Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Klassiker im Strafrecht

Unmittelbares Ansetzen zum Mord bereits Tage davor?

Unmittelbares Ansetzen zum Mord bereits Tage davor?

8. August 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T kniet auf O und hält O am Kragen. Er sagt O, dass er sich bei der Tötung lange Zeit lassen wird.

T möchte O töten. Als diese ihn besucht, fängt er an, sie immer wieder bis zur Besinnungslosigkeit zu würgen. Während er O würgt, ruft er seinen Arbeitgeber an, um Urlaub zu nehmen. O gegenüber äußert er, dass sie ohnehin keiner die nächste Woche vermissen werde und er jetzt viel Zeit für sie habe. Er meint auch, dass er kein Messer nehmen wolle, da dies keinen Spaß mache und sie erst in 4 Tagen damit töten werde. Daraufhin fesselt T die O und schläft nach mehreren Flaschen Wein unwillkürlich ein.

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Einordnung des Falls

Der BGH entschied hier über das Vorliegen eines unmittelbaren Ansetzens in dem Fall, dass der Täter das Opfer vor der Tötung noch tagelang quälen will. Zwar fehlt ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang, die Handlungen seien aber trotzdem untrennbar mit dem Mordplan verbunden, geradezu integraler Bestandteil des Tatplans. Mit dem Moment, in dem der Täter Kontrolle über das Opfer erlangte, sei das Leben des Opfers unmittelbar und konkret in Gefahr. Deshalb liege schon mit dem Beginn der Körperverletzungen ein unmittelbares Ansetzen zum Mord vor.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist der Versuch eines Totschlages (§ 212 StGB, § 211 StGB) strafbar?

Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen und daher der Versuch eines solchen strafbar (§ 212 Abs. 1, § 12 Abs. 1 StGB).
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2. Hat T Tatentschluss bezüglich eines Totschlages (§ 212)?

Ja, in der Tat!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist fest entschlossen O zu töten.

3. Liegt das objektive Tatbestandselement des Versuchs im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB)?

Ja!

Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen.

4. Hat der BGH geurteilt, dass T „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“ hat, indem er die O mit Tötungsabsicht in seine Gewalt gebracht hat und folterte?

Genau, so ist das!

Nach der Vorstellung des T sollte der Tatbestandserfolg erst in 4 Tagen herbeigeführt werden. Es fehlt daher zunächst an einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang. Der BGH hat dennoch das unmittelbare Ansetzen bejaht, da "[d]iese abstrakten Maßstäbe" aufgrund der vielen möglichen Lebenssachverhalte, die abgeurteilt werden müssen "stets der wertenden Konkretisierung" bedarf, welche im Einzelfall zu bewerten sind (RdNr. 9). Vorliegend sei O bereits konkret an ihrem Leben gefährdet gewesen, da die Beschränkung der persönlichen Freiheit in engem räumlichen und situativen Zusammenhang mit der Tötung stand und in ungestörtem Fortgang in deren Tötung enden sollte. Die zeitliche Streckung des Ablaufs könne daran nichts ändern und eine gebotene Wertung ergebe, dass das Erfordernis des zeitlichen Zusammenhangs stark an Gewicht verliere (RdNr. 11 f.).

5. Hat T sich nach dem BGH auch wegen Mordversuchs strafbar gemacht (§ 211 StGB)?

Ja, in der Tat!

T hat dann Tatentschluss bezüglich eines Mordes, wenn er ein Mordmerkmal in seinen Tatentschluss aufgenommen hat. Vorliegend kommt das Merkmal Grausamkeit in Betracht. Grausam handelt, wer dem Opfer besondere Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung zufügt. Vorliegend ist unklar, ob die Tötung als solche grausam sein sollte. Nach dem BGH ist es nicht ausreichend, wenn eine Handlung, die die Tötung vorbereiten soll, als solche grausam ist (RdNr. 7). Eine grausame Tötung liegt jedoch dann vor, wenn die grausamen Handlungen in der Tötung enden sollen, also die Versuchsschwelle überschritten (RdNr. 11). Das Urteil wurde stark kritisiert, da der Versuchsbeginn auch mit der anhaltenden Folter (Grausamkeit) begründet wurde, wobei diese wiederum vom Versuchsbeginn abhängig ist. Die Begründung ist daher stark zirkelschlüssig.

6. Hat T eine vollendete Freiheitsberaubung begangen (§ 239 Abs. 1 StGB)?

Ja!

T hat O auf sonstige Weise ihrer Freiheit beraubt, indem er sie festhielt und fesselte. Dies war auch von seinem Tatplan umfasst. Er wollte O sogar noch wesentlich länger der Freiheit berauben.

7. Hat T eine gefährliche Körperverletzung (§§ 223, 224 StGB) begangen?

Genau, so ist das!

T hat durch das Würgen bis zur Bewusstlosigkeit O körperlich misshandelt und an ihrer Gesundheit geschädigt (§ 223 Abs. 1 StGB). Durch das Würgen hat er die Körperverletzung auch mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung vorgenommen (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB).

8. Stehen der versuchte Mord und die vollendete gefährliche Körperverletzung zueinander in Idealkonkurrenz (§ 52 StGB)?

Ja, in der Tat!

Idealkonkurrenz liegt vor, wenn durch dieselbe Handlung mehrere Tatbestände verwirklicht werden (§ 52 StGB). Sofern man dem BGH folgt und in jeder Handlung des T eine Verwirklichung des Mordtatbestandes sieht, liegt Idealkonkurrenz vor. Grundsätzlich werden Körperverletzungsdelikte von Tötungsdelikten im Wege der Spezialität verdrängt, da die Gesundheitsschädigung notwendiges Durchgangsstadium der Tötung ist. Wenn die Tötung jedoch nur versucht ist, dann wird die vollendete Körperverletzung nicht verdrängt, da das zusätzliche Unrecht der tatsächlichen Verletzung des Opfers im Urteil zum Ausdruck kommen muss. Bei Vollendung würde der Mord jedoch die gefährliche Körperverletzung verdrängen.

9. Stehen der versuchte Mord und die vollendete Freiheitsberaubung zueinander in Idealkonkurrenz (§ 52 StGB)?

Ja!

Idealkonkurrenz bei Dauerdelikt und Zustandsdelikt liegt dann vor, wenn das Zustandsdelikt das Mittel zur Begehung des Dauerdeliktes ist, oder umgekehrt. Vorliegend hat T die O festgehalten, um diese zu töten, diese war also Mittel zur Tötung. Die beiden Delikte stehen daher zueinander in Idealkonkurrenz.
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Prüfungsschema

Im deliktischen Aufbau kann man das Grunddelikt (§ 223 StGB) und die Qualifikation (§ 224 StGB) ohne weiteres zusammen prüfen. Wie prüfst Du dies?

  1. Tatbestand
    1. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz bezüglich § 223 und § 224 StGB
    2. Objektiver Tatbestand
      1. Tatbestandsmerkmale des § 223 Abs. 1 StGB
      2. Qualifikationsgründe des § 224 Abs. 1 StGB
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TJU

Tr(u)mpeltier junior

6.2.2021, 22:45:15

Bei der vorletzten Frage heißt es, dass Körperverletzungsdelikte von den tötungsdelikten im Wege der Spezialität verdrängt. Ich bin bei Konkurrenzen wahrlich nicht sattelfest, aber nach meiner Auffassung liegt hier vielmehr ein Fall der materiellen Subsidiarität vor. Auch wenn es sich bei den Körperverletzungsdelikten um ein Durchgangsstadium handelt, so schützen §§212 ff (Leben) und §§ 223 ff (Leib/Gesundheit) unterschiedliche

rechtsgüter

, weswegen sie nicht im spezialitätsverhältnis stehen.

Marilena

Marilena

7.2.2021, 00:22:47

Hallo Tr(u)mpeltier junior, danke für den wertvollen Hinweis! Da ist uns leider tatsächlich ein Fehler unterlaufen. (Versuchter) Totschlag tritt hinter (versuchten) Mord ebenso im Wege der Spezialität zurück wie die einfache hinter die gefährliche Körperverletzung. Aber genau wie Du sagst, tritt eine vollendete Körperverletzung hinter einem vollendeten Totschlag konkurrenzrechtlich im Wege der materiellen Subsidiarität zurück. Ändern wir, danke Dir!

JUL

juliavdb

15.9.2023, 14:32:56

Toll, dass die Konkurrenzen mit abgefragt werden. Gern mehr davon! :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.9.2023, 15:51:17

@[juliavdb](175409)Das freut uns, dass es Dir gefällt! Kennst Du auch schon unseren Kurs zu den Konkurrenzen: https://applink.jurafuchs.de/LQ50O9sc7Cb? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Selma🌻

Selma🌻

27.2.2024, 22:23:41

Könnte man hier auch eine versuchte Freiheitsberaubung mit Todesfolge prüfen? Also Grunddelikt vollendet, schwere Folge nur versucht?


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