Öffentliches Recht

Grundrechte

Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)

Recht auf Selbstbestimmung: Recht des Straftäters auf Resozialisierung

Recht auf Selbstbestimmung: Recht des Straftäters auf Resozialisierung

19. Mai 2025

12 Kommentare

4,8(20.084 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Strafgefangener S muss eine Freiheitsstrafe verbüßen. Ihm wird eine tägliche Pflichtarbeit als Reinigungskraft im Gefängnis zugewiesen. Diese Arbeit wird nicht vergütet.

Diesen Fall lösen 80,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Recht auf Selbstbestimmung: Recht des Straftäters auf Resozialisierung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S unterliegt als Strafgefangener einem besonderen Gewaltverhältnis. Er kann sich nicht auf die Grundrechte berufen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die früher vertretene Auffassung, wonach bestimmte Personengruppen aufgrund einer bestimmten Beziehung zum Staat sich nicht auf die Grundrechte berufen können (sog. besonderes Gewaltverhältnis), ist seit der Strafgefangenen-Entscheidung des BVerfG überholt. S ist Grundrechtsträger und kann sich vollumfänglich auf die Grundrechte berufen. Neben Strafgefangenen unterliegen Schüler, Beamte, Soldate und andere einem besonderen Gewaltverhältnis. Sie können sich aber allesamt vollumfänglich auf die Grundrechte berufen. Du kannst die Thematik in der Klausur bei einer der genannten Personengruppen ansprechen, aber bitte nur einen Satz darauf verwenden!
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. S hat einen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass im Rahmen seiner Pflichtarbeit als Strafgefangener auch auf eine Resozialisierung des S hingewirkt wird.

Ja!

Die Menschenwürde sowie das Sozialstaatsprinzip gebieten es, dass einem Strafgefangenen Fähigkeit und Wille zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden. Er soll in der freien Gesellschaft rechtsbruchfrei bestehen können. Die Verfassung gebietet es deshalb, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung der Gefangenen hin auszurichten. Der einzelne Gefangene hat hierauf aus Art.2 Abs.1 i.V.m. Art.1 Abs.1 GG einen grundrechtlichen Anspruch (Recht auf Resozialisierung). Die Pflichtarbeit ist Teil des Strafvollzugs. Damit ist auch sie gemäß Art.2 Abs.1 i.V.m. Art.1 Abs.1 GG auf das Ziel der Resozialisierung des S auszurichten.

3. Das Recht auf Resozialisierung gebietet es, dass die Arbeit des S angemessene Anerkennung findet.

Genau, so ist das!

Pflichtarbeit im Gefängnis stellt nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel dar, wenn sie auch zur Verfolgung des Ziels der Resozialisierung geeignet ist. Dazu muss durch die Pflichtarbeit dem Gefangenen der Wert seiner Arbeit für eine verantwortliche Lebensführung vermittelt werden. Dem S wird der Wert seiner Arbeit für eine verantwortliche Lebensführung vermittelt, wenn ihm dieser Wert in Form eines greifbaren Vorteils vor Augen geführt wird. Hierzu muss die Arbeit angemessene Anerkennung finden.

4. Das Recht auf Resozialisierung gebietet es, dass S für seine Arbeit finanziell vergütet wird.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Recht auf Resozialisierung fordert nur angemessene Anerkennung der Arbeit des Gefangenen. Angemessene Anerkennung muss nicht zwingend finanzieller Art sein. Der Gesetzgeber kann im Rahmen seines Einschätzungsspielraums auch andere Anerkennungskonzepte wie beispielsweise die Verkürzung der Haftstrafe vorsehen. S Arbeit muss somit nur angemessene Anerkennung erfahren. Diese kann aber auch auf andere Weise als in Form finanzieller Vergütung erfolgen. In seinem jüngsten Urteil zur Vergütung Strafgefangener hat das BVerfG entschieden, dass eine Vergütung von 2 € nicht ausreichend ist. Vielmehr könne es einen negativen Einfluss auf die Resozialisierung haben, wenn sich die Strafgefangenen durch eine zu geringe Vergütung nicht ausreichend wertgeschätzt fühlen. Das BVerfG begründete seine Entscheidung insbesondere mit dem besonderen Gewicht, das das Gebot der Resozialisierung bei Freiheitsstrafen erlangt. Hier werde die individuelle Lebensführung weitgehend durch den Staat bestimmt. Daher solle den Gefangenen die Fähigkeit und der Wille vermittelt werden, ihr Leben künftig wieder eigenverantwortlich zu führen.
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RAP

Raphaeljura

6.5.2023, 01:52:32

Gängige Praxis ist wohl oft finanzielle Vergütung und diese in sehr geringer Höhe. Wäre eine alleinige geringe finanzielle Vergütung ohne Haftverkürzung angemessen?

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

5.5.2025, 20:52:15

Hallo @[Raphaeljura](207944), eine derart geringe Vergütung, wie sie dem hier dargestellten Urteil zugrunde liegt, war jedenfalls nicht angemessen, wie im Fall dargestellt. In einigen Bundesländern soll diese gängige Praxis in der Folge jetzt angepasst werden. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

CH

ChrissiCJ

6.7.2023, 14:25:15

Ergänzt doch dazu bitte die neuste Entscheidung dazu. Urt. v. 20.06.2023, Az. 2 BvR 166/16; 2 BvR 1683/17

Nora Mommsen

Nora Mommsen

10.7.2023, 08:22:14

Hallo ChrissiCJ, danke für die Anregung! Das haben wir direkt ergänzt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Mi. S.

Mi. S.

3.2.2025, 15:39:35

@[Nora Mommsen](178057) Welche Konsequenz hat diese Rspr.?

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

5.5.2025, 20:49:42

Hallo @[Mi. S.](204099), durch die neue Entscheidung hat sich keine wesentliche Änderung der Rechtsprechung ergeben. Die Maßstäbe für die Beurteilung sind die gleichen geblieben, das BVerfG hat lediglich festgestellt, dass die aktuelle Vergütung für die Gefangenen zu gering ist. NRW, dessen Vergütung unmittelbar von der Entscheidung betroffen war, hat die Vergütung in der Konsequenz um fast 70% erhöht, die Urlaubstage für Gefangene erhöht und die Möglichkeit geschaffen, dass Gefangene durch ihre Arbeit erreichen können, dass ihnen ein Teil der Verfahrenskosten erlassen wird. Auch andere Bundesländer denken über eine Anpassung nach. Quelle: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/nach-bverfg-urteil-nrw-kuenfitg-hoeherer-lohn-fuer-gefangene Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

11.10.2023, 16:26:26

Wieso sollte die letzte Frage mit "nein" beantwortet werden, wenn eine finanzielle Vergütung doch auch von APR im Wege der Resozialisierung umfasst wird?

Hanna

Hanna

13.1.2024, 15:18:47

Ich habe das jetzt so verstanden, dass es nur auf die Anerkennung der Leistung ankommt. Die kann, muss aber nicht, finanziell erfolgen. In der Erklärung findet sich als Beispiel ja auch die Verkürzung der Haftstrafe. In der Realität läuft es wohl meistens auf eine finanzielle Anerkennung hinaus, weil sie messbar und am unkompliziertesten ist

QUIG

QuiGonTim

25.6.2024, 16:06:23

Im Text steht an einer Stelle, dass sich das Recht auf Resozialisierung aus der Menschenwürdegarantie in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ergebe. Im weiteren Verlauf wird es dann als Bestandteil des APR bezeichnet. Wie würde man es in der Klausr am sinnvollsten Herleiten?

Wesensgleiches Minus

Wesensgleiches Minus

9.2.2025, 20:07:05

Ich würde mich in Anlehnung an die Frage von @[QuiGonTim](133054) auch über mehr Hinweise in den Aufgaben freuen, die eine Implementierung des Stoffes in der Klausur aufzeigen und erleichtern :)

ahimes

ahimes

27.4.2025, 00:19:29

Über einen Klausur Hinweis würde ich mich auch sehr freuen (:

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

5.5.2025, 16:50:36

Hallo @[QuiGonTim](133054), @[Wesensgleiches Minus](241758) und @[ahimes](191697), die Herleitung im Fall ist genau so, wie auch das BVerfG das Grundrecht in den zugrundeliegenden (und verlinkten) Entscheidungen herleitet. In der Klausur würde ich es daher grundsätzlich ähnlich machen. Natürlich kann man das noch ein bisschen ausschmücken und noch eine Definition des Sozialstaatsprinzips mit einbauen (a la "verpflichtet den Staat zu sozialer Gerechtigkeit. Diese wäre verletzt, wenn der Staat durch seine Maßnahmen dafür sorgen würde, dass der Gefangene auch nach dem Ende seiner Haft aufgrund fehlender Resozialisierung ein Leben im kriminellen Umfeld oder in Arbeitslosigkeit droht."). Die Brücke von der Menschenwürde zum APR würde ich darüber schlagen, dass das APR seinerseits eben eine Ausprägung der Menschenwürde ist. Insofern tue ich mir hier etwas schwer, einen sinnvollen Klausurhinweis für die Aufgabe zu finden. Dass man in der Klausur etwas ausführlicher sein sollte, ist denke ich der Normalfall, da wir die Probleme hier wirklich auf den Punkt bringen wollen. Und ansonsten gibt es hier kaum nennenswerte Punkte, die man da mit anbringen kann. Selbst das BVerfG führt die Herleitung nicht wesentlich weiter aus als wir im Fall. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community