Unfall in einer automatisierten Waschanlage

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B lassen ihre Autos in einer Waschstraße bei ausgeschaltetem Motor vorwärts ziehen. A fährt kurz hinter B. Aus ungeklärten Gründen löst sich eine Zugvorrichtung am Auto der B, sodass sie stehen bleibt. Um eine Kollision zu vermeiden, bremst A ab. Da die Anlage hierauf nicht eingestellt ist, beschädigt das Gebläse das Auto des A.

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Einordnung des Falls

Unfall in einer automatisierten Waschanlage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A verlangt Schadensersatz von B. Vorrangig zu prüfen ist § 7 Abs. 1 StVG.

Genau, so ist das!

Bei Unfällen in Verbindung mit Kraftfahrzeugen sollte man in der Regel zuerst § 7 Abs. 1 StVG prüfen. Diese Anspruchsgrundlage ist für den Geschädigten meist am günstigsten, da sie im Gegensatz zur Haftung des Fahrzeugführers (§ 18 StVG) und den allgemeinen deliktischen Anspruchsgrundlagen (§§ 823, 826 BGB) kein Verschulden des Schädigers erfordert (sog. Gefährdungshaftung). Wie wichtig es ist, in der Klausur nicht § 7 Abs. 1 StVG als Anspruchsgrundlage zu übersehen und etwa gleich auf deliktische Ansprüche zu „springen“, zeigt sich in all denen Fällen, in denen - wie hier - kein Verschulden feststellbar ist.
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2. § 7 Abs. 1 StVG setzt zunächst eine Rechtsgutsverletzung voraus. Diese ist hier gegeben.

Ja, in der Tat!

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG sind: (1) Rechtsgutverletzung; (2) Verursachung bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs; (3) Haltereigenschaft des Anspruchsgegners; (4) kein Ausschluss des Anspruchs (§ 7 Abs. 2 und 3, § 8, § 17 Abs. 3 StVG). Der durch das Gebläse verursachte Schaden an As Auto ist laut Sachverhalt gegeben.

3. Damit der Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG erfüllt ist, müsste die Sache des Geschädigten bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs beschädigt worden sein.

Ja!

Nach der von der Rechtsprechung vertretenen sog. verkehrstechnischen Auffassung ereignet sich ein Unfall „beim Betrieb“ des Fahrzeugs, wenn bei wertender Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug zumindest mitgeprägt worden ist; dies ist dann der Fall, wenn der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (BGH NJW 2015, 1681). Auch wenn das Merkmal „bei Betrieb“ oft unproblematisch ist, muss man es immer im Blick haben und zumindest in atypischen Konstellationen - wie hier - sorgfältig prüfen.

4. Der Unfall hat sich ereignet, weil A die Bremse betätigt hat. Der Unfall hat sich deshalb „bei dem Betrieb des Fahrzeugs“ der B i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG ereignet.

Nein, das ist nicht der Fall!

OLG: Der Schaden sei zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem sich das Fahrzeug der B mit ausgeschaltetem Motor auf dem Förderband einer Waschstraße befunden habe. Dort sei es vollständig von den automatisierten Transportvorgängen der Anlage abhängig gewesen. Es sei deshalb kein Unterscheid zu einem anderen beliebigen Gegenstand, der von einem automatischen System fortbewegt werde, zu erkennen. Dass sich eine Zugvorrichtung vom Fahrzeug gelöst habe, stehe in keinem Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer Betriebseinrichtung des Pkw (RdNr. 9ff.). Zweifelsfrei erscheint die Annahme des OLG nicht. Denn die nicht vollständige Abhängigkeit von den Transportvorgängen der Waschstraße zeigt sich gerade darin, dass A noch bremsen konnte. Auch ein hinreichender örtlich-zeitlicher Zusammenhang zu einem Betriebsvorgang ließe sich annehmen.

5. A kann von B Schadensersatz gemäß § 7 Abs. 1 StVG verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Schadensereignis ist nicht „beim Betrieb“ des von B gehaltenen Kraftfahrzeugs aufgetreten. Somit scheidet § 7 Abs. 1 StVG als Anspruchsgrundlage aus. Die Rechtsprechung legt das Merkmal „bei Betrieb“ sonst eher weit aus. In den meisten anderen Fällen wird es deshalb eher zu bejahen sein. So hat etwa das OLG Köln den Fahrzeugbetrieb bejaht, als ein Mechaniker in einer Werkstatt die Zündung eines Fahrzeugs betätigte, woraufhin infolge eines Defekts der Elektrik ein Brand entstand und die Werkstatt beschädigte. Hier liegt nämlich ein enger Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang (Betätigung der Zündung) und einer Betriebseinrichtung (Fahrzeugelektronik) vor (vgl. OLG Köln, Urteil vom 06.04.2017 - 3 U 111/15)

6. Auch die §§ 18 StVG, 823, 826 BGB scheiden als Anspruchsgrundlagen aus.

Ja!

Auch § 18 StVG setzt den Betrieb eines Kraftfahrzeugs voraus. Die §§ 823, 826 erfordern jedenfalls ein Verschulden des Schädigers. Der Unfall hat sich nicht beim Betrieb des Fahrzeugs der B ereignet, sodass sie auch nicht nach § 18 StVG haftet. Für ein Verschulden der B im Sinne der §§ 823, 826 BGB ist überhaupt nichts ersichtlich, weshalb auch diese Anspruchsgrundlagen ausscheiden. Damit geht A – zumindest gegenüber B – leer aus. In der Klausur würdest Du hier auch noch mögliche Ansprüche gegen den Betreiber der Waschstraße prüfen. Im vorliegenden Sachverhalt gibt es dafür aber zu wenig Anhaltspunkte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Hajo

Hajo

5.12.2021, 19:52:03

Laut Sachverhalt hat das Gebläse das Auto des A beschädigt, da er abgebremst hat und die Anlage darauf nicht vorbereitet war. Ich hatte mich daher auf die Prüfung von Ansprüchen des A gegen den Betreiber der Waschanlage eingestellt. MfG

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.12.2021, 11:31:09

Hallo Hajo, zwar war das Gebläse für

die Beschädigung

verantwortlich.

Die Beschädigung

erfolgte aber letztlich dadurch, dass A gebremst hatte. Die Bremsung wiederum war dadurch ausgelöst, dass A eine Kollision mit B vermeiden wollte. Vermutlich aus diesem Grund, hat A sich mit seiner Klage direkt gegen B gewendet. Problematisch war im Ausgangsfall aber, dass nicht aufgeklärt werden konnte, warum das Zugband unter dem Fahrzeug des B weggerutscht ist. A behauptete, B habe gebremst, was nicht bewiesen werden konnte. Für die verschuldensunabhängige Halterhaftung wäre dies zwar nicht notwendig gewesen, allerdings wurde diese mangels Beschädigung "bei Betrieb" gerade abgelehnt. Im Ergebnis wurde die Klage deswegen vollumfänglich abgewiesen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DI

divenir

16.5.2022, 23:36:40

Was für ein absurdes Ergebnis.

Simon

Simon

27.5.2022, 13:20:43

Hätte man in der Klausur noch eine GoA anprüfen können? Abbremsen als tatsächliches Tätigwerden reicht für eine Geschäftsführung, zudem lag grds. ein auch-fremdes-Geschäft vor, da das Vermeiden einer Kollision der Fahrzeuge auch dem Interessenkreis des B zuzurechnen ist. Entweder würde ich dann hier (ausnahmsweise) die Fremdheit des Geschäfts ablehnen, da A den Schaden an seinem Auto auch im Falle eines Zusammenstoßes hätte tragen müssen. Arg.: GoA dient nicht der Abwälzung von Schäden (casus sentit dominus), sondern soll Geschäftsführer deshalb schadlos stellen, weil er Aufwendungen (iwS) auf sich nimmt, die unter normalen Umständen der Geschäftsherr zu tragen hätte. Oder ich hätte (mit gleicher Begründung) die Erforderlichkeit der Aufwendungen verneint (was ich persönlich überzeugender finde). Oder wäre eine GoA-Prüfung hier abwegig?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.6.2022, 17:09:48

Hallo Simon, in diesem Fall wurde eine Entscheidung aus der Rechtsprechung nachgebildet, und in dieser wurde GoA überhaupt nicht erwähnt. Ansprechen könntest du es in jedem Fall. Es bleibt aber bekanntermaßen immer eine Entscheidung des Einzelfalls, die eine genaue Auswertung des Sachverhalts erfordert, inwiefern hier z.B. ein

Fremdgeschäftsführungswille

vorliegt oder widerlegt ist. Ein Fall der Aufopferung im Straßenverkehr wird hier im Zusammenhang mit der Ablehnung des "Betriebs des KfZ" ebenfalls abzulehnen sein. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Blackpanther

Blackpanther

13.7.2022, 11:45:40

Hätte A die Schäden, wenn er nicht gebremst und B aufgefahren wäre, wirklich selbst tragen müssen? Konsequenterweise müsste bei einem Anspruch B gegen A auch "bei Betrieb" verneint werden. Wenn A auch kein Verschulden trifft, wäre er nicht haftbar. Insofern könnte im Augangsfall eine GoA A gegen B doch durchgehen, oder?

VALA

Vanilla Latte

6.8.2024, 03:20:36

Hätte ich auch gedacht. Wenn er sonst nicht auf 7, 18 StVG haftet, dann wäre das Ausweichen eine mögliche GoA, da auch fremd.

CEMA

cemawo

10.6.2022, 17:27:08

Finde es hier tatsächlich sehr unverständlich, dass bei bloßem Parken die Eigenschaft 'bei Betrieb' bejaht wird, wenn aber sogar eine Funktion des Kfz betätigt wird (die Bremse) auf einmal etwas anderes gelten soll. Ich verstehe beide Argumentationen für sich, aber nebeneinander sind sie überhaupt nicht schlüssig.

CEMA

cemawo

10.6.2022, 17:30:03

Ich nehme alles zurück, ich habe einfach nur nicht richtig gelesen. Mein Fehler.

EVA

evanici

12.9.2023, 12:44:19

Frage mich allerdings gerade, ob die Waschanlage ein Kraftfahrzeug ist und woran die Subsumtion unter der Definition (Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne dabei an Bahngleise gebunden zu sein) scheitert, an den "Bahngleisen"?

Benny0707

Benny0707

22.9.2023, 12:09:17

Hi :) Wie kommst du hier darauf, die Waschanlage als KFZ zu sehen? Es geht doch um die KFZe von A und B und den Bremsvorgang, nicht um die Waschanlage als solche oder irre ich mich?

julia_purpose

julia_purpose

8.11.2023, 18:54:56

Aus dem Wort KraftFAHRzeug oder LandFAHRzeug ergibt sich schonmal im Ansatz, dass sich das Fahrzeug fortbewegen können muss und sich nicht auf der festen Stelle bewegt. Es müsste ein Waschfahrzeug sein, keine feste Anlage, dann wäre die Überlegung sinniger. Die Legaldefinition findet sich ja in § 1 Abs. 2 StVG. Bei solchen Überlegungen ist es oft hilfreich, die anderen Absätze der Norm zu lesen. Der Abs. 1 spricht zum Beispiel von in Betrieb nehmen auf öffentlichen Straßen und der dazu benötigten Zulassung, was man mit einer Waschanlage nicht tun kann (sowohl das Bewegen als auch das Zulassen geht nicht). Abs. 3 enthält eine Ausführung darüber, was keine Kraft-/ Landfahrzeuge sind. Es werden allein schon Landfahrzeuge ausgeschlossen, bei denen sich die motorische Unterstützung mit zunehmender Fahrzeuggeschwindigkeit verringert. Eine Waschanlage erreicht erst gar keine Fahrtgeschwindigkeit. Grundsätzlich scheitert die Subsumtion aber meiner Ansicht nach ganz einfach schon daran, dass eine Waschanlage, egal wie man es dreht und wendet, nicht zum Fahren im Straßenverkehr gedacht ist und deshalb das Straßenverkehrsgesetz nicht für sie einschlägig ist. Die Betrachtung solcher als Kraft-/ Landfahrzeuge erscheint aus diesen Gründen abwegig.

VALA

Vanilla Latte

6.8.2024, 03:23:58

Welche Ansprüche hätte A gegen den Betreiber? I. 280 I des "Waschvertrags" (-), kein Verschulden II. GoA EbV usw gibt es nicht III. 823 I (-) kein Verschulden IV. 823 II iVm 303 StGB (-) kein Vorsatz Sonst fällt mir nichts ein

Tobias Krapp

Tobias Krapp

8.8.2024, 15:24:33

Hallo Vanilla Latte, danke für deine Nachfrage. Schwerpunkt der Prüfung wäre §§ 280 I, 241 II BGB. Bei dem Vertrag über die Reinigung eines Fahrzeugs in einer Waschstraße handelt es sich um einen Werkvertrag. Dabei ist zu beachten, dass der Anlagenbetreiber durch den Betrieb der Waschstraße eine Gefahrenanlage unterhält und der Kunde sich durch den Werkvertrag "in die Hände" des Betreibers begibt. Daher ist der Betreiber grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung am Fahrzeug des Kunden - gleich aus welcher Ursache - zu verhindern. Es handelt sich um einen Unterfall einer Verkehrssicherungspflicht als vertragliche Nebenpflicht (vgl. zum ganzen BGH, Urteil vom 19.7.2018 – VII ZR 251/17; Übungsfall in JuS 2024, 748). Entscheidend ist also, welche Vorkehrungen dem Betreiber zumutbar sind. Die Zumutbarkeit bestimmt sich dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen, dem Stand der Technik und der Höhe des Kostenaufwands, der mit etwaigen Sicherungsvorkehrungen einhergeht. Zu den gebotenen Sicherungsvorkehrungen kann auch die Erfüllung von Hinweispflichten gehören. Hier wäre also etwa zu prüfen, ob es nach dem Stand der Technik erforderlich ist, dass die Anlage einen automatischen Notfall-Stopp o.Ä. verbaut hat. Das ist Sachverhalts-Frage, dafür fehlen in unserem Sachverhalt Angaben. Ebenso fehlen Angaben zur Erfüllung von Hinweispflichten. Daneben sollte man in der Klausur noch andenken, ob der Betreiber zu einer kontinuierlichen Überwachung durch den Einsatz einer Videoanlage oder durch Mitarbeiter, die neben dem Schleppband mitlaufen, verpflichtet ist, um notfalls manuell die Anlage zu stoppen. In der AG-Rechtsprechung wurde dies teils bejaht, der BGH hat einer solchen Pflicht aber bereits in dem oben zitierten Urteil als zu weitgehend eine Absage erteilt. Es käme also auf die übrigen aufgeworfenen Fragen nach der Zumutbarkeit der Sicherungsvorkehrungen an. Diese Fragen wären dann auch für den § 823 I BGB Anspruch (Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht) relevant, wobei hier das Verschulden positiv nachgewiesen werden müsste. Andere Anspruchsgrundlagen, da stimme ich voll zu, greifen nicht. Entscheidend ist also v.a. §§ 280 I, 241 II BGB. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias


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