Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Klassiker im Strafrecht
Compliance Officer trifft Pflicht zum Einschreiten
Compliance Officer trifft Pflicht zum Einschreiten
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
L ist Leiter der Innenrevision der öffentlich-rechtlich organisierten Stadtreinigung B. L erkennt, dass Kollege G für die Straßenreinigung absichtlich höhere Gebühren als gesetzlich vorgesehen in Rechnung stellt. B erzielt so unberechtigte Mehreinnahmen. L unternimmt dagegen nichts.
Diesen Fall lösen 87,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Ein Compliance Officer überprüft die Rechtskonformität aller Prozesse und Abläufe innerhalb eines Unternehmens. Der BGH hat in dieser Entscheidung von 2009 entschieden, dass hierdurch eine Garantenpflicht übernommen wird. Erkennt der Betroffene rechtswidrige Abläufe, ist er verpflichtet einzuschreiten und darf nicht nichts tun. Dies ist natürlich nur der Fall, wenn auch der konkrete Pflichtenkreis eines Compliance Officers übernommen wird und geht nicht schon mit der bloßen Jobbezeichnung einher.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Kann L das Handeln des G im Rahmen der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) zugerechnet werden?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Setzt eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Betrug durch Unterlassen (§§ 263 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB) voraus, dass L eine Garantenstellung innehatte?
Ja!
3. Wird durch ein herkömmliches Arbeitsverhältnis stets eine Garantenpflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB begründet?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Ist die Berufsbezeichnung, die der Beauftragte trägt, maßgeblich für die Bestimmung der Garantenstellung?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Hat ein sogenannter "Compliance Officer", der mit der Verhinderung von aus dem Unternehmen heraus begangenen Straftaten betraut ist, eine aus seiner Stellung resultierende Garantenpflicht?
Ja!
6. Hat L als Leiter der Innenrevision einen konkreten Pflichtenkreis übertragen bekommen, der vorliegend eine Garantenstellung begründet?
Genau, so ist das!
7. Kommt eine Strafbarkeit des L wegen Beihilfe zum Betrug durch Unterlassen (§§ 263 Abs. 1, 13 Abs. 1, 27 StGB)?
Ja, in der Tat!
8. Hat L sich wegen Beihilfe zum Betrug durch Unterlassen (§§ 263 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht?
Ja!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Beihilfe (§ 27 StGB)?
- Strafbarkeit des Haupttäters
- Strafbarkeit des Gehilfen
- Objektiver Tatbestand
- Vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat
- Beihilfehandlung: Hilfeleisten (§ 27 StGB)
- Subjektiver Tatbestand („doppelter Teilnehmervorsatz“)
- Vorsatz bezüglich der vors. rw. Haupttat
- Vorsatz bezüglich der Beihilfehandlung
- Ggf. Tatbestandsverschiebung nach § 28 Abs. 2 StGB
- Objektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
Wie kannst Du die Prüfung eines vollendeten vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikts aufbauen (§ 13 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Objektiver Tatbestand
- Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale eines Erfolgsdelikts
- Unterlassung einer geeigneten und erforderlichen Verhinderungshandlung
- physisch-reale Handlungsmöglichkeit
- (hypothetische) Kausalität
- objektive Zurechnung
- Garantenstellung
- Entsprechungsklausel (§ 13 Abs. 1 2. Hs StGB)
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz bzgl. objektivem Tatbestand
- Besondere subjektive Tatbestandsmerkmale
- Objektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
Wie prüfst Du den objektiven Tatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB)?
- Täuschung über Tatsachen
- Irrtum (kausal durch Täuschung)
- Vermögensverfügung (kausal durch Irrtum)
- Vermögensschaden oder Vermögensgefährdung (kausal durch Vermögensverfügung)
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
ehemalige:r Nutzer:in
26.8.2020, 03:16:07
Mir ist ehrlich gesagt nicht klar, worauf der Fall hinausläuft. Zum einen fehlt das Ergebnis, zum anderen sehe ich noch andere Probleme als nur die Garantenstellung. Es sollte auch nicht mit Beihilfe angefangen werden, da auch Täterschaft in Betracht kommt, da es unterschiedliche Ansätze zur Lösung von
Unterlassungsdelikten gibt, welche nicht alle auf die Tatherrschaft abstellen.
Lukas_Mengestu
17.12.2021, 11:04:34
Vielen Dank, Quorbox. Es tut uns leid, dass wir bei diesem Fall nicht ganz Deine Erwartungen getroffen haben. Grundsätzlich fokussieren wir uns bei den Examensfällen sehr stark auf den entscheidungserheblichen Teil der Entscheidung, um deutlich zu machen, was das besondere an der Entscheidung ist. Hier liegt der Fokus auf der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Compliance-Officer strafrechtliche Konsequenzen befürchten muss. Zur besseren Verständlichkeit haben wir den Fall nun aber noch etwas überarbeitet und klargestellt, dass hier letztlich die Beihilfestrafbarkeit bejaht wird. Schau Dir den Fall gerne noch einmal an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team