+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K und B sind Nachbarn. Auf dem Grundstück des B steht ein großer Nadelbaum, dessen Zweige mehr als 5 Meter auf das Grundstück des K ragen. Von dem Baum fallen - in einem erheblichen, aber ortsüblichen Umfang - Nadeln und Zapfen auf das Grundstück des K herab.
Einordnung des Falls
Anspruch auf Beseitigung von überhängenden Zweigen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K hat gegen B einen Anspruch auf Beseitigung der herüberhängenden Äste, wenn diese sein Grundstück beeinträchtigen (§ 1004 Abs. 1 BGB).
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Ja, in der Tat!
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Beseitigung der auf das Nachbargrundstück herüberhängenden Äste nach §§ 1004 Abs. 1, 910 BGB sind: (1) Eigentumsbeeinträchtigung, (2) B ist Störer, (3) fortdauernde Störung, (4) keine Duldungspflicht / Rechtswidrigkeit. Die herüberhängenden Äste beeinträchtigen das Eigentum des K - nämlich sein Grundstück. Nach § 910 Abs. 1 BGB hat K ein Selbsthilferecht und darf nach Setzung einer angemessenen Frist, die Äste auch selbst abschneiden. Er hat aber grundsätzlich ebenso einen Anspruch auf Beseitigung nach § 1004 BGB gegen B.
2. B ist Störer.
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Ja!
Störer ist, wem die Beeinträchtigung zugerechnet werden kann. BGH: B sei Störer, weil er es zugelassen habe, dass Zweige des Baums über die Grundstücksgrenze hinübergewachsen seien, was zu den Beeinträchtigungen durch Nadeln und Zapfen geführt habe. Als Eigentümer müsse B nämlich Sorge dafür tragen, dass die Zweige seines Baums nicht über die Grundstücksgrenze hinauswachsen (RdNr. 12).
3. Für die Frage, ob K die Beeinträchtigung dulden muss, kommt es auf die Ortsüblichkeit nach § 906 Abs. 2 BGB an.
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Nein, das ist nicht der Fall!
Der Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB ist ausgeschlossen, wenn K die Beeinträchtigung zu dulden hat. BGH: Hinsichtlich dieser Duldungspflicht komme es aber nicht auf die Ortsüblichkeit der Beeinträchtigung an. Denn § 906 Abs. 2 BGB sei auf durch Überhang hervorgerufene Beeinträchtigungen nicht anwendbar - und zwar auch dann nicht, wenn es um mittelbare Beeinträchtigungen wie heruntergefallene Baumprodukte gehe, denn § 910 Abs. 1 BGB enthalte keine Beschränkung auf unmittelbare Beeinträchtigungen. Die Vorschrift des § 910 Abs. 2 BGB sei lex specialis zu § 906 BGB. § 910 Abs. 2 BGB nenne das Kriterium der Ortsüblichkeit nicht (RdNr. 7f.).
4. K hat die Beeinträchtigung durch Nadel- und Zapfenabfall nach § 910 Abs. 2 BGB zu dulden.
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Nein, das trifft nicht zu!
Für den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB gilt hinsichtlich der Duldungspflicht des Eigentümers der Maßstab des § 910 Abs. 2 BGB. Danach hat K den Überhang zu dulden, wenn die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen. Nadel- und Zapfenabfall in einer erheblichen Menge stellt eine objektive Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung dar (RdNr. 10) - unabhängig davon, ob diese Beeinträchtigung ortsüblich ist. Denn die Ortsüblichkeit spielt nur für eine Beeinträchtigung nach § 906 BGB eine Rolle - nicht jedoch bei einer Beeinträchtigung durch Überhang. K hat daher einen Beseitigungsanspruch gegen B.