+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Arzt A verteilt an die Teilnehmer einer sog. Psycholyse-Sitzung illegale Drogen. Diese sollen ermöglichen, an unbewusste Inhalte der Psyche zu gelangen. Alle wissen, dass die Therapie nicht anerkannt ist und die Drogen illegal sind. Teilnehmer T erleidet (wie schon bei früheren Sitzungen mit A) Halluzinationen und Spasmen.

Einordnung des Falls

Psycholysefall (BGH NStZ 2011, 341 - Selbstgefährdung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Dem A ist die Körperverletzung des T objektiv zuzurechnen.

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

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Nein, das trifft nicht zu!

Eine die Zurechnung ausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers ist von der einverständlichen Fremdgefährdung abzugrenzen. Das Opfer gefährdet sich eigenverantwortlich selbst, wenn die alleinige Tatherrschaft bei ihm selbst liegt.BGH: In der Schädigung des T habe sich nicht die von A durch Ausgabe der Drogen geschaffene Gefahr realisiert, sondern das von T bei der Einnahme eigenverantwortlich eingegangene Risiko. Obwohl bei T schon früher ähnliche Nebenwirkungen aufgetreten seien, habe er die Drogen erneut eigenhändig, wissentlich und willentlich zu sich genommen. Er habe sich selbstverantwortlich auf eine Therapie eingelassen, die offensichtlich die Grenzen auch nur ansatzweise anerkennenswerter ärztlicher Heilkunst überschreite.

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EDA

Eda

12.4.2020, 11:18:30

Also wüsste T, dass die Therapie nicht anerkannt und gefährlich ist? Darauf kommt es hier ja an.

Ciranje

Ciranje

9.11.2020, 13:55:13

Steht so nicht im Sachverhalt. Vielmehr kommt es darauf an, dass er schon wusste dass das Medikament diese Wirkung bei ihm auslöst und es trotzdem nimmt.

Veterator

Veterator

9.6.2021, 19:26:30

Ich finde auch, dass hier erst im Subsumtionstext klar wird ("offensichtlich"), dass T wusste, dass es keine anerkannte Therapie ist. Aber dadurch ist es gut nachzuvollziehen. Noch eine Frage: Gesetzt, er hätte nicht gewusst, dass es nicht anerkannt ist, wäre A aber aufgrund überlegenen Sachwissens der Erfolg zuzurechnen, oder? Dass T die Pille selbst einnimmt ist dafür unschädlich, weil er nicht weiß, dass es keine zulässige Behandlung ist und deshalb keine Tatherrschaft hat, korrekt? Die Erfahrung, dass er ein "Medikament" schlecht verträgt ist ja ggf. hinzunehmen und kann m.E. nicht bereits die Zurechnung entfallen lassen. Dann eher bei der rechtfertigenden Einwilligung. Oder sehe ich das falsch? Vielen Dank!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

27.7.2021, 00:12:32

Vielen Dank für eure Hinweise! Wir haben im Sachverhalt nun noch etwas klarer gemacht, dass alle Teilnehmer davon wussten, dass die Drogen illegal und die Therapie wissenschaftlich nicht anerkannt ist. Bei der Ablehnung der Zurechnung zum Arzt hat der BGH sowohl auf die wiederholte Einnahme in der Vergangenheit inkl. der Nebenwirkungen abgestellt als auch eben auf den Umstand, dass es sich eben insgesamt um eine nicht anerkannte Therapie handelte, bei der man mit besonderen medizinischen Risiken rechnen muss. @veterator: in der von Dir gebildeten Abwandlung könnte man in der Tat über eine Zurechnung nachdenken. Grundsätzlich scheidet zwar die objektive Zurechnung bei einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung aus. Dies gilt ausnahmsweise aber nicht in Fällen, in denen der Täter kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende (zB bei einem Irrtum des Opfers). Ein solch überlegenes Wissen dürfte jedenfalls im hinblick auf die bereits in der Vergangenheit erlittenen Nebenwirkungen ausscheiden. Denn diesbezüglich weiß auch T, dass dieses Risiko sich verwirklichen kann. Sofern dagegen eine andere schwere Nebenwirkung (ggfs. sogar der Tod) auftritt, ließe sich durchaus argumentieren, dass T mit dieser Folge bei einer anerkannten Therapie nicht ohne weitere Aufklärung hätte rechnen müssen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DE

Doris Eventualis

12.4.2023, 15:53:35

Könnte man hier vielleicht nochmal den Unterschied erklären zwischen diesem Fall und dem Fall der gelähmten Person, die auf ihren Wunsch in eine Mülltonne gesteckt wird? Hier weiß der Arzt ja ebenso, dass Drogen illegal sind und zu unerwünschten Reaktionen führen können und auch die Teilnehmer wissen es und entscheiden sich dennoch für die Einnahme der Drogen. Hier wird aber eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung angenommen. Im „Fall mit der Mülltonne“ weiß ja das Opfer dass es lebensgefährlich ist sich in eine Mülltonne stecken zu lassen und der Zivi weiß es ebenso aber machtbesessen trotzdem auf Wunsch des Patienten. Dort wurde eine einverständliche Fremdgefährdung angenommen. Liegt der Unterschied in der Art und Weise der Gefährdung? Das heißt in diesem Fall durch die eigenständige Einnahme der Drogen und im anderen Fall durch das in die Mülltonne verbracht werden durch einen anderen (den Zivi) und nicht durch das Opfer selbst?

JCF

JCF

1.5.2023, 15:36:45

Es kommt darauf an, wer die gefährdende Handlung vornimmt. Im vorliegenden Fall liegt die Tatherrschaft beim "Opfer", das sich in Kenntnis aller wesentlichen Umstände eigenverantworlich selbst gefährdet. Im "Mülltonnenfall" liegt sie bei der Person, die das "Opfer" in die Mülltonne gesteckt hat.


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