Rücknahme eines belastenden VAs: § 48 Abs. 1 VwVfG: Nichtigkeit der Ermächtigungsgrundlage


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Ein neues Gesetz ermächtigt die Gemeinde G, einzelnen Hauseigentümern die Struktur der Außenfassade vorzugeben. G verfügt gegenüber E, dass er an seiner Außenfassade Kreuze anbringen muss. Noch bevor der Verwaltungsakt bestandskräftig ist, wird das Gesetz vom BVerfG für nichtig erklärt.

Einordnung des Falls

Rücknahme eines belastenden VAs: § 48 Abs. 1 VwVfG: Nichtigkeit der Ermächtigungsgrundlage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Verwaltungsakte können nur von Gerichten aufgehoben werden.

Nein!

Auch Behörden können Verwaltungsakte aufheben. Die behördliche Aufhebung richtet sich nach §§ 48-50 VwVfG, sofern keine Spezialvorschriften einschlägig sind. Spezieller sind z.B. die Aufhebung eines Verwaltungsakts im Vorverfahren (§§ 68ff. VwGO) oder die Aufhebung einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis (§ 15 GastG). Bei der Aufhebung nach §§ 48-50 VwVfG unterscheidet man zwischen der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte (§ 48 VwVfG) und dem Widerruf rechtmäßiger Verwaltungsakte (§ 49 VwVfG). Außerdem ist es entscheidend, ob der aufgehobene Verwaltungsakt begünstigend (§ 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2-4 VwVfG, § 49 Abs. 2, 3, 6 VwVfG) oder belastend (§ 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG, § 49 Abs. 1 VwVfG) ist.

2. Maßgeblich für die Frage, ob ein Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist, ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses.

Genau, so ist das!

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob ein Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist, ist grundsätzlich der Erlass des Verwaltungsakts. Ist ein Verwaltungsakt im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig, bleibt er es grundsätzlich auch dann, wenn sich die Sach- oder Rechtslage später ändert und die Behörde den Verwaltungsakt zukünftig so nicht mehr erlassen dürfte. Die Aufhebung des Verwaltungsakts richtet sich dann also nach § 49 VwVfG (Widerruf).

3. Weil die Ermächtigungsgrundlage nichtig ist, ist der an E gerichtete Verwaltungsakt rechtswidrig. G kann ihn nach § 48 VwVfG zurücknehmen.

Ja, in der Tat!

Ist ein Verwaltungsakt im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig, bleibt er es grundsätzlich auch dann, wenn sich die Sach- oder Rechtslage später ändert. Wird dagegen die gesetzliche Rechtsgrundlage, auf der der Erlass des Verwaltungsakts beruht, vom BVerfG für nichtig erklärt, ändert das nicht die Rechtslage, sondern stellt nur deklaratorisch fest, dass das Gesetz von Anfang an (ex tunc) rechtswidrig war. Deshalb war auch der auf dem rechtswidrigen Gesetz beruhende Verwaltungsakt bereits im Zeitpunkt des Erlasses rechtswidrig. Der gegenüber E erlassene Verwaltungsakts war wegen rechtswidriger Rechtsgrundlage von Anfang an rechtswidrig.

4. Dass E an seiner Außenfassade Kreuze anbringen soll, ist ein belastender Verwaltungsakt. Eine Rücknahme richtet sich deswegen nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG.

Ja!

Ein Verwaltungsakt ist belastend, wenn die Regelung nachteilig für den Adressaten ist. Ein belastender Verwaltungsakt kann, "auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden" (§ 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG). Der Verwaltungsakt verpflichtet E dazu, eine bestimmte Handlung vorzunehmen. Er ist damit zumindest in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) betroffen. Dazu kommt, dass die Verpflichtung zur Gestaltung der Außenfassade E's Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) betrifft.

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TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

11.8.2021, 08:19:12

Die letzte Aussage ist mE falsch. Weil der VA belastend ist, richtet sich die Rücknahme doch nach 48 I *2* (iVm II-IV) 🤔

VIC

Victor

12.8.2021, 08:45:06

Gerade nicht. Der S. 2 bezieht sich doch auf begünstigende VA und hier ist S. 1 einschlägig

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

12.8.2021, 08:54:23

🤦 danke Victor!! Da war ich offensichtlich zu blöd zum Lesen 🙈🙈

GEAS

Geasoph

1.9.2021, 17:17:51

Wäre der VA bereits bestandskräftig, bliebe er, wenn er auf einem vom BVerfG für nichtig erklärten Gesetz beruht, von der Nichtserklärung nach 79 II 1 BVerfGG unberührt, oder?

AL

AliDaei24

21.10.2021, 16:21:53

mE kommt es auf die Bestandskraft hier gerade nicht an. Darauf käme es etwa an, wenn es darum geht, ob der Adressat einen Anspruch auf Rücknahme (nicht Widerruf) hat.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

7.12.2021, 19:29:51

Hallo Geasoph, AliDaei24 hat recht, es kommt nicht auf die Bestandskraft an. Denn nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 1 (L)VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt zurückgenommen werden auch nachdem er unanfechtbar (= bestandskräftig) geworden ist. Aber nur zur sauberen Terminologie: Die auf ein Gesetz bezogene Nichtigkeitserklärung des BVerfG beseitigt einen Verwaltungsakt nicht, der auf dem nichtigen Gesetz beruhte, - egal ob bestandskräftig oder nicht - , sondern führt ex tunc zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und ermöglicht der Behörde die Rücknahme des Verwaltungsakts. Hoffe das hilft. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team


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