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Verbotenes Kraftfahrzeugrennen bei Flucht vor der Polizei? - Jurafuchs

Verbotenes Kraftfahrzeugrennen bei Flucht vor der Polizei? - Jurafuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: Ein Auto flieht in hoher Geschwindigkeit in einer 30er Zone vor der Polizei.

Raserin R unternimmt eine Spritztour durchs Wohngebiet, als die Polizei sie anhalten möchte. R denkt nicht daran ihre Tour zu unterbrechen und fährt so schnell, wie es witterungsbedingt möglich ist (90 km/h), davon. R glaubt, sie müsse die Höchstgeschwindigkeit erreichen, um der Polizei zu entkommen.

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Einordnung des Falls

Der BGH stellt in diesem Beschluss klar, dass auch Polizeiverfolgungen als illegales Autorennen angesehen werden können, wenn die Absicht des Fahrers darin besteht, über eine erhebliche Strecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Der Angeklagte hatte hier versucht, einer Polizeikontrolle zu entkommen, indem er mit hoher Geschwindigkeit fuhr und mehrere rote Ampeln überfuhr. Dabei ist aber zu beachten, dass ein Fluchtversuch nicht zwangsläufig eine Absicht bedeutet, mit maximal möglicher Geschwindigkeit zu fahren.

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Erfordert der Tatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Abs.1 StGB), dass die Täterin eine der in § 315d Abs.1 Nr.1-3 StGB genannten Tathandlungen vornimmt.

Genau, so ist das!

§ 315d StGB stellt verbotene Kraftfahrzeugrennen im öffentlichen Straßenverkehr unter Strafe. Die Norm schützt neben der Sicherheit des Straßenverkehrs auch Leib, Leben und Eigentum. § 315d Abs.1 StGB ist ein schlichtes Tätigkeitsdelikt. Das bedeutet, der objektive Tatbestand ist bereits erfüllt, wenn die Täterin im öffentlichen Straßenverkehr ein nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet oder durchführt (Nr.1) bzw. daran als Kraftfahrzeugführerin teilnimmt (Nr.2) oder sich als Kraftfahrzeugführerin mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig fortbewegt (Nr.3).
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2. Hat R an einem Kraftfahrzeugrennen teilgenommen (§ 315d Abs.1 Nr.2 StGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Kraftfahrzeugrennen sind Wettbewerbe oder Teile eines Wettbewerbs sowie Veranstaltungen zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten mit mindestens zwei teilnehmenden Kfz. Ausschlaggebend ist, dass die Fahrerin die höchste in dieser Situation mögliche Geschwindigkeit anstrebt, um zu gewinnen. Die Raserei zwischen R und der Polizei hatte für die Polizei keinen Wettbewerbscharakter, sie wollte die R vielmehr zwecks einer Kontrolle anhalten. Die Polizei war mithin nicht Teilnehmerin, sodass es an der erforderlichen Teilnehmermehrheit fehlt.

3. Scheidet auch eine Strafbarkeit wegen grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Geschwindigkeitsjagd aus, da kein Kraftfahrzeugrennen vorliegt (§ 315d Abs.1 Nr.3 StGB)?

Nein!

Mit § 315d Abs.1 Nr.3 StGB sollen auch Einzelraser erfasst werden, die mit nur einem Fahrzeug ein Kraftfahrzeugrennen nachstellen. Der Tatbestand erfordert, dass sich der Fahrer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Mehrere Teilnehmer sind also nicht erforderlich, sofern der Renncharakter trotzdem erhalten bleibt.

4. Fuhr R mit nicht angepasster Geschwindigkeit, grob verkehrswidrig und rücksichtslos?

Genau, so ist das!

Eine Geschwindigkeit ist nicht angepasst, wenn sie der konkreten Verkehrssituation zuwiderläuft. Dieser Geschwindigkeitsverstoß muss grob verkehrswidrig und rücksichtslos erfolgen. Grob verkehrswidrig ist ein objektiv besonders schwerer (gefährlicher) Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift. Rücksichtslos handelt, wer sich aus eigensüchtigen Gründen bewusst über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern hinwegsetzt, oder wer aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten gar nicht aufkommen lässt und unbekümmert um mögliche Folgen drauflosfährt. R hat die zulässige Höchstgeschwindigkeit (30 km/h) um das dreifache überschritten, sowie Vorsichtsmaßnahmen die innerorts getroffen werden müssen, gröblich vernachlässigt. R fuhr insoweit mit nicht angepasster Geschwindigkeit und aufgrund der Massivität des Verstoßes auch grob verkehrswidrig. R handelte dabei zumindest gleichgültig.

5. Müsste R zudem mit der Absicht, die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen gehandelt haben?

Ja, in der Tat!

Dem Täter muss es darauf ankommen die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Hierbei handelt es sich um ein subjektives Tatbestandsmerkmal mit überschießender Innentendenz, das bedeutet es gibt kein objektives Tatbestandsmerkmal, das dem subjektiven Merkmal entspricht. Es ist nicht auf die absolut höchstmögliche Geschwindigkeit des Fahrzeugs abzustellen, vielmehr muss die unter den gegebenen Umständen höchstmögliche Geschwindigkeit angestrebt werden. Zu berücksichtigen sind unter anderem die Verkehrslage, Witterungsbedingungen, Geschwindigkeitsempfinden und die Beschleunigung.Das Merkmal der höchstmöglichen Geschwindigkeit soll die Ähnlichkeit der Nr. 3 mit dem Renncharakter der Nr. 1 und 2 widerspiegeln.

6. R ging es primär darum, der Polizei zu entkommen. Schließt dies die Absicht aus, die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen?

Nein!

§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfordert, dass der Fahrer die höchstmögliche Geschwindigkeit erreichen möchte. Dies muss aber weder das alleinige noch das ausschlaggebende Motiv für die vorgenommene Fahrt sein. Es genügt, wenn der Fahrer das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als notwendiges Zwischenziel ansieht. Dabei ist allerdings zu beachten, dass aus einer Fluchtmotivation nicht automatisch auf die Absicht geschlossen werden kann, die Geschwindigkeit maximal auszureizen. R dachte, dass sie nur eine Chance habe der Polizei zu entkommen, wenn sie mit Höchstgeschwindigkeit flieht. Sie wollte mithin die maximale Geschwindigkeit erreichen. Es ist unschädlich, dass sie primär fliehen wollte und das Erreichen der maximalen Geschwindigkeit nur ein Zwischenziel war.

7. Das Auto der R kann unter anderen Bedingungen noch schneller fahren. Ist es somit ausgeschlossen, dass es R vorliegend um das Erreichen der Höchstgeschwindigkeit ging?

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfordert nicht, dass der Fahrer die tatsächlich höchste Geschwindigkeit anstrebt, die das Auto unter optimal Bedingungen erreichen kann. Es genügt, dass die höchste Geschwindigkeit für die gegebenen äußeren Umstände anvisiert wird. Der Gesetzeswortlaut stellt insofern auf die relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit ab. Im Übrigen kommt es nicht darauf an, ob diese maximale Geschwindigkeit erreicht wird, sofern es dem Fahrer darauf ankommt. R strebte die maximale Geschwindigkeit an, die unter den witterungsbedingten Umständen möglich war und somit die relative Höchstgeschwindigkeit.

8. Hat R sich nach § 315d Abs. Nr.3 StGB strafbar gemacht?

Ja, in der Tat!

R fuhr unter Verstoß gegen die örtlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen durch das Wohngebiet, um der Polizei zu entkommen. Dabei verhielt sie sich grob verkehrswidrig und rücksichtslos und mit der Absicht, die relativ höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen. R handelte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
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