Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Tatbestand der Willenserklärung
Fortsetzung kostenloser Nutzung bei Internet Scam – äußerer Tatbestand einer Willenserklärung
Fortsetzung kostenloser Nutzung bei Internet Scam – äußerer Tatbestand einer Willenserklärung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A sucht im Internet nach „get rich quick“ Möglichkeiten. Plötzlich erscheint auf dem Bildschirm ein großer „Free Download“-Button. Darunter steht klein gedruckt und fast nicht wahrnehmbar: Die Nutzung unserer Plattform kostet €0,49 die Minute.“ A klickt den Button. Unterstelle, es gilt deutsches BGB.
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Einordnung des Falls
Fortsetzung kostenloser Nutzung bei Internet Scam – äußerer Tatbestand einer Willenserklärung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der äußere Tatbestand einer Willenserklärung setzt voraus, dass der Erklärende einen Rechtsbindungswillen kundgibt.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Durch den Mausklick hat A nach außen kundgetan, das Vertragsangebot des Plattformbetreibers zum Preis von €0,49 pro Minute annehmen zu wollen.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Gibt es nach aktueller Rechtslage auch eine ausdrückliche Regelung im BGB, die besagt, dass bei Verbraucherverträgen ein Vertrag nicht zustande gekommen ist?
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jurios
6.12.2019, 20:10:30
A hatte doch Erklärungsbewusstsein. Durch das Klicken hat er kundgetan irgendetwas rechtlich Erhebliches tun zu wollen.
Geschäftswillemuss nicht vorliegen zur Wirksamkeit. Das ist ein klassischer Fall für die Anfechtung. Besser zu lösen wäre das vllt über § 138. Oder verstehe ich das falsch?
ErdbärIn
7.12.2019, 16:28:29
Ich bin mir nicht sicher, aber Erklärungsbewusstsein bedeutet, zumindest eine auf irgendeinen rechtsgeschäftlichen Erfolg gerichtete Erklärung abzugeben. Da er aber wegen des "free Download" Buttons davon ausgehen durfte, garkeine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, hat er auch kein Erklärungsbewusstsein.
Christian Leupold-Wendling
11.12.2019, 15:52:41
Korrekt, Erdbär. Sehen wir auch so: Es fehlt bereits an der Kundgabe eines
Rechtsbindungswillens. Wenn man einen Button klickt: "Kostenloser Download", bringt man nicht zum Ausdruck, einen Vertrag schließen zu wollen.
Jurios
11.12.2019, 16:16:55
Warum ist das nicht die Annahme eines Schenkungsversprechens?
Jurios
11.12.2019, 16:18:54
Bzw die vermeintliche Annahme eines Schenkungsversprechens?
Christian Leupold-Wendling
11.12.2019, 16:34:22
Weil der Anbieter sich nach objektivem
Empfängerhorizontnicht rechtlich verpflichten wollte, dem A etwas zu schenken.
Lahaua
5.4.2020, 22:08:35
Free Download bedeutet objektiv nur, dass der Vertrag keine entgeltliche Leistung als Gegenleistung des Nutzers enthält (Vertragstyp jedenfalls ein gegenseitiger, aber i.E. Str. Mietvertrag analog etc.) Die Frage, ob er eine Willenserklärung dahingehend abgibt, einen digitalen Inhalt per Klick zu erhalten (Annahme des Angebots), für die er aber keine entgeltliche Leistung erbringen muss, ist eine davon zu trennende Frage. Der Fall ist unproblematisch hinsichtlich des Vorliegens einer wirksamen Willenserklärung.
King
23.5.2020, 12:53:44
Cuuuuuuuuuuuu Digger
gelöscht
9.10.2020, 10:03:29
Die Falllösung ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Das entscheidende AG musste sich damals nicht mit den Ansprüchen an die Verkehrsfähigkeit des Internets oder gar Big Data auseinandersetzen. Heutzutage ist im Online-Rechtsverkehr nichts mehr „kostenlos“, wenn jedenfalls immer mit Nutzerdaten gegengeleistet wird. Abgesehen davon hat A durch den Download-Klick zum Ausdruck gebracht, eine (kostenlose) Leistung erhalten zu wollen und diese mittels des Downloads auch anzunehmen. Wer hier einen
Rechtsbindungswillen ablehnt, war wohl noch nicht im Internet unterwegs. Ob die Inanspruchnahme der weitergehenden Seitennutzung derart von Nutzungsentgelt abhängig gemacht werden kann und inwiefern eine diesbezügliche Erklärung im Kleingedruckten (*) ausreichend ist, sollte eine andere Frage sein.
Knowledge with Jan
2.12.2021, 00:49:11
Wie ist der Fall jetzt letztendluch zu lösen, die Einwände von Jhering II klingen berechtigt.
Lukas_Mengestu
2.12.2021, 12:55:42
Hallo zusammen, die Kostenfalle im Internet rechtlich sauber aufzulösen ist in der Tat nicht ganz leicht. Vielleich kurz vorweg, über das Ergebnis ist man sich einig. Eine Zahlungspflicht des Nutzers wird unisono abgelehnt. Die Frage ist nun aber tatsächlich, wie man zu diesem Ergebnis gelangt. Wir haben darauf auch nochmal im Hinweistext hingewiesen. Jhering II hat dabei einen hervorragenden Punkt aufgemacht. Wir leben in Zeiten von Big Data, wo letztlich jede vermeintlich kostenlose Leistung zumindest mit Daten abgegolten wird. Dass das BGB von 1900 darauf keine 100%-ig zufriedenstellende Antwort hatte, verwundert nicht. Der Gesetzgeber hat auf diese Lücke zwischenzeitlich auch reagiert. Ab 1.1.2022 gibt es mit den neuen §§ 327 ff. BGB nun Vorschriften, die sich explizit auch auf den digitalen Bereich erstrecken. Und § 327 Abs. 3 BGB erkennt dabei explizit Verträge an, in denen der Verbraucher dem Unternehmer "nur" personenbezogene Daten bereitstellt. Insoweit ist das BGB nun also im digitalen Zeitalter angekommen. Doch zurück zur Kostenfalle. Im Kontext der Verbraucherverträge hat sich die Problematik durch die Einführung der Buttonlösung eigentlich weitgehend gelöst. Denn ohne die entsprechende Gestaltung eines Button "kostenpflichtig bestellen" kommt laut § 312j Abs. 3, 4 BGB ein Vertrag nicht zustande (streng genommen, verstößt diese Rechtsfolge gegen die zugrunde liegende EU-Richtlinie. Denn diese sah ein Wahlrecht des Verbrauchers vor und verhinderte nicht bereits den Vertragsschluss (mehr dazu bei: Busch, in: BeckOGK-BGB, 1.6.2021, § 312j RdNr. 47 ff)). Für die Kostenfalle bleiben damit im Wesentlichen noch Verträge zwischen Unternehmern (B2B) oder Privatleuten (C2C) übrig. Wie bereits erwähnt, wird hier ein ganzer Strauß an Lösungsansätzen vertreten (guter Überblick bei: Fervers, Die Button-Lösung im Lichte der
Rechtsgeschäftslehre, NJW 2016, 2289): a) Es fehlt am
Rechtsbindungswillen (zB Kredig/Uffmann, Verbesserung der Rechtslage durch die Buttonlösung des § 312e II BGB-RefE?, ZRP 2011, 36) b) Nutzer habe nicht mit Entgeltlichkeit rechnen müssen, somit
Totaldissens(AG Leipzig, MMR 2010, 723;) c)
versteckter Dissensnach § 155 BGB (LG Mannheim, NJOZ 2011, 263) d) Anfechtungsrecht nach
§ 123 Abs. 1 BGB/ §
119 BGB(OLG Frankfurt, MMR 2009, 342) e) Schadensersatzanspruch in Form von Freistellung des Vertrages (Alexander, Neuregelungen zum Schutz vor Kostenfallen im Internet, NJW 2012, 1985) g) bei AGB:
überraschende Klauselnach § 305c Abs. 1 BGB ((Alexander, Neuregelungen zum Schutz vor Kostenfallen im Internet, NJW 2012, 1985) h) Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, § 138 BGB (Kredig/Uffmann, Verbesserung der Rechtslage durch die Buttonlösung des § 312e II BGB-RefE?, ZRP 2011, 36) i) Abschluss eines Vertrages über die unentgeltliche Erbringung der an
gebotenen Leistung über die Auslegung (Fervers, Die Button-Lösung im Lichte der
Rechtsgeschäftslehre, NJW 2016, 2289) Überwiegend wird also durchaus abgelehnt, dass hier eine Annahme einer entgeltpflichtigen Leistung vorlag und allenfalls ein Vertrag bzgl. einer unentgeltlichen Leistung bejaht (ggfs. noch im Austausch gegen die Daten). Da es aber zahlreiche vertretbare Wege gibt, kann man sich in der Klausur natürlich frei entscheiden. Im Ergebnis kommen sie ohnehin zu ähnlichen Lösungen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
gelöscht
21.8.2020, 15:10:15
Was ist der Sinn des Satzes "unterstelle deutsches Recht"? Ich kann in dem Zusammenhang keine eindeutige Definition finden. Soll ich annehmen dass es deutsches Recht ist?
Eigentum verpflichtet 🏔️
22.8.2020, 10:46:44
Hallo John, da im Internet nicht immer ganz klar ist, welches Recht (deutsches, US-amerikanisches, britisches...) zur Anwendung kommt, dient der Satz dazu, klarzustellen, dass man hier unterstellen soll, das deutsches Recht Anwendung findet.
Dennis
25.9.2020, 10:11:14
M. E. Lag hier Erklärungsbewusstsein vor. Der Fall sollte meines achtens über das AGB Recht gelöst werden.
Kira Gross
2.12.2020, 14:29:45
Ich verstehe was du meinst, jedoch gilt, dass man bei Willenserklärungen genau wie bei AGB, diese zunächst nach dem objektiven
Empfängerhorizontauslegt. Mithin wird die WE so auslegt, wie ein objektiver Dritte sie verstanden hätte und ein Dritter hätte ebenfalls nicht verstanden, dass er durch den Klick einwilligt, 49 Cent/Minute zu zahlen.
Blotgrim
18.3.2024, 16:19:52
Über AGB Recht geht das bestimmt auch, sofern es sich um solche handelt (Sachverhalt etwas dünn diesbezüglich). Aber wie in einem anderen Thread erwähnt gibt es nicht die eine Lösung. Ich finde bspw die Lösung über Anfechtung oder Sittenwidrigkeit überzeugender. Auch finde ich das verneinen des
Rechtsbindungswillen nicht komplett abwegig.
Isabell
21.6.2021, 18:42:45
Ich lande wegen des Kleingedruckten auch immer bei der Bejahung aus Sicht des objektiven Dritten 🤔 denn von bspw. Unleserlichkeit wegen winziger Schrift oder der Farbgebung steht nichts im Sachverhalt. Es ist also grundsätzlich problemlos wahrnehmbar.
Lukas_Mengestu
9.7.2021, 17:57:32
Hi Isabell, wir haben den Sachverhalt nun noch etwas eindeutiger gestaltet, um hier mögliche Unklarheiten auszuräumen. Beste Grüße, Lukas
Isabell
10.1.2022, 10:19:22
Es wäre hilfreich, wenn man beim "mittlerweile" in der Frage die Jahreszahl mitnennt.
Lukas_Mengestu
10.1.2022, 10:29:21
Hallo Isabell, wir haben die Frage nun etwas umformuliert. Allerdings haben wir weiterhin darauf verzichtet die Jahreszahl bereits in der Frage zu nennen. Die Jahreszahl schon in der Frage zu nennen, würde aus unserer Sicht hier einen falschen Schwerpunkt setzen und suggerieren, dass es besonders wichtig sei zu wissen, wann die Norm Einzug ins Gesetz gefunden hat. Da es hier nicht maßgeblich darauf ankommt, haben wir uns diese Information für den Antworttext aufgehoben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
20.1.2022, 16:59:24
Gehe ich recht in der Annahme, dass 312j Abs 3 BGB die bloße Willenserklärung nicht betrifft, sondern bloß den Vertragsschluss regelt?
Lukas_Mengestu
20.1.2022, 17:49:20
Hallo QuiGonTim, es handelt sich bei § 312j Abs. 3, 4 BGB in der Tat in erster Linie um ein Vertragsschlusshindernis. Spannend ist insoweit, dass es sich hierbei um eine richtlinienwidrige Umsetzung handelt. Denn vorgesehen war durch die EU ein Wahlrecht des Verbrauchers. Er sollte sich also aussuchen können, ob er sich an dem Vertrag festhalten lassen will - oder nicht. In der Literatur werden hierzu verschiedene Korrekturmöglichkeiten vertreten (§ 242 BGB, Gleichlauf mit § 475 Abs. 1 S. 1 BGB; im Einzelnen s. Busch, in: BeckOGK, 1.6.2021 § 312j RdNr. 48). Relevant ist dies letztlich nur bedingt, da die Unternehmen recht schnell einfach die entsprechenden Button eingeführt haben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
kleinerPadawan
14.3.2023, 13:00:57
Mir fehlt hier in der Antwort noch das Schlagwort "Button-Lösung". Natürlich soll das nicht dazu verleiten, solches einfach als Buzzword zu droppen, aber wenn man es inhaltlich auch ausführt, zeigt man in der Klausur damit, dass einem das Thema durchaus geläufig ist, indem es auch benennt.
Nora Mommsen
14.3.2023, 13:24:40
Hallo kleinerPadawan, danke dir für die Ergänzung. Dieses Schlagwort haben wir der Lösung gerne hinzugefügt. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Leon
9.10.2023, 14:16:58
Kommt hier nicht auch §312 a III S.2 zum Zuge, da der Vertrag elektronisch geschlossen wurde und der Vertragsbestandteil Entgelt per Voreinstellung muteinbezogen wurde? Oder handelt es sich hier nicht um eine Voreinstellung, da es gar keine Möglichkeiten zu anderen Einstellungen gab?
Ani
29.3.2024, 15:19:45
Ich meine mal gelernt zu haben, dass eine Auslegung dahingehend, ob eine Willenserklärung vorliegt, analog §
133, 157 BGBerfolgen muss, da es eben gerade nicht um die inhaltliche Auslegung einer bestehenden WE geht. Ist das korrekt?
Stella2244
21.8.2024, 15:20:01
Lässt sich gut hören
luc1502
9.9.2024, 22:40:52
Hi, du hast es genau richtig erfasst. Die §§133,157 werden direkt angewandt, wenn wir schauen wollen, welchen Inhalt eine bereits vorliegende WE hat. Wollen wir herausfinden, OB ÜBERHAUPT eine WE vorliegt, dann können wir die §§133,157 BGB nur analog anwenden, denn eine direkte Anwendung würde das Vorliegen einer WE bereits voraussetzen. LG
nullumcrimen
18.5.2024, 23:03:29
Wenn ich es richtig verstehe, würde hier bereits das Erklärungsbewusstsein fehlen. Muss man in solch einem Fall dann immer den obj. TB „vorziehen“, es also über den fehlenden
Rechtsbindungswillen lösen?
Maximilian Puschmann
20.5.2024, 14:03:35
Hallo nullumcrimen, Du könntest das soverän unter einem Punkt abarbeiten, indem du dich entscheidest, ob der objektive
Rechtsbindungswillenicht gegeben ist, und dann sagen: „Jedenfalls fehlt es bereits am Erklärungsbewusstsein". Die strikte Trennung im Lösungsaufbau zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand der Willenserklärung macht man nur, wenn es Anlass hierfür gibt. Wichtig ist, dass das Problem durch den § 312j Abs. 3, 4 BGB natürlich ein wenig seiner Aktualität verloren hat. In einer Verbrauchervertragssituation würdest du sofort hierauf eingehen. Beste Grüße Max - für das Jurafuchs-Team