Eingriffsvoraussetzungen III: Abstrakte Gefahrenlage


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In Folge der Terroranschläge vom 11.09.2001 stellt der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1373 fest: „such acts, like any act of international terrorism, constitute a threat to international peace and security". Zudem enthält die Resolution einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus.

Einordnung des Falls

Eingriffsvoraussetzungen III: Abstrakte Gefahrenlage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Friedensbedrohung nach Art. 39 UN-Charta besteht, sobald zwischenstaatliche Gewalt auftritt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach dem negativen Friedensbegriff herrscht Frieden, solange und soweit zwischenstaatliche Gewalt abwesend ist. Rein interne Konflikte würden demnach nicht erfasst. Von dieser engen Definition des Friedensbegriffs rückte der UN-Sicherheitsrat ab. Entscheidend ist das Vorhandensein von Rahmenbedingungen für das friedliche Zusammenleben , sog. positiver Friedensbegriff. Eine Friedensbedrohung liegt damit vor, wenn diese Rahmenbedingungen schwerwiegend erodieren und das Leben einer Vielzahl von Menschen unmittelbar gefährdet ist. Einer internationalen Auswirkung bedarf es nicht.

2. Eine Friedensbedrohung nach Art. 39 UN-Charta kann von privaten Akteuren ausgehen.

Ja, in der Tat!

Eine Friedensbedrohung liegt vor, wenn Rahmenbedingungen für ein friedliches Zusammenleben schwerwiegend erodieren und das Leben einer Vielzahl von Menschen unmittelbar gefährdet ist. Die nicht beanstandete Praxis des UN-Sicherheitsrates belegt, dass die Urheberschaft dieser Erosion irrelevant ist. Erfasst sind damit sämtliche Friedensbedrohungen, unabhängig davon ob sie von staatlichen, halbstaatlichen oder privaten Akteuren - wie hier einer Terrorgruppe - ausgehen.

3. Nur konkrete Bedrohungen können eine Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 UN-Charta darstellen, abstrakte Bedrohungen scheiden aus.

Nein!

Eine abstrakte Bedrohung erfasst Sachverhalte, die typischerweise Rahmenbedingungen für ein friedliches Zusammenleben schwerwiegend erodieren und das Leben einer Vielzahl von Menschen unmittelbar gefährden. Der Wortlaut des Art. 39 UN-Charta schließt diese nicht aus, weil die Friedensbedrohung anders als der „Friedensbruch" oder die „Angriffshandlung" nicht notwendigerweise an konkrete Sachverhalte anknüpft. Zudem spricht das Telos des Art. 39 UN-Charta – die Befähigung des Sicherheitsrates zur (effektiven) Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit (Art. 1 Abs. 1, 24 Abs. 1 UN-Charta) – für einen Einbezug abstrakter Friedensbedrohungen.

4. In seiner Resolution 1373 (2001) stuft der Sicherheitsrat eine abstrakte Bedrohung als Friedensbedrohung ein.

Genau, so ist das!

Eine abstrakte (Friedens-)Bedrohung erfasst Sachverhalte, aus denen sich typischerweise Gefahren für den Weltfrieden oder die internationale Sicherheit ergeben.Die SR-Resolution 1373 (2001) stuft gerade nicht nur die terroristischen Aktivitäten der Al-Qaida, die hinter den Anschlägen vom 11.09.2001 stehen, als Friedensbedrohung ein, sondern den internationalen Terrorismus als solchen ("[...],like any act of international terrorism, constitute a threat to international peace and security").Bemerkenswert ist, dass die den Mitgliedsstaaten angeordneten Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung solchen aus anderen völkerrechtlichen Übereinkommen entsprechen.

5. Auf abstrakte Friedensbedrohungen kann der UN-Sicherheitsrat nur mit abstrakt-generellen Maßnahmen reagieren. Dies ist mit Blick auf die unbeschränkten Kompetenzen des Sicherheitsrats unproblematisch.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung beschränkt das Handeln einer internationalen Organisation auf die ihr im Gründungsvertrag von den Vertragsstaaten eingeräumten Kompetenzen. Handelt eine internationale Organisation bzw. eines ihrer Organe in Überschreitung dieser Kompetenzen ("ultra vires"), ist ihr Handeln völkerrechtswidrigDas Ergreifen abstrakt-genereller Maßnahmen durch den UN-Sicherheitsrat ist problematisch, weil sich der UN-Sicherheitsrat faktisch Legislativkompetenz selbst einräumt, die die UN-Charta nicht ausdrücklich vorsieht. Die UN-Charta räumt dem Sicherheitsrat keine unbeschränkten Kompetenzen und keine Kompetenz-Kompetenz ein.

6. Durch das Ergreifen abstrakt-genereller Maßnahmen als Reaktion auf abstrakte Friedensbedrohungen überschreitet der UN-Sicherheitsrat seine Kompetenzen.

Nein!

Maßgeblich für die Bestimmung der Kompetenzen einer internationalen Organisation sind die Befugnisse, die ihr im Text des jeweiligen völkerrechtlichen Vertrags ausdrücklich eingeräumt werden. Allerdings lassen die sog. implied powers Ausnahmen zu, wenn internationale Organisationen zur Wahrnehmung ihrer vertraglich festgelegten Aufgaben bestimmte, nicht festgelegte Befugnisse benötigen.Die effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus fällt unter die Kernaufgaben des UN-Sicherheitsrats (vgl. Art. 1 Abs. 1, 24 Abs. 1 UN-Charta) und erfordert angesichts ihrer Vielgestaltigkeit auch abstrakt-generelle Maßnahmen. Deshalb sind eingeschränkte Legislativkompetenzen in diesem Bereich im Sinne der implied powers zulässig (str.).

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