Widerruf nach Einbau eines Katalysators

21. November 2024

4,5(16.367 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K bestellt im Internet bei Autoteile-Händler V einen Katalysator zum Preis von 300 €. Er baut den Katalysator in sein Kfz ein und führt eine Probefahrt durch. Dabei stellt er fest, dass der Katalysator die Leistung seines Wagens beeinträchtigt. Deswegen baut er den Katalysator wieder aus und widerruft den Vertrag mit V.

Diesen Fall lösen 72,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Widerruf nach Einbau eines Katalysators

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen V einen Anspruch auf Rückgewähr des Kaufpreises aus §§ 355 Abs. 3 S. 1, 357 Abs. 1 BGB.

Genau, so ist das!

Der zwischen K und V geschlossene Vertrag wurde durch Widerrufserklärung (§ 355 Abs. 1 S. 2 BGB) binnen offener Widerrufsfrist (§ 355 Abs. 2 BGB) widerrufen. Das Widerrufsrecht ergibt sich aus §§ 312g Abs. 1 Alt. 2, 312c BGB (Fernabsatzvertrag), die gemäß § 312 Abs. 1 BGB anwendbar sind, weil es sich um einen Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB) handelt, bei dem sich der Verbraucher K zur Zahlung eines Preises verpflichtet.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. V kann mit einem eigenen Anspruch aufrechnen, wenn ihm seinerseits ein Zahlungsanspruch gegenüber K zusteht.

Ja, in der Tat!

Die Aufrechnung hat gemäß § 389 BGB das Erlöschen der gegenseitigen Forderungen zur Folge. Sie muss nach § 388 BGB erklärt werden und setzt gemäß § 387 BGB voraus, dass zwei Personen einander (=Gegenseitigkeit) gleichartige Leistungen schulden. Achtung: Gleichartigkeit ist nicht gegeben, wenn einer Person ein Zahlungs- und der anderen Person ein Freistellungsanspruch zusteht! Die Gegenseitigkeit kann bei der prozessualen Geltendmachung fremder Forderungen problematisch sein (im Falle der Prozessstandschaft kann nur mit Ansprüchen gegen den nicht am Prozess beteiligten Rechtsinhaber aufgerechnet werden!). Weitere Voraussetzungen: Fälligkeit der eigenen (Aktiv-)Forderung, Erfüllbarkeit der fremden (Passiv-)Forderung!

3. V hat gegen K einen Wertersatzanspruch aus § 357a BGB, wenn er den K auf diesen Anspruch hingewiesen hat (§ 357a Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Ja!

BGH: Ratio der Widerrufsrechte sei es, die fehlende physische Prüfungsmöglichkeit durch den Verbraucher zu kompensieren. Die Normen sollen einen Gleichlauf der Prüfungsmöglichkeiten im Ladengeschäft und Fernabsatzhandel ermöglichen. Der Verbraucher darf die Waren so testen, wie dies auch im Ladengeschäft möglich ist, sich also zumindest einen physischen Eindruck wie von einem Musterstück verschaffen. Davon nicht umfasst ist die Möglichkeit, die Ware in ein Kfz einzubauen. Insofern spielt es keine Bedeutung, dass ein Katalysator ohne Einbau nicht auf seine Funktionsfähigkeit geprüft werden kann. Eine Besserstellung des Käufers im Fernabsatz gegenüber einem solchen im stationären Handel ist nicht gewollt (RdNr. 22ff.). Die Regelungen über den Wertersatz stehen seit 28.05.2022 im neuen § 357a BGB (bislang § 357 Abs. 7-9 BGB aF). Eine Änderung der Rechtslage ist dadurch nicht erfolgt.

4. Wenn der Verbraucher gleichzeitig vom Vertrag zurücktritt, entfällt (auch) für den Widerruf der Wertersatzanspruch wegen § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Hs. 2 BGB.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Zwar schließe § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Hs. 2 BGB den Wertersatz wegen Verschlechterung der Kaufsache durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme aus. Allerdings enthalte nicht jede Widerrufserklärung gleichzeitig auch eine Rücktrittserklärung. Im Übrigen sei die Wertersatzpflicht gemäß § 357a BGB eine Sonderregelung gegenüber § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Hs. 2 BGB. Die im Vergleich zu den Rechtsfolgen des Rücktritts schärfere Haftung des Verbrauchers beruhe auf den unterschiedlichen Interessenlagen. Denn das Widerrufsrecht hänge nicht von einer Vertragsverletzung des Unternehmers ab, sondern stehe dem Verbraucher stets zu. Die Wertersatzpflicht knüpfe nur an eine Überschreitung des gesetzlichen eingeräumten Prüfungsrechts an (RdNr. 36f.). Zur Klarstellung: Wir prüfen hier immer noch das Widerrufsrecht! Bei der Auslegung ziehen wir jedoch Vergleiche zu den Wertungen des § 346 BGB, nicht zuletzt weil § 357 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. (vor Mitte 2014) ausdrücklich auf die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt verwies. Dieser Verweis ist mittlerweile entfallen, was für die rechtliche Begründung nachher noch eine Rolle spielen wird.

5. Die Kosten der anderweitigen Veräußerung sind vom Wertersatzanspruch des Unternehmers umfasst.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Der Wertersatzanspruch umfasse nur Wertersatz für eine unangemessene Prüfung der Kaufsache. Kosten für die Vorbereitung und Durchführung des Wiederverkaufs seien aber nicht auf die unangemessene oder übermäßige Benutzung der Kaufsache vor Widerruf entstanden. Die Kosten fielen vielmehr auch in den Fällen an, in denen Wertersatzansprüche gegen den Verbraucher nicht bestünden (RdNr. 46).

6. Der Gewinnanteil des V ist aus dem Wertersatz herauszurechnen.

Ja!

Aus § 357 Abs. 1 S. 1 a.F. las der BGH, dass die Höhe des Wertersatzes am Vertragspreis auszurechnen sei. Die Norm verwies auf die Bestimmungen des Rücktrittsrechts und damit auch auf § 346 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BGB. Daher sei die Gewinnmarge in den Wertersatz einzubeziehen (BGH, RdNr. 48). Diese Rechtsprechung ist aufgrund der derzeitigen Fassung des § 357a BGB nicht mehr anwendbar. Aus einem Umkehrschluss zu § 357a Abs. 2 S. 2 BGB (der nur für Dienstleistungen gilt!) wird gefolgert, für Waren sei der objektive Wert maßgeblich, sodass der Gewinnanteil tatsächlich herauszurechnen ist (vgl. Schwab, in: JuS 2017, 881, 882 zu § 357 Abs. 8 BGB aF).
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

10.11.2022, 10:13:54

Könntet ihr hier bitte die Normenlinks aktualisieren? :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

10.11.2022, 10:59:24

Hallo Imponderabilie, danke für den Hinweis. Wir haben nun alle Normverlinkungen angepasst. :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

CI

Cillar

13.2.2023, 15:55:07

Eine habt ihr übersehen bzw. das klein a beim 357 vergessen. Bei der Frage nach dem Wertersatz zitiert ihr 357 Abs. 1 Nr. 2, hier müsste es 357a Abs. 1 Nr. 2 heißen.

Klima-Kleber

Klima-Kleber

14.4.2023, 19:27:40

Ich verstehe nicht, weshalb aus einem Umkehrschluss zu § 357a II 2 BGB gefolgert werden kann, dass der objektive Wert maßgeblich ist, sodass der Gewinnanteil herauszurechnen wäre. In § 357a II 2 BGB steht doch ausdrücklich, dass der vereinbarte Gesamtpreis maßgeblich ist. Für dessen Berechnung wird doch in der Realität der Gewinnanteil berücksichtigt, oder irre ich mich?

Dogu

Dogu

1.6.2023, 11:13:08

357a II 2 BGB gilt für Dienstleistungen, hier geht es aber um eine Warenlieferung nach § 357a I BGB. Die Regelung in II 2 ergibt nur Sinn, wenn für Fälle des Abs. 1 etwas anderes gilt.

QUIG

QuiGonTim

10.3.2024, 15:29:45

@[Dogu](137074) Danke :)

FEL

Felix

1.11.2023, 14:10:54

Ersetzt nicht § 361 Abs. 2 S. 2 BGB den vom BGH herausgebildeten Vorrang des Widerrufsrechts gegenüber § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

18.10.2024, 11:52:33

Hallo @Felix, § 361 II 2 BGB enthält ein klassisches Umgehungsverbot, das "anderweitige Gestaltungen" verhindert, mit denen die Vorschriften des Widerrufsrechts umgangen werden sollen. Andere gesetzliche Vorschriften sind grds keine "anderweitigen Gestaltungen" in diesem Sinne. Gemeint sind vielmehr Verhaltensweisen und (vertragliche) Absprachen zwischen Personen (s zB Fritsche MüKoBGB/Fritsche, 9. Aufl 2022, § 361 Rn 17; BeckOK-BGB/Müller-Christmann, 71. Ed, Stand 1.2.24, § 361 Rn 13). Der BGH will hier auch keinen (allgemeinen) "Vorrang des Widerrufsrecht" ausdrücken, wie Du es nennst. Er stellt lediglich klar, dass bestimmte Wertungen des

Rücktrittsrecht

s aus den genannten Gründen und in unserem Fall nicht einfach auf das Widerrufsrecht übertragbar sind. Rücktritt und Widerruf sind danach also schlicht getrennt zu betrachten, ein "Vorrangverhältnis" wird dadurch nicht begründet. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

10.3.2024, 15:29:04

Liebes Jurafuchs-Team, vielen Dank für die Aufbereitung des Urteils. Leider ist mir jedoch in den letzten Fragen nicht ganz klar, ob ihr gerade den Wertersatz bei Rücktritt oder bei Widerruf prüft. Im Übrigen ist mir - wie vielen anderen auch - nicht ganz klar, inwiefern man über einen Umkehrschluss aus § 357 Abs. 2 S 2 BGB zum objektiven Wert als Maßstab für den Wertersatz kommen soll. Ich bitte euch, den Fall diesbezüglich nochmals zu überarbeiten. :)

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

18.10.2024, 11:43:23

Hallo @[QuiGonTim](133054), vielen Dank für Deinen Hinweis. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass die Differenzierung hier nicht ganz klar ist. Wir prüfen das Widerrufsrecht, wie in der ersten Fallfrage vorgegeben. Die Argumentation dazu (auch die des BGH in seiner Enstcheidung) nimmt allerdings an vielen Stellen Bezug auf die Vorschriften zum Rücktritt, ua weil § 357 I 1 BGB aF (vor Mitte 2014) ausdrücklich auf "die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt" verwies. Viele Wertungen aus der damaligen Zeit spielen auch heute noch eine Rolle – und sei es nur, um zu begründen, warum man es heutzutage wegen des nun fehlenden ausdrücklichen Verweises anders machen sollte. Wir haben jetzt versucht, das in der Aufgabe deutlicher herauszustellen. Zu § 357 II 2 BGB: Der stellt auf den vereinbarten Gesamtpreis ab (also inklusive evtl großzügigem Gewinnanteil), gilt allerdings nur für Dienstleistungen. Hier haben wir aber eine Ware nach I. Dort haben wir keine entsprechende Vorschrift, also: Umkehrschluss dahingehend, dass hier der objektive Wert zählt. Auch hier haben wir jetzt versucht, das in der Lösung der letzten Frage kurz näher zu erläutern. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen