Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2021
Verwerflichkeit: Das Zusammenspiel von Nötigung und Grundrechten
Verwerflichkeit: Das Zusammenspiel von Nötigung und Grundrechten
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A schlägt mit anderen Demonstranten auf die Glasfassade des Rathauses ein und ruft rassistische Parolen, um die Stadtverordnetenversammlung zu stören. Wegen des Lärms verstehen die Teilnehmer sich nicht mehr. Zudem fürchten sie, dass die Fassade bricht. Sie brechen deshalb die Versammlung ab.
Diesen Fall lösen 82,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Die Abwägung zwischen der Ausübung von Grundrechten und einer etwaigen Strafbarkeit kann sich als durchaus schwierig gestalten. So auch in dem vorliegenden Fall. Dieser beschäftigt sich mit einer Meinungskundgabe, welche unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fällt und gleichzeitig den Tatbestand der Nötigung erfüllt. Freilich kann auch das Gebrauchmachen von der Versammlungs- und Meinungsfreiheit eine verwerfliche Handlung i.S.d. § 240 Abs. 2 StGB darstellen. Allerdings sind die Grundrechte des Täters bei der Bewertung dessen besonders zu berücksichtigen.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat A durch das Schreien und Schlagen Gewalt angewendet im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat A durch das Schreien und Schlagen auch mit einem empfindlichen Übel im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB gedroht?
Ja, in der Tat!
3. Hat A einen anderen Menschen genötigt?
Ja!
4. Lag zwischen Nötigungsmittel und Nötigungserfolg auch der nötigungsspezifische Zusammenhang vor?
Genau, so ist das!
5. Indiziert das Vorliegen von Gewaltanwendung und Drohung stets die Verwerflichkeit der Nötigung nach § 240 Abs. 2 StGB?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Ist jede kollektive Meinungskundgabe, die Gewalt im Sinne des § 240 StGB als Nötigungsmittel einsetzt, eine unfriedliche Versammlung und daher nicht von der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG geschützt?
Nein!
7. Ist A Nötigungshandling nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, sondern rechtmäßig, da er mit den anderen Beteiligten von seiner Versammlungs- und Meinungsfreiheit Gebrauch machte?
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
GingerCharme
25.6.2022, 10:24:35
Sehr schöne Zeichnung! Der, absichtliche Fehler auf dem Schild, ließ mich schmunzeln :D
Philipp Paasch
25.6.2022, 23:34:03
Slenderman.
QuiGonTim
22.9.2023, 15:46:32
Wird die
Verwerflichkeitsprüfung noch im objektiven oder erst nach dem subjektiven Tatbestand geprüft?
Leo Lee
24.9.2023, 12:20:14
Hallo QuiGonTim, die
Verwerflichkeit i.S.d. § 240 II StGB wird in der RWK geprüft, da die RWK der Nötigung als ein sog. offener TB nicht automatisch durch deren Vollendung indiziert wird. Beachte noch, dass die
Verwerflichkeitsprüfung subsidiär ist; d.h., man prüft erstmal allgemeine Rechtfertigungsgründe (Notwehr, Notstand…) und DANACH erst die
Verwerflichkeit, falls die allgemeinen RF-Gründen nicht einschlägig sind. Hierzu kann ich die Lektüre von Fischer StGB, 68. Auflage § 240 Rn. 39 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo