Keine ungeschriebene Kompetenz: "Germany TV"

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bundeskanzlerin B möchte mit dem „Gutes-Fernsehen-Gesetz“ (GFG) einen Fernsehsender des Bundes („TV Germany“) aufbauen und betreiben. Der Sender soll bundesweit ausgestrahlt werden, um die politische Einheit im Land zu fördern.

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Einordnung des Falls

Keine ungeschriebene Kompetenz: "Germany TV"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Grundsätzlich haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).

Genau, so ist das!

Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG regelt den Grundsatz der Länderzuständigkeit für die Gesetzgebung. Fehlt es an einer geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sind demnach die Länder zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Der Grundsatz der Länderzuständigkeit (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG) ist Ausgangspunkt jeder Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen. Wenn Du diesen Grundsatz nicht zum Einstieg erläuterst, wird Dir unterstellt, dass Du die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern nicht verstehst.
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2. Der Bund ist ausnahmsweise für das GFG zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 2 GG), weil ein geschriebener Kompetenztitel des Bundes vorliegt.

Nein, das trifft nicht zu!

Allein der ausschließliche Kompetenztitel für Telekommunikation (Art. 73 Abs. 1 Nr. Alt. 2 GG) kommt in Betracht. Unter Telekommunikation (Art. 73 Abs. 1 Nr. Alt. 2 GG) versteht man lediglich die technische Seite der Errichtung einer Telekommunikationsinfrastruktur und der Informationsübermittlung. Nicht erfasst sind Regelungen, über die übermittelten Inhalte oder die Art der Nutzung der Telekommunikation. Das GFG regelt nicht die technische Seite von Telekommunikationsinfrastruktur und Informationsübermittlung, sondern trifft inhaltliche Regelungen für den Aufbau und Betrieb eines Fernsehsenders.

3. Es besteht eine ungeschriebene Annexkompetenz des Bundes für das GFG.

Nein!

Eine Annexkompetenz liegt vor, wenn das Sachgebiet in einem „untrennbaren Zusammenhang“ mit einem Kompetenztitel des Bundes steht. Die Annexkompetenz knüpft an bestehende Kompetenztitel an. Sie erweitert diese bestehende Kompetenz „in die Tiefe“. Ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der technischen Seite der Telekommunikationsinfrastruktur und der Informationsübermittlung und Aufbau und Betrieb eines Fernsehsenders ist nicht gegeben. Denn die technische Funktionsfähigkeit der Telekommunikation ist unabhängig von der Existenz von „TV Germany“.

4. Es besteht eine Kompetenz des Bundes kraft Sachzusammenhang für das GFG.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Kompetenz kraft Sachzusammenhang setzt voraus, dass eine dem Bund zugewiesene Materie „verständigerweise nicht geregelt werden kann“, ohne dass zugleich das fragliche Sachgebiet mitgeregelt wird. Die Kompetenz kraft Sachzusammenhang knüpft an bestehende Kompetenztitel an. Sie erweitert diese bestehende Kompetenz „in die Breite“. Eine gute Kontrollfrage ist immer: Können die Länder das Problem auch im gemeinsamen Zusammenwirken ohne den Bund lösen? Hier musst du streng sein: Das BVerfG hat diese Frage sogar für die einheitliche Rechtschreibung (!) verneint, weil die Länder die sprachliche Einheitlichkeit im Wege der Selbstkoordination herstellen könnten (BVerfGE 98, 218, 249). Aufbau und Betrieb von „TV Germany“ müssen verständigerweise nicht zugleich mit der der technischen Seite der Telekommunikationsinfrastruktur und der Informationsübermittlung mitgeregelt werden. Diese beiden Sachbereiche bestehen völlig separat voneinander. Zudem ist es den Ländern möglich, eigene Fernsehprogramme zu unterhalten und ggf. zusammenzuarbeiten, um das Ziel der politischen Einheit zu verfolgen.

5. Es besteht eine Kompetenz des Bundes kraft Natur der Sache für das GFG.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Kompetenz kraft Natur der Sache besteht, wenn ein Sachgebiet „begriffsnotwendig“ nur vom Bund geregelt werden kann. Die Kompetenz kraft Natur der Sache benötigt keinen normativen Anknüpfungspunkt im GG. Der Betrieb und Aufbau von Fernsehprogrammen ist den Ländern aber durchaus möglich (siehe NDR, WDR, MDR, etc.), weshalb eine bundesgesetzliche Regelung nicht begriffsnotwendig ist. Zudem ist eine Selbstkoordination der Länder auf diesem Gebiet möglich und praktisch gängig.

6. Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz für das GFG.

Nein!

Das Grundgesetz hat dem Bund keine geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen für Betrieb und Aufbau eines Fernsehsenders verliehen (Art. 70 Abs. 1 Hs. 2 GG). Daher haben nach dem Grundsatz der Länderzuständigkeit ausschließlich die Länder das Recht der Gesetzgebung (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Das GFG ist daher formell verfassungswidrig.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ON

onlyjura

11.7.2023, 21:21:53

Aber kann ein Fernsehsender des Bundes nicht begriffsnotwendig nur vom Bund geregelt werden, sodass eine

Kompetenz Kraft Natur der Sache

vorliegen könnte? Oder scheitert das an der restriktiven Auslegung der ungeschriebenen Kompetenzen?

DIAA

Diaa

5.10.2023, 11:43:35

Das hätte ich auch gerne gewusst...

KI

kim.

5.2.2024, 01:48:25

Ich auch... was ist denn mit ARD und ZDF, sind die nicht genau das?


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