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Keine fahrlässige Tötung der Gefängnisbeamten bei Gewährung von Freigang - Jurafuchs

Keine fahrlässige Tötung der Gefängnisbeamten bei Gewährung von Freigang - Jurafuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: Ein Polizeibeamter führt T ab, der gerade mit einem Auto jemanden getötet hat.

T sitzt wegen Straßenverkehrsdelikten in der JVA. Leiterin L entscheidet sich für eine Versetzung in den offenen Vollzug, obwohl ein Mitarbeiter dagegen ist. T wird angewiesen, während des „Freigangs“ nicht am Straßenverkehr teilzunehmen, was jedoch niemand kontrolliert. T fährt mit dem Auto und verursacht einen Unfall, bei dem die O verstirbt.

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Einordnung des Falls

Der BGH hat entschieden, dass Gefängnisbeamte, die Häftlingen ohne Fahrlässigkeit Freigang gewähren, sich nicht wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben, wenn der Häftling während des Freigangs einen Mord begeht. Zwei Gefängnisbeamte gewährten einem Insassen offenen Vollzug und Freigänge. Während eines Freigangs floh der Häftling mit einem Auto und tötete eine junge Frau. Die Beamten hätten aber bei der Gewährung des Freigangs gemäß den staatlichen Gefängnisrichtlinien ohne Fahrlässigkeit gehandelt. Die Gewährung von Freigängen zu Rehabilitationszwecken birgt ein inhärentes Risiko, das die Gesellschaft tragen müsse und nicht den einzelnen Gefängnisbeamten auferlegt werden könne.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Macht sich strafbar, wer fahrlässig einen Menschen tötet (§ 222 StGB)?

Ja, in der Tat!

Fahrlässiges Handeln ist nur strafbar, wenn das Gesetz dies ausdrücklich regelt (§ 15 StGB). Die fahrlässige Tötung ist gesetzlich geregelt (§ 222 StGB). Fahrlässig tötet, wer (1) den Tod eines Menschen verursacht indem er (2) objektiv eine Sorgfaltspflicht verletzt und dadurch (3) eine Rechtsgutsverletzung herbeiführt, die er subjektiv vorhersehen und vermeiden konnte. Eine Sorgfaltspflichtverletzung ist, das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Vorhersehbar ist der Erfolg, wenn er nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegt.
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2. Hat L den Tod der O verursacht?

Ja!

Rechtsprechung (Rspr.) und herrschende Literatur (hL) bestimmen die Kausalität nach der Äquivalenztheorie (conditio-sine-qua-non-Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass nicht auch der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Hätte L nicht angeordnet, dass T in den offenen Vollzug verlegt wird, hätte er den Unfall mit O nicht verursacht und diese wäre nicht gestorben. L hat den Unfalltod der O kausal (mit)verursacht.

3. Hat L eine Sorgfaltspflicht verletzt, indem sie den offenen Vollzug für G anordnete?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Sorgfaltspflichtverletzung ist, das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Ein Gefangener soll in einer Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass er die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten missbrauchen wird (§ 10 Abs. 1 StVollzG). Die Vorschrift räumt ein Ermessen ein. BGH: Die L als Leiterin der JVA verletze keine Sorgfaltspflicht, wenn sie sich bei der Anordnung vollzugsöffnender Maßnahmen an die gesetzlichen Vorgaben hält. Die Ermessensentscheidung ist ex ante zu beurteilen.BGH: L habe im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens gehandelt und nicht gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen. Sie habe keine Sorgfaltspflicht verletzt (RdNr. 48 ff.).

4. Hat L die O fahrlässig getötet, indem sie die Einhaltung der Weisung für den „Freigang“ des G nicht kontrollierte?

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Die Weisungen für den offenen Vollzug dienen der Erprobung. Die JVA habe nur stichprobenartig Kontrollen durchzuführen (RdNr. 71 ff.). Ob hier eine Kontrolle hätte durchgeführt werden müssen, könne dahinstehen, weil der Geschehensablauf für L nicht vorhersehbar gewesen sei. Für die Vorhersehbarkeit maßgeblich sei nicht nur das Geschehen an sich, sondern auch die Art und Weise des Zustandekommens des Geschehens. Bei einem Zusammenwirken mehrerer Umstände müssten auch diese sämtlichen Umstände erkennbar sein. Beruht der Erfolgseintritt auf einer vernunftwidrigen Handlung eines Dritten, so liege die Tat außerhalb der Lebenserfahrung und sei nicht vorhersehbar (RdNr. 78).
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Tod eines anderen Menschen
    2. Kausale Handlung
    3. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
    4. Objektive Zurechnung
      1. Objektive Voraussehbarkeit des Kausalverlaufs und Erfolgseintritts)
      2. Schutzzweckzusammenhang
      3. Pflichtwidrigkeitszusammenhang
      4. Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
      5. Subjektive Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld
    1. Schuldfähigkeit
    2. Subjektive Fahrlässigkeit
      1. Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
      2. Subjektive Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung
    3. Entschuldigungsgründe

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