Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2017
Polizist als Garant seinen Kollegen gegenüber?
Polizist als Garant seinen Kollegen gegenüber?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Polizist P erfährt in seiner Freizeit, dass „Reichsbürger“ R sich gegen eine Wohnungsdurchsuchung mit Waffe wehren wird. P gibt diese Information nicht an seine Kollegen weiter. Bei dem Einsatz erschießt R den Polizisten A, obwohl das SEK mit einem Waffeneinsatz des R rechnete.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Die Entscheidung des OLG Nürnberg beschäftigt sich mit der Frage, ob ein Polizist eine Beschützergarantenstellung seinen Polizei-Kollegen gegenüber einnimmt. Nach dem OLG hat ein Polizist unter gewissen Voraussetzungen sogar eine solche Garantenstellung, auch wenn er in seiner Freizeit von möglichen Gefahren (Straftat) für die Kollegen erfährt. So müsse die Tat in die Phase der Dienstausübung des Polizisten hineinreichen. Zudem muss aufgrund der Schwere der Tat das öffentliche Interesse das Interesse an dem Schutz der Privatsphäre überwiegen.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Sind Polizisten Beschützergaranten, die Schutzpflichten für Individualrechtsgüter haben?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Setzt eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen (§§ 222, 13 StGB) voraus, dass P eine Garantenstellung innehatte?
Ja!
3. Wäre der Tod des A mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten, wenn P seine Kollegen vor der geplanten gewaltsamen Gegenwehr des R gewarnt hätte?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. War Ps Unterlassen nur dann kausal für den Tod des A, wenn die Weitergabe der Information diesen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte?
Ja, in der Tat!
5. P hatte eine Garantenstellung gegenüber seinem Kollegen A. Umfasst diese es auch, dass P die außerdienstlich erlangte Information von R weitergibt?
Ja!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Tod eines anderen Menschen
- Kausale Handlung
- Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
- Objektive Zurechnung
- Objektive Voraussehbarkeit des Kausalverlaufs und Erfolgseintritts)
- Schutzzweckzusammenhang
- Pflichtwidrigkeitszusammenhang
- Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
- Subjektive Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Schuldfähigkeit
- Subjektive Fahrlässigkeit
- Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
- Subjektive Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung
- Entschuldigungsgründe
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jana-Kristin
11.5.2022, 08:40:32
Ich hätte noch 138 I Nr. 5 StGB geprüft, der aber ebenfalls ausscheidet, da die Anzeige noch geeignet sein müsste, die Begehung der Straftat zu verhindern.
Lukas_Mengestu
12.5.2022, 14:44:18
Sehr guter Hinweis, Jana-Kristin. In der Tat käme hier § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB in Betracht (und wurde vom OLG Nürnberg auch geprüft). Da hier die Strafbarkeit aber aus den gleichen Gründen ausscheidet, haben wir die Prüfung hier auf § 222 StGB fokussiert. In einem vollständigen Gutachten ist § 138 Abs. 5 StGB aber zumindest kurz anzuprüfen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Simon
13.3.2023, 22:27:49
Was bedeutet hier, dass die Straftat in die Phase seiner Dienstausübung "hineinreichen" muss? Wäre P also nicht verpflichtet, seine Dienststelle zu informieren, solange er noch außer Dienst ist, und erst, wenn er wieder seine "Uniform anlegt" müsste er die entsprechende Information weitergegeben? Oder verstehe ich diese Voraussetzung falsch?
Nora Mommsen
14.3.2023, 12:23:31
Hallo Simon, danke für die Frage. Der BGH hat das nicht besonders konkret ausgeführt. Der BGH hat zuletzt eine Handlungspflicht bejaht, wenn der Beamte „außerdienstlich Kenntnis von Straftaten erlangt, die – wie Dauerdelikte oder ständig auf Wiederholung angelegte Handlungen – während seiner Dienstausübung fortwirken; dabei bedarf es der Abwägung im Einzelfall, ob das öffentliche Interesse privaten Belangen vorgeht." Es geht also nicht um den Zeitpunkt der Weiterleitung als solchen, sondern eher um die Wirkungen des begangenen Delikts. Das lässt sich natürlich schwer pauschalisieren, man kann aber festhalten, dass eine Freiheitsberaubung, ein Tötungs- oder schweres Körperverletzungsdelikt entsprechend andere
Fortwirkungentfaltet als ein Handtaschendiebstahl. Im vorliegenden Fall in dem das Gericht nicht auf dieses Merkmal eingegangen ist, lässt sich festhalten, dass P schon im Vorfeld vom Einsatz der Waffe erfahren hat. Dieser sollte zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die Annahme des Fortwirkens in die Dienstzeit hinein liegt also nahe. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Simon
15.3.2023, 00:26:19
Danke für deine Antwort! Jetzt ist klarer geworden, was mit "Fortwirken" gemeint ist.