Zivilrechtliche Nebengebiete

Arbeitsrecht

Begründung und Mängel des Arbeitsverhältnisses

Fragerecht des Arbeitgebers – Generell unzulässige Frage (Schwangerschaft)

Fragerecht des Arbeitgebers – Generell unzulässige Frage (Schwangerschaft)

11. Juli 2025

16 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Lawra (L) ist schwanger. Sie bewirbt sich in einem Labor, in dem an Coronaviren geforscht wird. Forscherin F befragt die L nach einer etwaigen Schwangerschaft, da Schwangere nicht ins Labor dürfen. L behauptet wahrheitswidrig, nicht schwanger zu sein.

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Einordnung des Falls

Fragerecht des Arbeitgebers – Generell unzulässige Frage (Schwangerschaft)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Müssen Bewerberinnen sämtliche Fragen der Arbeitgeber wahrheitsgemäß beantworten?

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der Rechtsprechung des BAG steht der Arbeitgeberin bei der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses (=vorvertragliche Pflichten) nur dann ein Fragerecht zu, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies „erfordert“. Hierfür bedarf es eines berechtigten, billigenswerten, schutzwürdigen Interesses. Dieses muss so stark sein, dass dahinter das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre zurücktritt. Bei der Interessenabwägung sind aufseiten des Arbeitnehmers auch die geltenden Datenschutzbestimmungen (BDSG, DSGVO), Antidiskriminierungsvorschriften (AGG, § 75 Abs. 1 BetrVG) und die Wertentscheidungen des Bundeszentralregisters (BZRG) zu berücksichtigen.
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2. Kann F den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Bewerberin ist bei einer unzulässigen Frage nicht nur berechtigt, zu schweigen. Vielmehr darf sie auf eine unzulässige Frage auch die Unwahrheit sagen, ohne dass der Arbeitgeber zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigt ist. Denn es fehlt insoweit an dem ungeschriebenen Merkmal der widerrechtlichen Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB).Da die Frage nach der Schwangerschaft unzulässig ist, ist Ls falsche Antwort zulässig. Es fehlt damit an einer widerrechtlichen Täuschung und somit an einem Anfechtungsgrund.Auch eine Kündigung scheidet aus, da zugunsten von Schwangeren das Mutterschutzgesetz einen besonderen Kündigungsschutz vorsieht (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG).Praktisch folgt daraus, dass sich Schwangere also auch dann bewerben können, wenn ihnen klar ist, dass sie erstmal keinen einzigen Tag arbeiten können. Über das Umlageverfahren wird dieses Risiko der Arbeitsunfähigkeit gesellschaftlich verteilt.

3. Die mit einer Schwangerschaft verbundenen Ausfallzeiten stellen eine organisatorische Belastung des Arbeitgebers dar, weswegen er ein Interesse an dieser Information hat.

Ja!

Grundsätzlich besteht ein berechtigtes, billigenswertes, schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers, wenn die Beantwortung der Frage für den angestrebten Arbeitsplatz und die zu verrichtende Tätigkeit selbst von Bedeutung ist.Die Verfügbarkeit und Einsetzbarkeit der Arbeitnehmerin ist für den Arbeitgeber zwangsläufig eine wesentliche Voraussetzung für die ordnungsgemäße Erfüllung des Arbeitsvertrags. Entsprechend hat er ein Interesse daran, Informationen über Umstände zu erhalten, die der uneingeschränkten Verfügbarkeit entgegenstehen. Allein schon wegen der gesetzlichen Schutzfristen vor und nach der Entbindung ist eine Schwangerschaft mit Ausfallzeiten verbunden (§ 3 Abs. 1, 2 MuSchG). Je nach Art der Tätigkeit kommen weitere Einschränkungen der Einsatzmöglichkeit hinsichtlich Art und Umfang hinzu (vgl. § 11 MuSchG).

4. F erleidet im Hinblick auf das Entgelt, dass sie L während ihrer Schwangerschaft zahlen muss, obwohl L nicht im Labor arbeiten darf, einen finanziellen Nachteil.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Belastung des Arbeitgebers beschränkt sich primär auf die Organisation einer Vertretung bzw. die Umverteilung der Arbeit. Während der gesetzlichen Schutzfristen erhält die Schwangere bzw. junge Mutter Mutterschaftsgeld (§ 19 Abs. 1 MuSchG) von der Krankenkasse. Soweit der Arbeitgeber hierzu einen Zuschuss zahlen muss (§ 20 Abs. 1 MuSchG) bzw. er Mutterschutzlohn für Freistellungszeiträume außerhalb der Mutterschutzfristen zu zahlen hat (§ 18 MuSchG), so erhält er die geleisteten Zahlungen in vollem Umfang von den Krankenkassen zurück (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 + 2 AAG).F wird für alle zu leistenden Lohnfortzahlungen finanziell entschädigt.Es handelt sich hierbei um ein Umlageverfahren. Alle Arbeitgeber sind gemeinschaftlich verpflichtet, die von den Krankenkassen hierfür aufgewendeten Mittel aufzubringen (§ 7 Abs. 1 AAG). Dadurch soll das „Risiko Schwangerschaft“ gleichmäßig auf alle verteilt werden.

5. Die Frage nach der Schwangerschaft stellt eine unmittelbare Benachteiligung schwangerer Bewerberinnen wegen ihres Geschlechts dar (§ 3 Abs. 1 AGG).

Ja, in der Tat!

§ 3 Abs. 1 AGG: Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AGG auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.Die Verweigerung einer Einstellung wegen Schwangerschaft kommt nur gegenüber Frauen in Betracht und stellt daher eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar. Aus diesem Grund stellt bereits eine hierauf zielende Frage nach der Schwangerschaft im Bewerbungsgespräch eine unmittelbare Diskriminierung dar.

6. Ist die Benachteiligung gerechtfertigt (§ 8 Abs. 1 AGG), weil L aufgrund ihrer Schwangerschaft von Anfang an nicht im Labor arbeiten kann (§ 11 Abs. 2 S. 1 MuSchG)?

Nein!

Das BAG hatte bis 2003 vertreten, dass für die Frage nach der Schwangerschaft zumindest dann ein sachlicher Rechtfertigungsgrund vorliege, wenn für die Arbeitnehmerin von vornherein ein gesetzliches Beschäftigungsverbot eingreifen würde (vgl. § 8 Abs. 1 AGG).Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH (NZA 2000, 255) ist das BAG (NZA 2003, 848) davon mittlerweile abgerückt. Jedenfalls bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen trete das vorübergehende Beschäftigungshindernis hinter dem Schutzzweck der Antidiskriminierungsvorschriften zurück. Denn für die Tätigkeit selbst sei das Geschlecht insoweit nicht entscheidend. Im Anschluss an den Mutterschutz könne die Bewerberin ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Das deutsche AGG dient der Umsetzung einer Reihe von europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien. Aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht folgt, dass deutsche Gerichte sich bei der Auslegung des AGG am Wortlaut und Zweck der europäischen Richtlinien orientieren müssen. Da die Auslegung europäischen Rechts wiederum allein dem EuGH obliegt (Art. 267 Abs. 1 AEUV), ist seine diesbezügliche Rechtsprechung von den nationalen Gerichten zu beachten.

7. Darf F die L nach ihrer Schwangerschaft fragen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Arbeitgeberin steht beim Bewerbungsgespräch nur dann ein Fragerecht zu, wenn ihr Interesse an der Information das Interesse der Arbeitnehmerin an der Geheimhaltung überwiegt. L kann aufgrund ihrer Schwangerschaft zunächst nicht im Labor arbeiten (§ 11 Abs. 2 S. 1 MuSchG iVm § 2 Abs. 3 BioStoffV). Fs Informationsbedürfnis steht aber das Interesse der L an diskriminierungsfreier Einstellung gegenüber. Da das Beschäftigungshindernis lediglich temporär ist, überwiegen insoweit die Wertungen des Antidiskriminierungsrechts (AGG). Entsprechend ist die Frage unzulässig.Da das Antidiskriminierungsrecht die Interessenabwägung stets zugunsten der Arbeitnehmerin ausfallen lässt, wird die Frage nach der Schwangerschaft auch als generell unzulässig bezeichnet.Entsprechend trifft L auch keine Aufklärungspflicht aus Treu und Glauben.
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