Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2020
Reichweite des Durchgriffsverbots (Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG) ("Kommunales Bildungspaket")
Reichweite des Durchgriffsverbots (Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG) ("Kommunales Bildungspaket")
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der Bundesgesetzgeber beschließt ein kommunales Bildungspaket, um Kinder aus sozial schwächeren Familien besser zu unterstützen. Verantwortlich für die Leistungen sind die Kommunen. Die kreisfreie Stadt S macht geltend, dass die Vorschriften gegen Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG verstoßen.
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Einordnung des Falls
Reichweite des Durchgriffsverbots (Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG) ("Kommunales Bildungspaket")
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 16 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Mit der Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG) kann allein die Verletzung von Art. 28 Abs. 2 GG gerügt werden.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG bestimmt das verfassungsrechtliche Bild kommunaler Selbstverwaltung mit. Die Kommunalverfassungsbeschwerde ist statthaft.
Ja!
3. Es besteht die Möglichkeit, dass S durch die Vorschriften des kommunalen Bildungspakets in ihrem Recht aus Art. 84 Abs. 1 S. 7 i.V.m. Art. 28 Abs. 2 S. 1 und 3 GG verletzt und somit beschwerdebefugt ist.
Genau, so ist das!
4. Das Subsidiaritätserfordernis (§ 91 S. 2 BVerfGG) ist erfüllt.
Ja, in der Tat!
5. Die Vorschriften wurden am 29.03.2011 im Bundesgesetzblatt verkündet und rückwirkend zum 01.01.2011 in Kraft gesetzt. Die Kommunalverfassungsbeschwerde wurde am 27.03.2012 erhoben und ist somit verfristet.
Nein!
6. Art. 28 Abs. 2 GG schützt die Kommunen nicht nur vor einer Entziehung von Aufgaben, sondern auch vor einer Aufgabenzuweisung.
Genau, so ist das!
7. Das Recht auf Selbstverwaltung wird durch das Durchgriffsverbot des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG näher ausgestaltet.
Ja, in der Tat!
8. Eine Aufgabenübertragung i.S.v. Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG liegt vor, wenn ein Bundesgesetz den Kommunen erstmals eine bestimmte Aufgabe zuweist.
Ja!
9. Eine Aufgabenübertragung i.S.v. Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG liegt nicht vor, wenn eine bereits bundesgesetzlich übertragene Aufgabe erweitert wird.
Nein, das ist nicht der Fall!
10. Vorliegend müssen die Kommunen einem erweiterten Kreis an Leistungsberechtigen zusätzliche Leistungen gewähren. Dies begründet in erheblichem Umfang neue Aufgaben für die Kommunen.
Ja, in der Tat!
11. Das Bildungspaket macht die Gewährung der Leistungen von tatbestandlichen Restriktionen, Angemessenheit und Erforderlichkeit abhängig. Auch dadurch entstehen neue Lasten für die Kommunen.
Ja!
12. Die Übergangsregelung des Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG beschränkt das Durchgriffsverbot des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG.
Genau, so ist das!
13. Eine Anpassung bundesgesetzlich bereits zugewiesener Aufgaben an veränderte ökonomische und soziale Umstände ist nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG zulässig.
Ja, in der Tat!
14. Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG erlaubt dem Bund als Ausnahme von Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG die Fortentwicklung seines Regelungswerks innerhalb gewisser Grenzen. Das kommunale Bildungspaket überschreitet diese Grenze.
Ja!
15. Die erfolgreiche Kommunalverfassungsbeschwerde führt stets zur Nichtigkeit der Regelungen.
Nein, das ist nicht der Fall!
16. Vorliegend sind die mit dem Grundgesetz unvereinbaren Regelungen des Bildungspakets bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar.
Ja, in der Tat!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
🔥1312🔥
7.5.2022, 08:12:19
Ich glaube ich hab ein paar Lücken bei der Frage von der Regelung und Zuständigkeit von Sozialleistungen. Wenn das SGB (genaue Norm habe ich mir nicht gemerkt) festlegt, dass die Kommunen für die Wahrnehmung der Sozialleistungen zuständig sind, wird dann nicht jede Bundesrechtliche Regelung zwangsläufig immer vor dem Problem des Art. 84 I 7 stehen? Aber es kann doch auch nicht sein, dass die Sozialleistungen in Deutschland davon abhängen in welchem Bundesland/welcher Gemeinde man nun zufällig wohnt. Also wie könnte denn eine Regelung des Bundes mit einem vergleichbaren Inhalt aussehen, die nicht gegen Art. 28, 84 I 7 verstößt?
Lukas_Mengestu
10.5.2022, 12:53:11
Hallo 1312, sehr gute Frage. Für das Bildungs- und Teilhabepaket wurde das Problem nun so gelöst, dass einfach eine gesonderte Zuständigkeitsregelung geschaffen wurde (§ 34c SGB XII). Das heißt, dass nun nicht automatisch die Kommunen die entsprechenden Leistungen zu tragen haben. Vielmehr wird die Trägerschaft nun nach Landesrecht bestimmt. Dadurch wird nicht mehr gegen das Durchgriffsverbot verstoßen (BeckOK SozR/Gebhardt, 64. Ed. 1.3.2022, SGB XII § 34c Rn. 4). Zwischenzeitlich war auch überlegt worden, den § 3 Abs. 2 SGB XII ganz zu ändern, was aber auf Betreiben des Bundesrates letztlich unterlassen wurde (BeckOK SozR/Gebhardt, 64. Ed. 1.3.2022, SGB XII § 34c Rn. 3). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Im🍑nderabilie
8.1.2023, 16:49:15
Wenn das als Examensklausur drankommt… Tschö mit ö
Lukas_Mengestu
9.1.2023, 17:06:31
Nicht verzagen, Im🍑nderabilie! Gerade bei exotischeren Klausuren/Themenstellungen wirst Du im Examen zahlreiche Hinweise im Sachverhalt finden. Wichtig ist, dass Du Dir in der Vorbereitung vor allem das Grundgerüst aneignest, hier also zB den Aufbau einer Kommunalverfassungsbeschwerde und die Hinweise dann entsprechend zuordnen kannst :-) Beste Grüße und weiterhin viel Erfolg, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Natze
12.1.2024, 14:55:08
ich bin mir unsicher, ob ich es richtig verstanden habe. als Bsp: Das bundesrechtliche VersG gilt weiterhin, soweit das jeweilige Land nicht von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat. Hat der Bundesgesetzgeber noch die Möglichkeit Änderungen (!) im BundesVersG durchzuführen (falls er jetzt gravierenden Bedarf sehen würde)?
Johannes Nebe
8.5.2024, 17:22:35
Ich würde doch sagen, Aufgabenzuweisungen, die von vor September 2006 stammen, gelten gemäß Art. 125a I 2 GG weiter fort. Warum hier "vorbehaltlich" statt "gemäß"? Art. 125 I 2 GG ist für das Durchgriffsverbot ein Vorbehalt, für die Fortgeltung aber eine Rechtfertigung. Verstehe ich das falsch?