+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F hat eine Affäre mit M, einem Fotografen. M macht von F Bilder, auch beim Sex. F ist damit einverstanden. Nachdem die Beziehung beendet ist, verlangt F, dass M alle Bilder löscht. M möchte diese für sich behalten.

Einordnung des Falls

Intimfotos nach Beendigung der Affäre

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist von § 823 Abs. 1 BGB und analog § 1004 Abs. 1 BGB geschützt.

Diese Rechtsfrage lösen 100,0 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Ja!

Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht wird wie das verfassungsrechtliche Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet. Es genießt in verfassungskonformer Anwendung und Auslegung des § 823 Abs. 1 BGB als „sonstiges Recht“ den Schutz der absoluten Rechte. § 1004 Abs. 1 BGB schützt unmittelbar nur das Eigentum. Der Unterlassungsanspruch gilt jedoch analog für Verletzungen anderer absoluter Rechte wie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht.

2. Die durch M angefertigten Bilder betreffen die Intimsphäre der F.

Diese Rechtsfrage lösen 98,9 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Genau, so ist das!

Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner personalen und sozialen Identität und Entfaltung. Nach der Sphärentheorie des BVerfG sind für den Schutzbereich drei Sphären zu unterscheiden: (1) Sozialsphäre, (2) Privatsphäre und (3) Intimsphäre. Die Intimsphäre umfasst den Kernbereich höchstpersönlicher, privater Lebensgestaltung, z.B. die innere Gedanken- und Gefühlswelt und deren äußere Erscheinungsformen (z.B. Tagebuch, vertrauliche Briefe, intime Fotos).

3. Wenn M die Bilder für sich behält, beeinträchtigt er das Recht der F auf Schutz ihrer Intimsphäre.

Diese Rechtsfrage lösen 92,4 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Ja, in der Tat!

Eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt dann vor, wenn die Handlung eine der drei Sphären berührt. Zudem bedarf es einer gewissen Erheblichkeit. Die Bilder zeigen F in intimen Situationen, sodass ihre Intimsphäre berührt ist. Die Beeinträchtigung geht auch von M aus, da er die Verfügungsmacht über die Bilder gegen den Willen der F weiterhin ausübt.

4. Auf Ebene der Rechtswidrigkeit ist das Schutzinteresse der F (allg. Persönlichkeitsrecht) gegen die schutzwürdigen Belange des M (Eigentumsrecht, Kunstfreiheit, allgemeine Handlungsfreiheit) abzuwägen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Diese Rechtsfrage lösen 20,4 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Nein!

Beim zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist grundsätzlich eine umfassende Güter- und Interessenabwägung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit erforderlich. Die Intimsphäre genießt jedoch absoluten Schutz. BGH: Der Schutzbereich des Kernbereichs privater Lebensführung ist einer Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zugänglich (RdNr. 34).

5. F ist es verwehrt, sich gegenüber M auf den Schutz ihres Persönlichkeitsrechts zu berufen, denn sie hat den Kernbereich privater Lebensgestaltung für ihn selbst geöffnet.

Diese Rechtsfrage lösen 81,3 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das ist der Knackpunkt der Entscheidung. BGH: Zwar habe F dem B Einblick in ihre Intimsphäre gewährt und ihm die Aufnahmen gestattet. Diese Einwilligung sei jedoch auf die Dauer ihrer Beziehung begrenzt gewesen. Maßstab für Umfang und Wirksamkeit einer Einwilligung könnten die für die Einwilligung nach § 22 KUG entwickelten Grundsätze sein. Danach könne die Einwilligung im privaten Bereich konkludent und formlos beschränkt oder unbeschränkt erteilt werden. Hier seien die Bilder im privaten Bereich und nur im Rahmen der Liebesbeziehung ohne vertragliche Vereinbarungen und unentgeltlich entstanden (RdNr. 36ff.).

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ALE

Alex1892

17.3.2023, 19:56:49

Mich verwundert es, dass hier die Intimsphäre betroffen ist. Hatte mal im Kopf alles was einen Außenbezug ( hier der Umstand dass M die Fotos mach) hat kann nicht Intimsphäre sein. Zur Intimsphäre gehöre danach nur so etwas wie Tagebücher oder Selbstgespräche. War glaub ich zu einer Entscheidung bezüglich vaterschaftstests oder so.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.3.2023, 17:23:13

Hallo Alex1892, Privatsphäre ist grob gesagt das, was man mit Familie und Freunden teilt. Wenn dich also jemand bei einem privaten Ausflug an den Strand fotografiert, betrifft dies deine Privatsphäre. Intimsphäre betrifft den Bereich innerster Lebensgestaltung - darunter ganz richtig von dir aufgeführt die Gefühlswelt, die sich in Tagebüchern oder Selbstgesprächen nach außen zeigt. Umfasst ist aber auch das Sexualleben als intimste Lebensführung, somit auch Fotos davon. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

ALE

Alex1892

21.3.2023, 13:20:14

Vielen Dank für die Antwort 😁!

Amelie

Amelie

21.7.2023, 21:09:42

Ich hätte eine Frage zur Einwilligung. Hier steht sie sei konkludent im Vorhinein beschränkt worden (auf die Dauer der Beziehung). Ist es hier auch möglich von einem Widerruf der Einwilligung zu sprechen (also die Einwilligung nicht an der Beziehung fest zu machen sondern an ihren Willen)?


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