Einzelfall zur Erbschaft: Digitaler Nachlass
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Oma O ist bei ihrem Lieblingshobby, dem Fallschirmspringen, ums Leben gekommen. Bis zuletzt war sie sehr aktiv auf Facebook unterwegs. Ihre Tochter T und auch der Nachbar N, welcher Erbe ist, möchten Zugriff auf ihr Facebook-Konto erhalten.
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Einordnung des Falls
Einzelfall zur Erbschaft: Digitaler Nachlass
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist der digitale Nachlass ist nicht vererblich, weswegen weder T als nahe Angehörige noch N als Erbe Zugriff erhalten?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Gehört das Facebook-Konto nicht zum digitalen Nachlass?
Nein!
3. Hätte Facebook hätte in seinen AGB bestimmen können, dass das Eigentum auf die nahen Angehörigen übergehen soll?
Genau, so ist das!
4. Genießen die privaten Nachrichten, die O von ihrer Tochter T erhalten hat, schutzwürdiges Vertrauen?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Genügt es, wenn Facebook dem N den Inhalt des Profils durch eine PDF-Datei übermittelt und keinen direkten Zugriff auf das Konto gewährt?
Nein!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
frausummer
24.6.2021, 13:21:26
Bei der ersten Frage müsste wohl der Antwortbutton geändert werden, wenn der digitale Nachlass auf die Erben übergeht
Lukas_Mengestu
24.6.2021, 16:34:10
Hallo frausummer, die Antwort "falsch" ist an dieser Stelle tatsächlich richtig, denn der digitale Nachlass ist vererblich. T ist zwar die Tochter, aber nicht Erbin, da insoweit nur N als Erbe eingesetzt wurde. Wir haben zur besseren Verständlichkeit nun aber die Frage etwas abgewandelt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
iustus
13.8.2021, 10:42:39
Habe auch das „nicht“ überlesen. 😅
chuck lawris
6.10.2021, 14:42:04
Dass Absender von digitalen Nachrichten nicht darauf vertrauen können sollen, dass sie vor der Einsichtnahme Dritter zu Lebzeiten geschützt sind, clasht sich mit dem Anspruch auf
Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Unter Heranziehung der mittelbaren Drittwirkung ist dies nicht gerade überzeugend. -> der Staat muss die Integrität gewährleisten und kann sie, wenn sie fehlt, nicht als Argument zum Nachteil einer Erblasserin und zum Vorteil der Erben verwenden. Sollte man dies in der Klausur mit Vorsicht genießen oder einfach wie der BGH argumentieren?
Lukas_Mengestu
8.10.2021, 00:17:28
Hi chuck lawrris, ich finde es super, dass Du Dich kritisch mit dem Urteil auseinandersetzt. Grundsätzlich ist es natürlich häufig so, dass es nicht nur eine Lösung gibt, sondern man einen Punkt kontrovers diskutieren kann. In einer Klausur muss - und sollte man - insofern nicht blind dem BGH (oder einer anderen Autorität) folgen, sondern sich durchaus fragen, ob man die dahinterstehenden Argumente nachvollziehbar darstellen kann und ob diese letztlich überzeugen. Im Ergebnis ist der Maßstab immer, dass man eine "vertretbare Lösung" entwirft. Natürlich ist aber die Argumentationslinie des höchsten Zivilgerichts immer als "vertretbar" von Korrektoren zu akzeptieren. Wir haben die von Dir angesprochene Aufgabe im konkreten Fall noch einmal überarbeitet, damit noch stärker herauskommt, was der BGH hier im Kern geurteilt hat. Es geht letztlich nicht darum, dass die Nachrichten beim Versenden irgendwie abgefangen werden. Vielmehr geht es um die Frage, ob jemand der an ein Benutzerkonto eine Nachricht schickt darauf vertrauen kann, dass nur der entsprechende Kontoinhaber diese Nachricht liest. Der BGH hat dies verneint und ausgeführt, dass ja vielerlei Gründe dafür in Betracht kommen, dass noch andere die Nachricht zur Kenntnis nehmen (zB freiwillige Übbergabe durch den Kontoinhaber).
Lukas_Mengestu
8.10.2021, 00:21:57
Deutlich wird es vielleicht am Beispiel eines Briefes. Zwar gilt das Postgeheimnis und ich darf darauf vertrauen, dass auf dem Weg niemand mitliest. Wenn aber zB der Empfänger in einer WG wohnt und seinen Mitbewohner:innen erlaubt seine Post zu öffnen, liegt auch keine Vertraulichkeit der Nachricht vor. Insofern sehe ich in der Entscheidung des BGH nicht wirklich einen Clash im Hinblick auf die
Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Schau Dir gerne auch nochmal die überarbeitete Aufgabe an, ob Du mit dieser besser zurechtkommst. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
chuck lawris
8.10.2021, 14:36:27
Vielen lieben Dank für die ausführliche Antwort :)
Isabell
11.10.2021, 13:32:26
Ich finde gerade den Vergleich mit dem Brief extrem hilfreich, um der grundsätzlichen Linie des Urteils folgen zu können. Im ersten Moment war ich auch irritiert.
chuck lawris
11.10.2021, 15:03:36
Das finde ich jetzt nun gerade nicht, da ja im Beispiel das Lesen des Briefes durch Mitbewohner ausdrücklich erlaubt wird und eine solch geartete Erlaubnis im Fall des BGH gerade nicht vorliegt. Die Rspr. macht im Hinblick auf den postmortalen Persönlichkeitsschutz und der Problematik zum Tagebuch aber deutlich, dass die Sukzession auch hier stattfindet. Dadurch müssen EL damit rechnen, dass dieses von den Erben gelesen wird. Diesen Gedanken halte ich für eher übertragbar als den Gedanken, dass ein Kontoinhaber damit rechnen müsse, seine Nachrichten werden ohnehin früher oder später von unberechtigten Dritten gelesen :) Nichtsdestotrotz stellt mich die Antwort von Lukas zufrieden.
Matschegenga
18.4.2024, 15:06:53
Hat der BGH sich im Urteil mit der DSGVO auseinandergesetzt? Dritte sind schließlich vor der Erfassung ihrer Nachrichten durch den Erben geschützt, soweit diese Erfassung nicht von einem der Rechtfertigungsgründe des Art. 6 DSGVO gedeckt ist. Stellt das Senden von Nachrichten an O etwa eine Einwilligung in die Verarbeitung durch die Erben dar?
Vojtech
20.10.2021, 17:03:15
Wenn Facebook regeln würde, dass das Konto bzw. die Zugriffsmöglichkeit im Erbfall auf die nahen Angehörigen übergeht, wäre bereits die Zugriffsmöglichkeit der Angehörigen ein vermögenswertes Gut des Erblassers, welches in den Nachlass fällt oder ein auf
Vertrag zugunsten Dritterberuhender, erbfallbedingter Anspruch der Angehörigen?
Lukas_Mengestu
21.10.2021, 09:17:26
Hallo Vojtech, grundsätzlich treten die Erben vollumfänglich in das vertrgliche Nutzungsverhätlnis mit allen Rechten und Pflichten ein. Eine Übertragung auf einen Dritten dürfte über den
Vertrag zugunsten Dritternicht möglich sein, da aus dem Rechtsverhältnis auch Pflichten erwachsen und dies insofern ein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter darstellt. Geht es dagegen allein um die Zugriffsmöglichkeit auf Inhalte, so kann hierin durchaus ein
Vertrag zugunsten Drittervorliegen, an den auch die Erben gebunden wären (wenn jetzt also zB die Zugriffsmöglichkeiten nicht den Erben, sondern zB einem engen Freund eröffnet wurden). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Philippe
7.7.2022, 21:53:18
Auch in Anknüpfung an die Diskussion zum schutzwürdigen Vertrauen: im konkreten Fall des BGH war es m. E. so, dass die Tochter den Eltern bereits vor Ableben das Passwort gegeben hat. Das ist m. E. nochmal ein relevanter Umstand. Denn der Absender einer Nachricht mag nicht davor geschützt sein, dass der Empfänger die Nachrichten weitergibt (was faktisch mit der Weitergabe des Passworts geschehen ist), wohl aber, wenn völlig Unbeteiligte nunmehr auf die Nachrichten zugreifen. Die Weitergabe des Passworts ist auch ein zentraler Gesichtspunkt, warum die Interessen des Erblassers dem Rechtsübergang nicht entgegenstehen. Wenn ich sterbe möchte ich nicht, dass meine Erben meine, mitunter intimen, Nachrichten ausforschen können. Es steht ihnen schlicht nicht zu, derart in meinem digitalen Leben herumzustochern, wenn ich nicht einwillige. Insofern wäre es überzeugender, die Grundlagen über die Herausgabe von Patientenakten heranzuziehen, anstatt digitale Daten mit analogen Briefen zu vergleichen wie es der BGH getan hat. Patientenakten bekomme ich als Erbe bzw. nächster Angehöriger nur, wenn es a) nicht dem mutmaßlichen oder wirklichen Willen des Erblassers widerspricht und b) ein sachlicher Grund dafür gegeben ist, zB die Wahrnehmung vermögensrechtlicher Interessen oder die Verteidigung der Rechte des Verstorbenen. Dagegen ermöglicht das Urteil auch die anlasslose Ausforschung des Verstorbenen.
Nora Mommsen
21.7.2022, 16:42:01
Hallo Philippe, unsere Fälle weichen aus didaktischen Gründen mitunter von den "Original" BGH Fällen ab. Die Einordnung der digitalen Daten zu analogen Briefen und anderer Korrespondenz finde ich naheliegend, denn letztendlich sind sie nicht unbedingt intimer als Briefe, die vor dem digitalen Zeitalter geschrieben wurden. Auf diese hat ein Erbe ja ebenfalls Zugriff. Das kann man natürlich auch anders sehen - insofern finde ich deine Argumentation einen interessanten Ansatz. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Matschegenga
18.4.2024, 14:57:53
Bzgl. der Frage nach der Übertragung des „Eigentums“ am Account: Ein Eigentum an Daten gibt es mE nicht, da Eigentum iSd
§ 903 BGBnur an Sachen und somit körperlichen Gegenständen (§ 90 BGB) bestehen kann
Nora Mommsen
18.4.2024, 17:41:12
Hallo Matschegenga, danke für deine Anmerkung! In der Tat ist der klassische Eigentumsbegriff an dieser Stelle fehl am Platz. Auch wenn sich gerade in der Rechtswissenschaft ein Begriff des property right oder eines eigentumsähnlichen Nutzung- und Verfügungsrechts an Daten herausbildet, kann davon noch keine Rede sein. Im vorliegenden Fall ging es um die Nutzungsrechte an dem Account, die sich auf dem Nutzungsvertrag ergeben, der wiederum übergehen kann nach § 1922 BGB. Das haben wir angepasst. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
in persona
23.6.2024, 20:41:20
warum ist es im vorliegenden Fall klar, dass der Erbe die Zugriffsrechte auf den Account erhält?