Öffentliches Recht
Europarecht
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV
Verpflichtung privater Personen zur Wahrung der Grundfreiheiten („Angonese“)
Verpflichtung privater Personen zur Wahrung der Grundfreiheiten („Angonese“)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der italienische Staatsangehörige G, der deutsch und italienisch als Muttersprachen spricht und der in Österreich studiert hat, bewirbt sich bei der privaten Bank B in Bozen. Die Ausschreibung verlangt Zweisprachigkeit (deutsch/italienisch), nur nachweisbar durch ein Diplom aus Bozen. G erbringt den Nachweis nicht. Seine Bewerbung wird abgelehnt.
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Einordnung des Falls
Verpflichtung privater Personen zur Wahrung der Grundfreiheiten („Angonese“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Art. 45 AEUV verpflichtet in erster Linie die Mitgliedstaaten.
Ja!
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2. Das in Art. 45 Abs. 2 AEUV festgeschriebene Diskriminierungsgebot richtet sich vom Wortlaut her nicht nur an die Mitgliedstaaten. Die private Bank B kommen daher grundsätzlich auch als Adressaten in Betracht.
Genau, so ist das!
3. Das in Art. 45 Abs. 2 AEUV ausgesprochene Verbot der Diskriminierung gilt nach der Rechtsprechung des EuGH daher auch für private Arbeitgeber.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
InDubioProsecco
16.5.2023, 15:31:39
Gilt dies unter dem Vorbehalt des Merkmals „intermediäre Gewalt“ oder grundsätzlich?
Wendelin Neubert
26.6.2023, 19:00:54
Hallo InDubioProsecco, danke für Deine Frage. In dieser Entscheidung (Rechtssache Angonese) geht der EuGH über die Verpflichtung „intermediärer Gewalten“ (Rechtssache Walrave) hinaus und erkennt eine grundsätzliche Verpflichtung privater Personen aus den Grundfreiheiten an – hier speziell aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit, im Zusammenhang von Einstellungsvoraussetzungen privater Arbeitgeber. Die Beschränkung der Grundfreiheit durch Private kann aber – analog zu den Interessen des Allgemeinwohls – aus sachlichen Gründen gerechtfertigt werden (was hier nicht der Fall war). Die Rechtsprechung ist wegen ihrer weitreichenden Eingriffe in die Privatautonomie umstritten. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
David.
21.6.2023, 19:09:49
Inwiefern lag hier denn ein grenzüberschreitender Bezug vor?
David.
21.6.2023, 19:24:14
Habe mich gerade schon mal selbst erkundet, der Fall betrifft das Angonese-Urteil. Roman Angonese konnte den Sprachnachweis aufgrund seines Studiums in Wien auf andere Weise erbringen. Damit müsste dann hier also ein Rückkehrer-Fall vorliegen, bei dem aufgrund der effektiven Wirksamkeit des Unionsrechts der Anwendungsbereich eröffnet ist.
Wendelin Neubert
26.6.2023, 19:29:15
Hi David., danke für Deine Frage und Deine eigenen Nachforschungen. In der tat ist der Fall Angonese mit Blick auf den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten insofern untypisch, als ein „klassischer“ grenzüberschreitender Sachverhalt hier fehlte. Denn Angonese – im Fall G – hatte zwar in Österreich studiert, bewarb sich aber als Italiener in Italien auf die Stelle bei der privaten Bank. Die im Ausgangsverfahren beklagte Bank sah das Unionsrecht auch als nicht anwendbar. Das vorlegende italienische Gericht war indes der Auffassung, dass das Erfordernis des nur in Bozen erwerblichen Sprachnachweises ausländische Bewerber und Bewerber, die wie Angonese im Ausland studiert haben, unionsrechtswidrig benachteiligen könnte. Der EuGH nahm die Vorlagefrage an, weil ein Zusammenhang zwischen dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens und der erbetenen Auslegung des Unionsrechts nicht offensichtlich ausgeschlossen war. In der Tat könnte man den Fall als Rückkehrer-Fall qualifizieren, bei dem teilweise aus Erwägungen des effet utile ein grenzüberschreitenden Sachverhalt unterstellt wird; der EuGH geht hier bekanntlich nicht immer trennscharf vor. Wir haben die Aufgabe um einen entsprechenden Vertiefungshinweis ergänzt. Ich hoffe, das hilft! Danke und beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team