Strafrecht

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Feindselige Willensrichtung trotz "guter Absichten"? - Jurafuchs

Feindselige Willensrichtung trotz "guter Absichten"? - Jurafuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs ILLustration: T geht auf die schlafende O zu. Er hat vor sie töten, weil er ihr ein Leben im finanziellen Ruin ersparen will.

T und seine Frau O sind hoch verschuldet, wovon O keine volle Kenntnis hat. T tötet die schlafende O mit Hammerschlägen auf den Kopf, womit sie beim Einschlafen nicht gerechnet hat. Einziges Motiv des T für die Tötung ist, dass T die psychisch ohnehin labile O vor einem Leben im finanziellen Ruin bewahren will.

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Einordnung des Falls

Im Rahmen der Arglist ist eine feindliche Absicht notwendig. Hieran kann es nach BGH nur mangeln, wenn die Tötung dem ausdrücklichen Wunsch des Opfers entspricht oder auf einer objektiv gerechtfertigten Beurteilung beruht, die mit dem mutmaßlichen Willen eines Opfers übereinstimmt, das nicht in der Lage ist, eine autonome Entscheidung zu treffen. Der Fall betraf einen Ehemann, der seine schlafende Frau getötet hatte. Der finanziell kämpfende Ehemann glaubte, dass es das Beste sei, seine kranke Frau vor der Kenntnis ihrer schwierigen Situation zu bewahren. Der BGH stellte jedoch fest, dass er feindliche Absichten hatte, indem er seine Frau nicht fragte, ob sie tatsächlich ihr Leben beenden wollte. Trotz ihrer körperlichen und geistigen Probleme war die Frau immer noch in der Lage, ihren eigenen Willen zu bilden und auszudrücken.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat T sich wegen Mordes (§ 211 StGB) strafbar gemacht, wenn er bei der Tat ein Mordmerkmal verwirklicht hat?

Genau, so ist das!

Die Strafbarkeit wegen Mordes (§ 211 StGB) hat folgende Voraussetzungen: (1) Objektiver Tatbestand: (a) Tötung eines anderen Menschen; (b) tatbezogene Mordmerkmale; (c) Kausalität und objektive Zurechnung; (2) subjektiver Tatbestand: (a) Vorsatz; (b) täterbezogene Mordmerkmale; (3) Rechtswidrigkeit; (4) Schuld. T hat die O und damit einen anderen Menschen vorsätzlich getötet. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft. Als tatbezogenes Mordmerkmal kommt Heimtücke in Betracht. Für das Vorliegen von täterbezogenen Mordmerkmalen besteht keine ausreichenden Anhaltspunkte.
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2. Hat T heimtückisch gehandelt?

Ja, in der Tat!

Heimtückisch handelt, wer die Arg- und darauf beruhende Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Als O zu Bett gegangen und eingeschlafen ist, versah sie sich keines Angriffs auf ihr Leben, sie war also arglos. Darauf beruhte auch ihre Wehrlosigkeit - denn im Schlaf war sie unfähig, sich gegen den Angriff des T zu wehren. T hat die Arg- und Wehrlosigkeit der O auch bewusst zur Tötung ausgenutzt.

3. Ist das Mordmerkmal der Heimtücke immer dann einzuschränken, wenn der Täter meint, zum Besten des Opfers zu handeln?

Nein!

In Grenzfällen ist eine Einschränkung des Merkmals der Heimtücke auf tatbestandlicher Ebene unter dem Erfordernis einer "feindseligen Willensrichtung" des Täters möglich (RdNr. 16f.). Diese Einschränkung bleibt aber absoluten Ausnahmefällen vorbehalten. Nicht ausreichend ist der bloße Glaube des Täters, zum Besten seines Opfers zu handeln. Der BGH hat solche Ausnahmefälle, in denen der Täter glaubte, zum Besten des Opfers zu handeln, angenommen, wenn das Opfer zu einer autonomen Entscheidung unfähig war oder ein erweiterter Suizid vorlag, in den das Opfer eingewilligt hatte (RdNr. 19f.).

4. Hier liegt ein Ausnahmefall vor. Ist T nur wegen Totschlags (§ 212 StGB) zu bestrafen?

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Eine ungewollte Tötung stelle grundsätzlich einen feindseligen Angriff auf das Lebensrecht des Opfers dar. Einer heimtückischen Tötung könne die Feindseligkeit nur dann fehlen, wenn sie dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht oder aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht. Ansonsten habe ein Schuldspruch wegen Mordes zu erfolgen; eine Bewertung des Motivs sei nach der Rechtsfolgenlösung des BGH (richterliche Rechtsfortbildung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB) dann auf der Rechtsfolgenseite möglich (RdNr. 22ff.).
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