+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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besonders examenstauglich
A ist Anbieter von Online-Glücksspielen. B spielt von 2017 bis 2019 auf der Plattform und verliert insgesamt € 300.000. Online-Glücksspiele sind nach § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verboten gewesen.
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Einordnung des Falls
Rückzahlung von Spielverlusten wegen verbotenen Glücksspiels?
Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B könnte ein Anspruch auf Rückzahlung der € 300.000 gegen A aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zustehen.
Genau, so ist das!
Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB setzt voraus:
(1) Etwas erlangt (2) durch Leistung (3) ohne Rechtsgrund.
Im Urteil der OLG Hamm ging es primär um eine Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach §§ 114 ff. ZPO. Der Antrag hierauf ist begründet, wenn (1) Bedürftigkeit besteht, (2) die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht aus Erfolg hat und (3) nicht mutwillig erscheint, § 114 S.1 ZPO.
Häufig wird der Anbieter von Online-Glücksspielen seinen Sitz im Ausland haben. Verlangt ein deutscher Spieler die verloren Beträge zurück, sind deutsche Gerichte nach Art. 18 EuGVVO zuständig. Davon zu trennen ist die Frage, welches nationale Recht Anwendung findet. Im vorgegebenen Fall ist deutsches Recht anwendbar, Art. 6 Rom-I-VO. Eine anderweitige Rechtswahlklausel wäre nach § 307 BGB unwirksam! IPR-Teilfragen sind in Klausuren im Ersten Examen immer häufiger. Im Assessorexamen sind inzidente Prüfungen im Rahmen von Entscheidungen über Prozesskostenhilfe relativ häufig.
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2. A hat etwas durch Leistung erlangt.
Ja, in der Tat!
Durch die Zahlungen des B hat A einen Vermögenvorteil von € 300.00 0 erlangt. Durch Leistung ist dieser eingetreten, wenn er auf einer bewussten und zweckgerichteten Mehrung fremden Vermögens beruht. B wollte die vermeintlich bestehende Verpflichtung aus dem Vertrag erfüllen. Der Vermögensvorteil erfolgte damit durch Leistung.
3. War der Vertrag zwischen A und B nach § 134 BGB nichtig?
Ja!
Die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nach § 134 BGB setzt ein Rechtsgeschäft voraus, das gegen die Verbotsnorm eines Schutzgesetzes verstößt. Wichtig ist, dass das Schutzgesetz den Inhalt des Rechtsgeschäfts missbilligt. Es genügt, dass der Tatbestand des Verbotsgesetzes objektiv erfüllt ist.
Der seit 2011 geltende Glücksspielstaatvertrag ist ein Schutzgesetz i.S.d. § 134 BGB. § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. verbietet das Anbieten von Online-Glücksspielen. Das Schutzgesetz richtet sich damit gegen den Inhalt des Rechtsgeschäfts zwischen A und B.
Seit 2021 ist ein neuer Glücksspielstaatsvertrag in Kraft. Dieser regelt die Zulässigkeit von Online-Glücksspielen neu. Für die Wirksamkeit des Vertrages kommt es jedoch nur auf die zum Zeitpunkt der Vornahme des Vertrags geltenden Normen an.
4. Es besteht damit kein rechtlicher Grund für die Leistung des B.
Genau, so ist das!
Rechtsfolge des § 134 BGB ist, dass das verbotswidrige Rechtsgeschäft im Ganzen nicht ist. Ist ein Vertrag nichtig, entfaltet er keine Wirkung mehr und kann nicht mehr als Rechtsgrund für eine Leistung herhalten.
5. Der Kondiktionsanspruch könnte jedoch nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sein.
Ja, in der Tat!
Gemäß § 817 S. 2 BGB ist die Rückforderung u.a. dann ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Last fällt. § 817 S. 2 BGB bringt zum Ausdruck, dass derjenige, der sich außerhalb der Rechtsordnung stellt, sich bei der Rückabwicklung nicht auf diese berufen können soll.
§ 817 S. 2 BGB ist – entgegen seiner systematischen Stellung – nicht nur auf § 817 S. 1 BGB, sondern auf alle Leistungskondiktionen anwendbar. Denn bei einem beiderseitigen Verstoß gegen ein
gesetzliches Verbot sind oft auch die Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegeben. § 817 S. 2 BGB würde sonst ausgehöhlt.
§ 817 S. 2 BGB ist beliebt in Klausuren v.a. bei Verstößen gegen das SchwarzArbG. 6. § 817 S. 2 BGB könnte jedoch teleologisch zu reduzieren sein.
Ja!
Der BGH hat in der Vergangenheit bei nach dem Schneeballsystem organisierten Schenkkreisen eine teleologische Reduktion angenommen. Bei dem § 817 S. 2 BGB sei stets der Schutzzweck der die Nichtigkeit begründenden Norm zu beachten. Ist die Aufrechterhaltung des durch die gesetzwidrige Handlung geschaffenen Zustands mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes nicht zu vereinbaren, muss § 817 S. 2 BGB teleologisch reduziert werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Leistende sich der Gesetzwidrigkeit leichtfertig verschlossen hat.
Ein Schenkkreis ist eine Gruppe von Menschen, in der neue Mitglieder älteren Mitgliedern Geschenke machen, in der Hoffnung, später selbst beschenkt zu werden. 7. Nach denselben Grundsätzen wie bei den Schenkkreisen ist auch im Zusammenhang mit Online-Glücksspielen § 817 S. 2 BGB teleologisch zu reduzieren.
Genau, so ist das!
Die obergerichtliche Rechtssprechung nimmt weitgehend eine Übertragung der zu den Schenkkreisen entwickelten Grundsatze an. § 817 S. 2 BGB findet damit keine Anwendung, wenn die Aufrechterhaltung des durch die gesetzwidrige Handlung geschaffenen Zustands mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes nicht zu vereinbaren ist. Der GlüStV dient insbesondere der Begrenzung von Glücksspielsucht, dem Spielerschutz und der Abwehr der mit Glücksspielen verbundene Folge- und Begleitkriminalität. Darf der Anbieter die erlangten Vorteile behalten, wird ein Anreiz zu dem nach § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. verbotenem Verhalten gesetzt. Dies widerspricht dem Zweck der Norm.
Daran soll auch Umstand nichts ändern, dass der Spieler das Geld in Kenntnis des Verlustrisikos verloren hat. § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. bezweckt nämlich neben dem Schutz des einzelnen Spielers ebenso die Prävention und soll die Ausbreitung des verbotenen Glücksspiels verhindern. 8. Der Anspruch des B auf Rückzahlung ist jedoch nach § 242 BGB wegen seines widersprüchlichen Verhaltens ausgeschlossen.
Nein, das trifft nicht zu!
Nach § 242 BGB (Treu und Glauben) kann eine normative Korrektur erforderlich werden, u.a. wenn der Anspruchsteller sich widersprüchlich verhält (venire contra factum proprium). Es müsste objektiv ein Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens vorliegen, weil das frühere Verhalten mit dem späteren unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf schutzwürdig sind.
Ein Ausschluss von Bs Rückzahlungsanspruch nach Maßgabe von § 242 BGB scheitert bereits an der Schutzwürdigkeit der Interessen des Anbieters. A hat sich rechtswidrig verhalten. Ein Vertrauenstatbestand zu seinen Gunsten kann deshalb nicht entstehen. Seine Interessen sind nicht vorrangig schutzwürdig. Außerdem ist auch im Rahmen des § 242 BGB die Wertung der nichtigkeitsbegründenden Norm zu beachten. Es ist nicht mit dem Schutzzweck des § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. zu vereinbaren, dass der Anbieter das durch den Gesetzesverstoß erwirtschaftete Geld behalten darf.
Bei der Bewertung des § 242 BGB ist auch eine möglicherweise bestehende Spielsucht zu beachten. Liegt eine solche vor, spricht sie zusätzlich gegen das Vorliegen eines widersprüchlichen Verhaltens.
9. Es besteht ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.
Ja!
Wegen der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts mit A hat B an A ohne Rechtsgrund geleistet. Sein Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist auch nicht durch § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen, weil dieser teleologisch zu reduzieren ist.
Lehnt man eine teleologische Reduktion es § 817 S. 2 BGB ab, kommt es für das Bestehen des Anspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB maßgeblich darauf an, ob die subjektiven Voraussetzungen des § 817 S. 2 BGB vorliegen. Hierbei genügt es, dass der Spieler sich der Gesetzwidrigkeit leichtfertig verschließt. Dies hängt vom Einzelfall ab. Leidet der konkrete Spieler unter einer Spielsucht kann der subjektive Tatbestand auch an mangelnder Zurechnungsfähigkeit (§ 827 BGB analog) scheitern. 10. Besteht neben dem Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB?
Genau, so ist das!
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB setzt voraus:
(1) Schutzgesetz (2) Verstoß gegen Schutzgesetzes (3) Verschulden (4) Schaden (5) Schadenszurechnung.
§ 4 Abs. 4 GlüStV a.F. ist ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. A hat gegen § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. verstoßen. Das Verschulden wird bei einem bestehenden Verstoß vermutet. Im Gegensatz zu § 823 Abs. 1 BGB werden von § 823 Abs. 2 BGB auch reine Vermögensschäden erfasst. B wurde in seinem Vermögen geschädigt. Der Anspruch ist entsprechend der obigen Ausführungen auch nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen. Es besteht ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB auf Rückzahlung der € 300.000.