Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2021
Rückzahlung von Spielverlusten wegen verbotenen Glücksspiels?
Rückzahlung von Spielverlusten wegen verbotenen Glücksspiels?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A ist Anbieter von Online-Glücksspielen. B spielt von 2017 bis 2019 auf der Plattform und verliert insgesamt € 300.000. Online-Glücksspiele sind nach § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verboten gewesen.
Diesen Fall lösen 87,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Rückzahlung von Spielverlusten wegen verbotenen Glücksspiels?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B könnte ein Anspruch auf Rückzahlung der € 300.000 gegen A aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zustehen.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. A hat etwas durch Leistung erlangt.
Ja, in der Tat!
3. War der Vertrag zwischen A und B nach § 134 BGB nichtig?
Ja!
4. Es besteht damit kein rechtlicher Grund für die Leistung des B.
Genau, so ist das!
5. Der Kondiktionsanspruch könnte jedoch nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sein.
Ja, in der Tat!
6. § 817 S. 2 BGB könnte jedoch teleologisch zu reduzieren sein.
Ja!
7. Nach denselben Grundsätzen wie bei den Schenkkreisen ist auch im Zusammenhang mit Online-Glücksspielen § 817 S. 2 BGB teleologisch zu reduzieren.
Genau, so ist das!
8. Der Anspruch des B auf Rückzahlung ist jedoch nach § 242 BGB wegen seines widersprüchlichen Verhaltens ausgeschlossen.
Nein, das trifft nicht zu!
9. Es besteht ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.
Ja!
10. Besteht neben dem Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB?
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
IsiRider
29.4.2023, 10:51:27
Wenn der Spieler das Geld zurückbekommt, inwiefern soll das das Glücksspiel eindämmen? Bei Schwarzarbeit gehen doch mittlerweile auch beide Seiten leer aus, also haben keine Ansprüche. Wo ist der Unterschied?
Carl Wagner
29.4.2023, 16:26:06
Spannende Frage IsiRider! Diese Thematik war unter Landgerichten umstritten (Teleologische Reduktion des
§ 817 S. 2 BGBbejaht durch LG München I, 13.04.2021, Az. 8 O 16068/20; verneint durch LG Gießen, 21.01.2021, Az. 4 O 84/20, RN. 26 ff.). Auf der einen Seite: Wären die Verluste der Spieler kondiktionsfest, würden sie als Gewinne bei den Anbietern verbleiben. Dadurch würde ein Anreiz gesetzt, das illegale Angebot weiter aufrechtzuerhalten, weil es gewinnbringend für die Unternehmen wäre. Dieser Anreiz wird ihnen durch die Rückerstattung genommen. Auf der anderen Seite: § 817 S- 2 BGB spricht den Leistenden an. Wenn dieser alle Verluste zurückholen kann, hat er einen erhöhten Anreiz, um illegales Glücksspiel zu betreiben (Wegfall des Verlustrisikos) (Siehe zur Abwägung ausführlich Hendricks/Lüder, VuR 2021, 333, 335). Das OLG schafft als höhere Instanz erste Klarheit für die Rechtspraxis. In einer Klausur kannst du diese beiden Positionen miteinander abwägen und auch eine teleologische Reduktion des
§ 817 S. 2 BGBargumentativ verneinen. Probleme dürfest du dir damit nicht abschneiden. Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team @[Lukas Mengestu](136780)
Abi
2.5.2023, 07:14:44
Ein Unterschied besteht auch darin, wer sich vertraglich gegenüber steht:
Schwarzarbeiterfall: Werkunternehmer - Besteller (in der Regel gleichwertige Vertragspartner) Glücksspielfall: Anbieter - Kunde („süchtiger Zocker, der schutzbedürftiger sein soll“ - so ist jedenfalls die Annahme und daher rührt die Schutzbedürftigkei) Des Weiteren ist es ja auch so, dass bei der „ohne-Rechnung-Abrede“ beide Vertragsparteien profitieren, weil keine Steuern fällig werden. In der Regel fällt der Gesamtbetrag kleiner aus und wird auf beide Parteien aufgeteilt.
CR7
29.4.2023, 23:59:17
Ich finde es sehr gut, dass ihr die Voraussetzungen einer Norm nun untereinander schreibt. Besser so mMn.
Nora Mommsen
3.5.2023, 11:53:58
Hallo (af), danke für das Lob - es freut uns sehr, dass es dir gefällt! Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Sniter
30.4.2023, 19:46:27
Super Fall, vielen Dank dafür! Auch wenn es sehr penibel ist, aber das erlangte Etwas sind mE nicht die 300.000€, sondern -bei einer Überweisung- der Anspruch auf die 300.000€ oder -bei einer Barzahlung- Besitz und Eigentum an den 300.000€ als Rechtsposition. Mir wurde das schon angestrichen…
Nora Mommsen
23.5.2023, 17:39:05
Hallo Sniter, danke für deine Anmerkung und du hast vollkommen Recht. Allerdings sind wir an dieser Stelle auch sehr penibel - als erlangtes Etwas einen Vermögensvorteil anzunehmen ist keineswegs falsch. Dies ist insbesondere dann eine elegante Lösung, wenn der Sachverhalt nicht hergibt auf welchem Wege der Vermögensvorteil erlangt wurde. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Konstantin
7.7.2023, 07:43:55
Ob §
823 II BGBeinschlägig ist, ist mMn nicht so eindeutig. Das Urteil selbst verhält sich dazu nicht. Daher würde ich die Frage anders formulieren. Die
Schutzgesetzverletzung zu bejahen, finde ich noch relativ einfach. Aber der Schaden ist mMn fraglich. Das ist ja nicht viel anders als beim erlaubten Glücksspiel. Dort erhält man als Gegenleistung auch nur eine Gewinnchance.
Maxx
10.8.2023, 08:25:16
Müsste nicht neben dem Anspruch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB auch ein konkurrierender Anspruch aus § 817 S. 1 BGB bestehen?
Leo Lee
10.8.2023, 16:04:13
Hallo Maxx, in der Tat würde auch ein Anspruch aus § 817 1 BGB bestehen. Beachte jedoch, dass diese AGL subsidiär ist zur Leistungskondiktion! Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
Vallowitz
7.12.2023, 14:00:31
Der Fall kam heute im 2. Examen in BaWü dran. Vielen Dank für die Vorbereitung 😍🦊
Nora Mommsen
7.12.2023, 17:11:40
Hallo Vallowitz, vielen Dank für den Tipp! Und dir viel Erfolg für die weiteren Klausuren :) Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
MK-
9.5.2024, 17:48:37
Mir leuchtet nicht ganz ein, wie hier ein Schaden im Rahmen des §
823 II BGBkonstruiert wird? Der "Spieler" hat doch sein Geld im Zweifel freiwillig (eventuell anders bei einer ernsthaften Spielsucht wozu aber keine Angaben im SV sind) weggegeben. Auch wenn man das Ausgeben als Schaden ansieht, würde der Anspruch nicht nach § 254 BGB erheblich gekürzt werden müssen und nicht in voller Höhe bestehen?
Maximilian Puschmann
10.5.2024, 15:00:40
Hallo MK-, der Spieler hätte nicht gespielt, weil das Angebot nicht da gewesen wäre oder er von der Illegalität Kenntnis gehabt hätte. Ein Mitverschulden an der Schutznormverletzung ist meines Erachtens auch fernliegend, weil der Glücksspielanbieter das Spiel anbietet. Beste Grüße Max - Für das Jurafuchs-Team
Marie Curie
13.8.2024, 18:07:42
Müsste im Rahmen des Prüfungspunkts durch Leistung nicht auch zur Zweckverfehlungskondiktion abgegrenzt werden? Sofern der Leistende wusste, dass der Vertrag nichtig war, hat er ja gerade nicht solvendi causa geleistet.
CR7
15.8.2024, 16:11:58
Hey Marie, unser Rep hat mal eine Probeklausur dazu gestellt. Tatsächlich wurde hier zur ZVK abgrenzt. Jedoch abgelehnt, weil dem Spieler nicht bekannt und auch nicht grob fahrlässig unbekannt war, dass der Vertrag nichtig ist.
Geld hat man zu haben!
8.9.2024, 22:47:04
Inwieweit nehmt ihr die Abgrenzung vor bzw. definiert den Leistungszweck? Ich habe etwas Probleme bei der Subsumtion, denn alleine der Vertragsschluss begründet nach § 762 I doch eigentlich keine Verbindlichkeit :)