+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Y biegt mit seinem Pkw rechts ab. Er muss eine Vollbremsung durchführen, als ihn Radfahrer T rasant rechts überholt. Y und sein Beifahrer E beschließen, T „vom Rad zu holen“. Y überholt T und schneidet T den Weg ab. E öffnet spontan die Beifahrertür. Erhebliche Verletzungen des T nimmt er billigend in Kauf. T stürzt beim Ausweichen und verletzt sich.
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Einordnung des Falls
Auch ein Beifahrer eines Kfz könne einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr vornehmen. Dies gelte auch bei verkehrsfremden Inneneingriffen, also normalen Verkehrsvorgängen, die als Eingriff eingesetzt werden, wie etwa das Öffnen der Autotür. Nimmt das Opfer aufgrund des Eingriffs in den Straßenverkehr ein Ausweichmanöver vor, welches zu einer Körperverletzung führt, könne zugleich auch eine das Leben gefährdende Behandlung vorliegen. Einer unmittelbaren Berührung bedürfe es nicht.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat Y d urch das Wegabbschneiden ein Hindernis bereitet (§ 315b Abs. 1 Nr. 2, 25 Abs. 2 StGB)?
Ja!
Hindernisbereiten ist eine körperliche Einwirkung, die den Verkehr hemmt oder verzögert. OLG Hamm: Wer im fließenden Verkehr mit seinem Kfz einem anderen Verkehrsteilnehmer den Weg abschneide, um ihn an der Weiterfahrt zu hindern, bereite ein Hindernis (RdNr. 19f.).
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2. Dass Y dem T innerhalb des fließenden Verkehrs den Weg abgeschnitten hat, reicht nicht aus. Setzt ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 StGB) immer einen verkehrsfremden Eingriff von außen voraus?
Nein, das ist nicht der Fall!
Grundsätzlich setzt § 315b Abs. 1 StGB einen von außen in den Straßenverkehr hineinwirkenden „verkehrsfremden Eingriff“ voraus. Vorschriftswidriges Verhalten im Verkehr ist in einer anderen Norm abschließend geregelt (§
315c StGB). Allerdings kommt § 315b StGB auch bei Handlungen im Verkehr zur Anwendung, wenn der Täter als Verkehrsteilnehmer einen Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr pervertiert, sog. verkehrsfremder Inneneingriff.
3. Kann der Tatbeitrag des Y (Wegabschneiden) dem E als Mittäter zugerechnet werden (§ 25 Abs. 2 StGB), obwohl E nicht Fahrzeugführer war?
Ja, in der Tat!
Mittäterschaft ist eine Form der Zurechnung fremden Handelns für den Fall, dass mehrere Personen täterschaftlich gemeinsam einen Tatbestand erfüllen, jedoch nicht jeder alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht. Die Zurechnung ist ausgeschlossen bei eigenhändigen Delikten (z.B. Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB). OLG Hamm: Bei § 315b Abs. 1 StGB handele es sich nicht um ein eigenhändiges Delikt. Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit sei bei § 315b Abs. 1 StGB gerade nicht das Führen des Fahrzeugs, sondern seine Nutzung zur Verletzung oder Nötigung (RdNr. 18).
4. Hat E durch das Öffnen der Tür auch selbst ein Hindernis bereitet (§ 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB)?
Ja!
Das OLG Hamm rechnet dem E einerseits das Verhalten des Y nach § 25 Abs. 2 StGB zu, nimmt darüber hinaus jedoch auch eine eigene Tatbestandsverwirklichung durch E an. OLG Hamm: Indem E die Beifahrertür geöffnet hat, um den T abzudrängen und „vom Rad zu holen“, habe er das Fahrzeug zweckentfremdet und ein Hindernis geschaffen (RdNr. 18).
5. Ist durch den Eingriff eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit und dadurch eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben einer anderen Person eingetreten?
Genau, so ist das!
Nach der Rechtsprechung muss die abstrakte Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit sich zu einer konkreten Gefahr für eines der Schutzobjekte (Leib oder Leben einer anderen Person bzw. fremde Sache von bedeutendem Wert) verdichten. Vorliegend wurde die körperliche Unversehrtheit des T nicht nur konkret gefährdet, sondern sogar verletzt.
6. Hatten Y und E den für verkehrsfremde Inneneingriffe erforderlichen Schädigungsvorsatz?
Ja, in der Tat!
Grundsätzlich genügt für § 315b Abs. 1 StGB neben dem Vorsatz hinsichtlich der Tathandlung ein Gefährdungsvorsatz hinsichtlich der konkreten Rechtsgutsgefährdung. Bei Eingriffen innerhalb des fließenden Verkehrs verlangt die Rechtsprechung jedoch einen Schädigungsvorsatz. OLG Hamm: Auch die zusätzliche Voraussetzung eines mindestens bedingten Schädigungsvorsatzes sei erfüllt. E habe sogar Verletzungsabsicht gehabt, denn er habe T „vom Rad holen“ und zur Rede stellen wollen (RdNr. 24).
7. Hat E hat das plötzliche Öffnen der Beifahrertür den objektiven Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (lebensgefährdende Behandlung, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) verwirklicht?
Ja!
§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Art der Behandlung generell geeignet ist, das Leben zu gefährden. Zudem muss die Körperverletzung „mittels“ der Behandlung eintreten. OLG Hamm: Das plötzliche Öffnen der Tür berge die Gefahr erheblicher Verletzungen im Kopfbereich. Der Verletzungserfolg sei auch mittels des Öffnens der Tür eingetreten. Zwar sei T nicht mit der Tür zusammengestoßen, Handlung und Erfolg stünden aber in einem engen zeitlich-räumlichen Zusammenhang. Das Ausweichmanöver des T, der Sturz und die Verletzungen seien unmittelbare Folge der Tathandlung des E (RdNr. 29).
8. Hat E mit Blick auf die lebensgefährdende Behandlung nach der Rechtsprechung vorsätzlich gehandelt?
Ja, in der Tat!
Nach der Rechtsprechung ist Vorsatz bei der lebensgefährdenden Behandlung bereits anzunehmen, wenn der Täter die Kenntnis der Umstände hat, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit der Tathandlung für das Leben des Opfers objektiv ergibt. Der Täter muss sie nicht als lebensgefährlich bewerten. Vorliegend hat E erhebliche Verletzungen des T in Kauf genommen und damit mindestens mit Eventualvorsatz gehandelt.Nach einem Teil der Literatur spricht gegen die Auffassung der Rechtsprechung, dass sie sehr einseitig auf die Wissenskomponente des Vorsatzes abstelle. Zudem gehöre zum Tatbestand der Umstand der Eignung zu erheblicher Gesundheitsschädigung. Der Täter müsse also auch diese Eignung kennen (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB).
9. Hat E mit Blick auf die lebensgefährdende Behandlung vorsätzlich gehandelt, wenn man hierfür verlangt, dass er sich über die Lebensgefährlichkeit seiner Tat bewusst war?
Nein!
Ein Teil der Literatur verlangt dagegen, dass Vorsatz nur vorliege, wenn der Täter die Gefährlichkeit seines Handelns für das Leben des Opfers zumindest für möglich gehalten und in Kauf genommen hat. Aus dem Sachverhalt ergibt sich nicht, dass E sich darüber im Klaren war, dass T hier lebensgefährliche Verletzungen erleiden könnte.Gegen diese Auffassung spreche, dass der bedenkenlose, unbesonnene Täter, der nicht über die Gefährlichkeit seines Handelns für das Leben des Opfers reflektiert, privilegiert werde (vgl. BGH NJW 1964, 1631).
Im deliktischen Aufbau kann man das Grunddelikt (§ 223 StGB) und die Qualifikation (§ 224 StGB) ohne weiteres zusammen prüfen. Wie prüfst Du dies?
- Tatbestand
- Subjektiver Tatbestand: Vorsatz bezüglich § 223 und § 224 StGB
- Objektiver Tatbestand
- Tatbestandsmerkmale des § 223 Abs. 1 StGB
- Qualifikationsgründe des § 224 Abs. 1 StGB
- Rechtswidrigkeit
- Schuld