Einführung - "Nur SPASS(-Gesetze)" (F)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Die in den Bundestag gewählte SPASS-Partei bringt ihr erstes „Nur-Spaß-Gesetz“ (NSG) als Gesetzesvorlage ein: Sie will den Sitz der Bundesregierung nach Haßloch verlegen (§ 1), die Altersversorgung für verwitwete Korbflechter verbessern (§ 2) und vorschreiben, dass im Matheunterricht nur noch mit Primzahlen gerechnet werden darf (§ 3).

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Einordnung des Falls

Einführung - "Nur SPASS(-Gesetze)" (F)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Grundsätzlich haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).

Genau, so ist das!

Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG regelt den Grundsatz der Länderzuständigkeit für die Gesetzgebung. Fehlt es an einer geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sind demnach die Länder zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Der Grundsatz der Länderzuständigkeit (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG) ist Ausgangspunkt jeder Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen. Wenn Du diesen Grundsatz nicht zum Einstieg erläuterst, wird Dir unterstellt, dass Du die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern nicht verstehst.
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2. Der Bund ist ausnahmsweise für §§ 1-3 NSG zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 2 GG), weil ein geschriebener Kompetenztitel des Bundes besteht.

Nein, das trifft nicht zu!

Für die drei Vorhaben ist weder ein ausschließlicher, noch ein konkurrierender Kompetenztitel des Bundes dem GG ausdrücklich zu entnehmen.

3. Gibt es neben den geschriebenen Gesetzgebungskompetenzen auch ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen des Bundes?

Ja!

Anerkannte ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen sind (1) die Annexkompetenz, (2) die Kompetenz kraft Sachzusammenhang und (3) die Kompetenz kraft Natur der Sache. Sie kommen meist vor, wenn eine Regelung durch den Bund naheliegt, aber die Verfassung diesbezüglich keine (klare) Aussage trifft. Es gibt keinen geschriebenen Kompetenztitel des Bundes für die Festlegung der Sitze der Verfassungsorgane des Bundes. Eine Zuweisung an die Länder nach allgemeinen Grundsätzen (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG) ist aber widersinnig. Teile der Literatur gehen davon aus, dass es sich hierbei größtenteils um Kompetenzen handelt, die sich im Wege der (systematischen oder teleologischen) Auslegung der Begriffe der geschriebenen Kompetenztitel ergeben. Sie sind demnach nicht „ungeschrieben“, sondern „stillschweigend mitgeschrieben“.

4. Die geschriebenen Gesetzgebungskompetenzen gehen den ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen vor.

Genau, so ist das!

Bevor Du auf ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen zurückgreifst, solltest Du sicher gehen, dass - selbst nach extensiver Auslegung - kein geschriebener Kompetenztitel einschlägig ist.

5. Die Verlegung des Sitzes der Bundesregierung nach Haßloch (§ 1 NSG) unterfällt einer ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz.

Ja, in der Tat!

Eine Kompetenz kraft Natur der Sache besteht, wenn ein Sachgebiet „begriffsnotwendig“ nur vom Bund geregelt werden kann. Der Sitz der Verfassungsorgane des Bundes (!) kann begriffsnotwendig auch nur allein durch den Bund geregelt werden. Es wäre widersinnig, diese Frage den 16 Ländern zu überlassen. Art. 22 Abs. 1 S. 1 GG bestimmt zwar die Hauptstadt der BRD. Damit ist aber über den Sitz der Bundesregierung nichts gesagt.

6. Die Verbesserung der Altersversorgung für verwitwete Korbflechter (§ 2 NSG) unterfällt einer ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz.

Ja!

Die Kompetenz kraft Sachzusammenhang setzt voraus, dass eine dem Bund zugewiesene Materie „verständigerweise nicht geregelt werden kann“, ohne dass zugleich das fragliche Sachgebiet mitgeregelt wird. Die Kompetenz kraft Sachzusammenhang knüpft an bestehende Kompetenztitel an. Die Altersversorgung der verwitweten Korbflechter steht im Sachzusammenhang mit dem Recht des Handwerks (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Var. 1 GG). Die Altersversorgung regelt Fragen wie die Altersgrenzen für die Berufsausübung und die Versorgungsleistungen, die die Handwerkstreibenden erhalten. Diese Fragen beeinflussen die handwerkliche Tätigkeit in einem Maße, dass sie verständigerweise mitgeregelt werden müssen (vgl. BVerfGE 1, 264, 271-272).

7. Das Gebot, im Mathematikunterricht nur noch mit Primzahlen zu rechnen (§ 3 NSG), unterfällt einer ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz.

Nein, das ist nicht der Fall!

Diese Regelung betrifft allein das Recht der schulischen Bildung, das Ländersache ist (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Eine ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz hierfür scheidet daher aus. Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen müssen restriktiv gehandhabt werden und sind daher äußerst selten. Länderkompetenzen dürfen nicht mit ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes ausgehöhlt werden. Wenn Du unsicher bist, ob eine ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes vorliegt, solltest Du die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Zweifel ablehnen und beim Grundsatz der Länderzuständigkeit bleiben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

HannaHaas

HannaHaas

9.10.2023, 13:15:12

Wie geht man in einem solchen Fall vor, wenn man feststellt dass eine Regelung (hier § 3) nicht der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes unterfällt.. ist dann lediglich diese Regelung nichtig und das restliche NSG wird auf das Verfahren weitergeprüft?

Paul König

Paul König

11.10.2023, 18:04:54

Hey @[Rébecca Haas](201390), genau so ist es! Diese Teilnichtigkeit kommt in der Praxis sogar ziemlich häufig vor. Beste Grüße - Paul (für das Jurafuchs-Team) @[Lukas_Mengestu](136780) @[

Nora Mommsen

](178057)

HannaHaas

HannaHaas

13.10.2023, 16:12:20

Vielen Dank für deine Hilfe Paul! liebe Grüße!

NIE

Nielas

31.12.2023, 14:22:47

Liebes Jurafuchs-Team, es wäre super, wenn ihr bezüglich der ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen eine "Ordne zu"-Aufgabe (ähnlich wie die Aufgabe "Zustandekommen des Gesetzes - fein (Art. 78 GG)") mit verschiedenen Geboten zum Zuordnen erstellen könntet. Das würde meiner Meinung nach das Verständnis für die verschiedenen ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen noch einmal deutlich stärken. Viele Grüße und danke für eure Arbeit


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