341 - Selbstgefährdung)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Dem A ist die Körperverletzung des T objektiv zuzurechnen.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Eda
12.4.2020, 11:18:30
Also wüsste T, dass die Therapie nicht anerkannt und gefährlich ist? Darauf kommt es hier ja an.

Ciranje
9.11.2020, 13:55:13
Steht so nicht im Sachverhalt. Vielmehr kommt es darauf an, dass er schon wusste dass das Medikament diese Wirkung bei ihm auslöst und es trotzdem nimmt.

Veterator
9.6.2021, 19:26:30
Ich finde auch, dass hier erst im Subsumtionstext klar wird ("offensichtlich"), dass T wusste, dass es keine anerkannte Therapie ist. Aber dadurch ist es gut nachzuvollziehen. Noch eine Frage: Gesetzt, er hätte nicht gewusst, dass es nicht anerkannt ist, wäre A aber aufgrund überlegenen Sachwissens der Erfolg zuzurechnen, oder? Dass T die Pille selbst einnimmt ist dafür unschädlich, weil er nicht weiß, dass es keine zulässige Behandlung ist und deshalb keine Tatherrschaft hat, korrekt? Die Erfahrung, dass er ein "Medikament" schlecht verträgt ist ja ggf. hinzunehmen und kann m.E. nicht bereits die Zurechnung entfallen lassen. Dann eher bei der rechtfertigenden Einwilligung. Oder sehe ich das falsch? Vielen Dank!

Lukas_Mengestu
27.7.2021, 00:12:32
Vielen Dank für eure Hinweise! Wir haben im Sachverhalt nun noch etwas klarer gemacht, dass alle Teilnehmer davon wussten, dass die Drogen illegal und die Therapie wissenschaftlich nicht anerkannt ist. Bei der Ablehnung der Zurechnung zum Arzt hat der BGH sowohl auf die wiederholte Einnahme in der Vergangenheit inkl. der Nebenwirkungen abgestellt als auch eben auf den Umstand, dass es sich eben insgesamt um eine nicht anerkannte Therapie handelte, bei der man mit besonderen medizinischen Risiken rechnen muss. @veterator: in der von Dir gebildeten Abwandlung könnte man in der Tat über eine Zurechnung nachdenken. Grundsätzlich scheidet zwar die objektive Zurechnung bei einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung aus. Dies gilt ausnahmsweise aber nicht in Fällen, in denen der Täter kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende (zB bei einem Irrtum des Opfers). Ein solch überlegenes Wissen dürfte jedenfalls im hinblick auf die bereits in der Vergangenheit erlittenen Nebenwirkungen ausscheiden. Denn diesbezüglich weiß auch T, dass dieses Risiko sich verwirklichen kann. Sofern dagegen eine andere schwere Nebenwirkung (ggfs. sogar der Tod) auftritt, ließe sich durchaus argumentieren, dass T mit dieser Folge bei einer anerkannten Therapie nicht ohne weitere Aufklärung hätte rechnen müssen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Doris Eventualis
12.4.2023, 15:53:35
Könnte man hier vielleicht nochmal den Unterschied erklären zwischen diesem Fall und dem Fall der gelähmten Person, die auf ihren Wunsch in eine Mülltonne gesteckt wird? Hier weiß der Arzt ja ebenso, dass Drogen illegal sind und zu unerwünschten Reaktionen führen können und auch die Teilnehmer wissen es und entscheiden sich dennoch für die Einnahme der Drogen. Hier wird aber eine
eigenverantwortliche Selbstgefährdungangenommen. Im „Fall mit der Mülltonne“ weiß ja das Opfer dass es lebensgefährlich ist sich in eine Mülltonne stecken zu lassen und der Zivi weiß es ebenso aber machtbesessen trotzdem auf Wunsch des Patienten. Dort wurde eine
einverständliche Fremdgefährdungangenommen. Liegt der Unterschied in der Art und Weise der Gefährdung? Das heißt in diesem Fall durch die eigenständige Einnahme der Drogen und im anderen Fall durch das in die Mülltonne verbracht werden durch einen anderen (den Zivi) und nicht durch das Opfer selbst?

JCF
1.5.2023, 15:36:45
Es kommt darauf an, wer die gefährdende Handlung vornimmt. Im vorliegenden Fall liegt die Tatherrschaft beim "Opfer", das sich in Kenntnis aller wesentlichen Umstände eigenverantworlich selbst gefährdet. Im "Mülltonnenfall" liegt sie bei der Person, die das "Opfer" in die Mülltonne gesteckt hat.

ShakespeareLebt
1.11.2024, 19:41:36
Ich fände es hilfreich, wem im SV noch stehen würde, dass die Teilnehmer die Droge selbstständig einnehmen.

Nils
29.11.2024, 19:26:51
Das ist auf der Zeichnung doch eigentlich gut zu erkennen, finde ich.
JuristenSohn
18.6.2025, 17:24:53
Wie sähe es aus wenn T das erst mal bei A zur "Therapie" wäre?
julivis
24.6.2025, 08:30:26
Muss man nicht auch das Verhältnis Arzt/Patient hier bedenken? Und dem Arzt in dieser Hinsicht bzgl. der Substanzen ein auf jeden Fall das Wissen des Patienten übersteigendes Fachwissen zurechnen? Und begibt sich das Patient nicht bei solch einer Sitzung in die "Arme des erfahrenen Arztes"? Ich finde es bei diesem Verhältnis schwierig, von einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung auszugehen. Man "vertraut" in der Regel ja seinem Arzt?

Nadim Sarfraz
24.6.2025, 17:44:52
Hi @[julivis](289523), der BGH, an im Hinblick auf den Sachverhalt an die Feststellungen des Tatgerichts gebunden ist, hat sich hier mit der von Dir aufgeworfenen Frage auseinandergesetzt und insbesondere deshalb kein überlegenes Fachwissen angenommen (und damit keine Handlungsherrschaft), da es sich um keine medizinisch anerkannte Heilbehandlung handelte und die Teilnehmer über einschlägige Erfahrung im Umgang mit Betäubungsmitteln verfügten: "Auch der von der StrK angeführte Gesichtspunkt, der Angekl. als Arzt und ehemaliger Suchtberater habe das Risiko besser erfasst als seine Gruppenmitglieder, die ihm vertraut hätten, begründet noch keine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft. Alle Gruppenmitglieder kannten die Illegalität der Droge. Bei der Psycholyse handelt es sich um eine in Deutschland wissenschaftlich nicht anerkannte Therapiemethode. Folglich mussten sie mit besonderen medizinischen Risiken rechnen. Darüber hinaus verfügten alle bereits über Erfahrungen mit der Droge (...). Angesichts dieser Umstände liegt eine eigenverantwortliche Selbstschädigung vor, selbst wenn der Angekl. die einzelnen Gruppenmitglieder nicht über sämtliche – auch die eher seltenen – Risiken der MDMA-Einnahme bei gängiger Verbrauchsdosierung, insbesondere nicht über ein bestehendes Todesrisiko, aufgeklärt hat, zumal sich diese Risiken im vorliegenden Fall nicht realisierten. Es bestehen zudem grundlegende Bedenken dagegen, die Grundsätze der Aufklärungspflicht bei ärztlicher Heilbehandlung uneingeschränkt in Fällen anzuwenden, in denen sich selbstverantwortliche Personen auf eine Behandlung einlassen, die offensichtlich die Grenzen auch nur ansatzweise anerkennenswerter ärztlicher Heilkunst überschreitet (vgl. auch § 13 BtMG)." Die Wertung ist aber stark einzelfallbezogen und basiert auch maßgeblich auf den tatsächlichen Feststellungen des Tatgerichts. In einer Klausur kannst Du das natürlich mit entsprechender Argumentation anders sehen. Liebe Grüße, Nadim für das Jurafuchs-Team
julivis
25.6.2025, 14:01:24
Danke, super ausführlich, super hilfreich!