Darstellungsrüge - fehlerhafte Beweiswürdigung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird wegen einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 1 StGB) angeklagt. Sie hatte zur Tatzeit eine BAK von 1,4 Promille. Richter R, der selbst gerne mal zu tief ins Glas schaut, hält eine Fahruntüchtigkeit bei 1,4 Promille ausweislich der Urteilsgründe für „lachhaft" und spricht A frei.

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Einordnung des Falls

Darstellungsrüge - fehlerhafte Beweiswürdigung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Revisionsgericht hat auf die Sachrüge hin zu prüfen, ob die Beweiswürdigung des Instanzgerichts rechtsfehlerhaft ist.

Ja, in der Tat!

Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denk- und Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat. Zu differenzieren ist also zwischen der nicht revisiblen rein subjektiven Überzeugungsfindung und dem vollumfänglich überprüfbaren objektiven Weg zu dieser Überzeugungsfindung.
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2. Ist die Beweiswürdigung hier im Hinblick auf den begrenzten Prüfungsumfang des Revisionsgerichts als rechtsfehlerhaft anzusehen?

Ja!

Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist oder gegen Denk- und Erfahrungssätze verstößt. Grundlage der Prüfung ist die Urteilsurkunde (§ 267 StPO). Es ist ein feststehender Erfahrungssatz, dass Kraftfahrer ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille fahruntüchtig sind. Dies ist eine medizinisch-naturwissenschaftliche Erkenntnis, die in den maßgebenden Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei als richtig anerkannt wird. Deshalb ist sie für den Tatrichter bindend. Ausweislich des Urteils missachtete R diesen Erfahrungssatz, als er eine Strafbarkeit der A ablehnte.Vorsicht! Während also der BAK-Wert bei der Fahruntüchtigkeit ein fester Grenzwert ist, so stellt er für die Frage der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) lediglich einen Richtwert dar.

3. Beruht das Urteil auch auf der fehlerhaften Beweiswürdigung (§ 337 Abs. 1 StPO)?

Genau, so ist das!

Der Verstoß muss für das Urteil kausal sein. Dabei ist ein ursächlicher Zusammenhang bereits anzunehmen, wenn das Urteil ohne die Gesetzesverletzung möglicherweise anders ausgefallen wäre. Hätte R die Beweisregel beachtet, wäre er zur Strafbarkeit der A und damit zu einer Verurteilung gekommen. Die Beruhens-Prüfung wird bei einem sachlichrechtlichen Fehler regelmäßig keine Probleme bereiten.

4. Kann das Revisionsgericht hier eine eigene Sachentscheidung treffen (§ 354 StPO)?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 354 Abs. 1 StPO hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen erfolgt. Dies gilt aber nur, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist.Die Strafzumessung bleibt hier weiter Sache des Ausgangsgerichts. Insofern kann das Revisionsgericht keine eigene Entscheidung treffen, sondern muss das Urteil aufheben und an einen andere Spruchkörper des Ausgangsgerichts zurückverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

HME

Hilfloser Melancholiker

15.10.2023, 09:35:00

Diesen Fall hätte ich eher als Fall der "normalen" Sachrüge gesehen, und nicht als Fall der Darstellungsrüge. Die Frage, ob das deutsche Recht eine

absolute Fahruntüchtigkeit

ab 1,1 Promille annimmt, ist ja eine normativ-richterrechtlich herausgebildete Rechtstatsache, und keine "echte" faktische Tatsache der Realwelt (natürlich sind die allermeisten Menschen ab 1,1 Promille nicht mehr in der Lage, Fahrzeuge zu führen, aber dass das nicht zB schon bei 1,05 Promille der Fall ist, ist letztlich eine normative Setzung und keine Folge aus einem naturwissenschaftlichen Gesetz oder so). Deswegen würde ich meinen, dass hier einfach die Feststellung "er hat 1,4 Promille" nicht den Schuldspruch "er war in der Lage, ein Fahrzeug sicher zu führen" nicht tragen

JURAFU

jurafuchsles

9.2.2024, 10:48:40

Ich denke bei einem vollständigen Gutachten könnte man es wohl an beide. Stellen verorten und besprechen.


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