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Klassisches Klausurproblem

Lawra (L) will wissenschaftliche Hilfskraft bei Professorin P werden. Um besser dazustehen behauptet sie auf Nachfrage wahrheitswidrig, sie habe im Abitur einen Schnitt von 1,0 gehabt. P stellt sie ein. Kurz darauf fliegt alles auf.

Einordnung des Falls

Fragerecht des Arbeitgebers - Generell zulässige Fragen (Abitur)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Müssen Bewerberinnen sämtliche Fragen der Arbeitgeber wahrheitsgemäß beantworten?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der Rechtsprechung des BAG steht dem Arbeitgeber bei der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses (=vorvertragliche Pflichten) nur dann ein Fragerecht zu, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies „erfordert“. Hierfür bedarf es eines berechtigten, billigenswerten, schutzwürdigen Interesses. Dieses muss so stark sein, dass dahinter das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre zurücktritt. Bei der Interessenabwägung sind auf Seiten des Arbeitnehmers auch die geltenden Datenschutzbestimmungen (BDSG, DSGVO), Antidiskriminierungsvorschriften (AGG, § 75 Abs. 1 BetrVG) und die Wertentscheidungen des Bundeszentralregisters (BZRG) zu berücksichtigen.

2. Muss P die L weiterbeschäftigen?

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Nein, das trifft nicht zu!

Sofern der Arbeitnehmer auf eine zulässige Frage bewusst eine falsche Antwort gibt, so ist die Arbeitgeberin berechtigt, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten (§ 123 BGB).L hat vorsätzlich P über ihre Abiturnoten getäuscht. P ist somit berechtigt, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten (§ 123 BGB).Daneben stehen der Arbeitgeberin unter Umständen Schadensersatzansprüche aus vorvertraglicher Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB, 241 Abs. 2 BGB) bzw. aus Delikt (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB) zu.Statt der Anfechtung käme auch eine außerordentliche Kündigung (§ 626 BGB) in Betracht. Die Anforderungen der Arglistanfechtung sind allerdings geringer (zB Jahresfrist statt Zwei-Wochenfrist), sodass diese in der Regel zweckmäßiger ist.

3. Darf P die L im Bewerbungsgespräch nach den Abiturnoten fragen?

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Ja, in der Tat!

Arbeitgeber dürfen im Bewerbungsgespräch nur Fragen stellen, hinsichtlich derer ihnen ein berechtigtes, billigenswertes, schutzwürdiges Interesse zusteht. Dieses muss so stark sein, dass dahinter das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre zurücktritt. Aufgrund ihrer geringen Eingriffsintensität und des berechtigten Interesses des Arbeitgebers sind dabei Fragen nach der fachlichen Qualifikation, der Ausbildung, den Ergebnissen einschlägiger Prüfungen oder dem beruflichen Werdegang generell zulässig.Bei dem Abiturzeugnis handelt es um das zusammenfassende Ergebnis von Ls schulischer Ausbildung. Die Kenntnis der richtigen Noten ist für P deshalb von wesentlicher Bedeutung.

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SCH

Schrobl

3.1.2023, 17:44:26

Daneben könnte P sich auch mittels fristloser Kündigung gem. § 626 BGB lösen, oder? Die arglistige Täuschung dürfte ja i.v.F. einen wichtigen Grund darstellen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.1.2023, 16:10:00

Hallo Schrobl, in der Tat kommt auch eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Da die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen Arglist insgesamt aber geringer sind (zB Jahresfrist statt Zwei-Wochenfrist, keine Interessenabwägung, Betriebsratsbeteiligung, ...) dürfte sich der Arbeitgeber regelmäßig für die Anfechtung entscheiden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.3.2023, 19:04:08

Wir haben diesen guten Hinweis nunmehr auch in der Aufgabe ergänzt :-)

IS

IsiRider

14.10.2023, 09:34:21

Dann liegt hier ein fehlerhafter Arbeitsvertrag vor, der schon in Vollzug gesetzt wurde, so dass die AN dennoch Gehalt bekommt oder?

LELEE

Leo Lee

14.10.2023, 14:13:40

Hallo IsiRider, genauso ist es! Bei einer Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen §§ 119, 123 BGB wird so getan, als sei das Verhältnis bisher "ordnungsgemäß" zustandgekommen, weil die Rückabwicklung praxisuntauglich wäre. D.h., dass der Arbeitnehmer seinen Lohn nicht zurückzahlen muss gem. § 812 I 1 Alt. 1 BGB. Der Arbeitgeber kann sich allerdings ohne sich an die Kündigungsregeln/-fristen zu halten, sofort das Arbeitsverhältnis auflösen durch eine Kündigung (sog. Lossagung). Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB, 8. Auflage Spinner § 611a Rn. 554 empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo


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