Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2017
Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr durch den Beifahrer?
Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr durch den Beifahrer?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Y biegt mit seinem Pkw rechts ab. Er muss eine Vollbremsung durchführen, als ihn Radfahrer T rasant rechts überholt. Y und sein Beifahrer E beschließen, T „vom Rad zu holen“. Y überholt T und schneidet T den Weg ab. E öffnet spontan die Beifahrertür. Erhebliche Verletzungen des T nimmt er billigend in Kauf. T stürzt beim Ausweichen und verletzt sich.
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Einordnung des Falls
Auch ein Beifahrer eines Kfz könne einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr vornehmen. Dies gelte auch bei verkehrsfremden Inneneingriffen, also normalen Verkehrsvorgängen, die als Eingriff eingesetzt werden, wie etwa das Öffnen der Autotür. Nimmt das Opfer aufgrund des Eingriffs in den Straßenverkehr ein Ausweichmanöver vor, welches zu einer Körperverletzung führt, könne zugleich auch eine das Leben gefährdende Behandlung vorliegen. Einer unmittelbaren Berührung bedürfe es nicht.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat Y d urch das Wegabbschneiden ein Hindernis bereitet (§ 315b Abs. 1 Nr. 2, 25 Abs. 2 StGB)?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Dass Y dem T innerhalb des fließenden Verkehrs den Weg abgeschnitten hat, reicht nicht aus. Setzt ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 StGB) immer einen verkehrsfremden Eingriff von außen voraus?
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Kann der Tatbeitrag des Y (Wegabschneiden) dem E als Mittäter zugerechnet werden (§ 25 Abs. 2 StGB), obwohl E nicht Fahrzeugführer war?
Ja, in der Tat!
4. Hat E durch das Öffnen der Tür auch selbst ein Hindernis bereitet (§ 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB)?
Ja!
5. Ist durch den Eingriff eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit und dadurch eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben einer anderen Person eingetreten?
Genau, so ist das!
6. Hatten Y und E den für verkehrsfremde Inneneingriffe erforderlichen Schädigungsvorsatz?
Ja, in der Tat!
7. Hat E hat das plötzliche Öffnen der Beifahrertür den objektiven Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (lebensgefährdende Behandlung, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) verwirklicht?
Ja!
8. Hat E mit Blick auf die lebensgefährdende Behandlung nach der Rechtsprechung vorsätzlich gehandelt?
Ja, in der Tat!
9. Hat E mit Blick auf die lebensgefährdende Behandlung vorsätzlich gehandelt, wenn man hierfür verlangt, dass er sich über die Lebensgefährlichkeit seiner Tat bewusst war?
Nein!
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Fundstellen
Prüfungsschema
Im deliktischen Aufbau kann man das Grunddelikt (§ 223 StGB) und die Qualifikation (§ 224 StGB) ohne weiteres zusammen prüfen. Wie prüfst Du dies?
- Tatbestand
- Subjektiver Tatbestand: Vorsatz bezüglich § 223 und § 224 StGB
- Objektiver Tatbestand
- Tatbestandsmerkmale des § 223 Abs. 1 StGB
- Qualifikationsgründe des § 224 Abs. 1 StGB
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philipp Paasch
27.7.2022, 23:48:59
Guter Fall. Diesen Tatbestand findet man ja auch nicht so oft. ☺️
marleneprs
2.7.2023, 11:39:26
Warum ist § 315c I Nr. 2b nicht einschlägig? Meines Erachtens spricht nichts gegen den Tatbestand, aber vielleicht übersehe ich auch was :)
as.mzkw
29.10.2024, 13:46:47
Schließe mich der Frage an!!
juliavdb
18.7.2023, 18:29:41
Ich habe noch nicht verstanden, warum bei §
315b StGBdie Mittäterschaft des E speziell in diesem Fall möglich sein soll. So wie ich die Frage verstanden habe, bezog sie sich nur auf das Abschneiden des Weges, und da kann E doch keinen Tatbeitrag geleistet haben - oder habe ich da was falsch verstanden?
Leo Lee
5.8.2023, 12:57:35
Hallo juliavdb, in der Tat scheint es zunächst komisch, dass auch der Beifahrer - obwohl er das Auto gerade nicht fährt - (Mit-)Täter sein kann. Dies wird jedoch verständlich, wenn man sich den
Wortlautvon § 315b I StGB näher anschaut und mit dem
Wortlautdes § 316 I StGB vergleicht. Während § 316 I StGB auf ein konkretes Verhalten ("führen") abstellt, was NUR der Täter erfüllen kann (ein Beifahrer kann eben nicht als Mittäter den Wagen gleichzeitig "führen"), stellt § 315b I StGB lediglich darauf ab, dass durch die Modalitäten - die eben nicht wie "führen" eine ganz bestimmte, nur durch den Fahrer erfüllbare Handlung darstellen - ein/e Gefahr("erfolg") herbeigeführt wird. D.h., um eine solche Gefahr herbeizuführen, kann auch der Beifahrer etwa durch gemeinsame Absprache (Tatplan) dafür "sorgen", dass ein Hindernis bereitet wird (vorliegend sogar durch die
Pervertierung). Lange Rede kurzer Sinn: Weil § 315b I StGB kein verhaltensgebundenes Delikt ist, ist der
Wortlaut"neutral" genug, um auch den Beifahrer daran "teilhaben" zu lassen. Hierzu kann ich die Lektüre von Rengier Strafrecht BT-II, 23. Auflage, § 45 Rn. 33 empfehlen :) Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
juliavdb
5.8.2023, 14:05:37
Vielen Dank für die Erklärung ☺️
Jonas91
18.8.2024, 11:19:20
Ich frage mich, ob sich die OLG-Entscheidung im Ergebnis mit der sehr strengen BGH-Rechtsprechung zum Unmittelbarkeitserfordernis bei 224 I Nr. 2 bzw. Nr.5 StGB in Einklang bringen lässt? Denn bei Aufprällen / Zusammenstößen etc reicht es doch, wenn ich mich richtig erinnere, gerade nicht aus, wenn sich das Opfer erst durch das Wegspringen/ Ausweichen verletzt; noch nicht einmal, dass die Verletzung durch den Aufprall auf der Straße und nicht unmittelbar durch die Kollision mit einem Auto erfolgt, reichte dem BGH, wenn ich das richtig im Kopf habe, aus ? „Beißt“ sich die OLG-Entscheidung da nicht mit der strengen BGH-Linie? Kann aber natürlich auch sein, dass ich das einfach falsch erinnere.
as.mzkw
29.10.2024, 13:46:16
Wäre eine Strafbarkeit nach o.g. Norm auch denkbar?