+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Landwirtin A betreibt auf ihrem Hof einen Traktor. Sie mäht mit ihrem Traktor ihr Weideland. Durch die Mäharbeiten wird ein Stein auf das benachbarte Grundstück geschleudert, auf dem B reitet. Der Stein trifft Bs Auge. B verlangt Schadensersatz.
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Einordnung des Falls
BGH zum Betriebsbegriff bei Arbeitsmaschinen – Landwirt haftet nicht für Verletzung durch Mähmaschine
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B könnte einen Schadensersatzanspruch gegen A aus Fahrzeughalterhaftung (§ 7 Abs. 1 StVG) haben.
Genau, so ist das!
Der (1) Halter eines Kfz haftet für (2) Personen- oder Sachschäden, die (3) bei dem Betrieb des Kfz verursacht werden, (4) wenn die Haftung nicht ausgeschlossen ist (§ 7 Abs. 1 StVG).
Bei der Halterhaftung handelt es sich um eine Gefährdungshaftung (wie zB auch die Tierhalterhaftung nach § 833 Abs. 1 BGB). Auf ein Verschulden des Halters für den Unfall kommt es deshalb nicht an.
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2. A ist Halterin des Traktors.
Ja, in der Tat!
Halter ist, wer das Fahrzeug für eigene Rechnung (nicht nur ganz vorübergehend) gebraucht und die Verfügungsgewalt darüber besitzt.A ist Landwirtin und betreibt den Traktor auf ihrem Hof. Bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung geht damit einher, dass sie den Traktor auf eigene Rechnung gebraucht und ihn auch in ihrer dauerhaften Verfügungsgewalt hat. Der Halterbegriff ist nicht legaldefiniert, aber durch die Rechtsprechung von RG und BGH etabliert (siehe BGHZ 13, 351). Achtung: Der Halter ist nicht zwingend identisch mit dem Eigentümer!
3. Die weitere Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG, wonach die Rechtsgutsverletzung „bei Betrieb“ eines KfZ eintreten muss, wird eng ausgelegt.
Nein!
§ 7 Abs. 1 StVG setzt voraus, dass die Rechtsgutsverletzung „bei dem Betrieb“ eines KfZ eintritt. Das Merkmal „bei Betrieb“ wird entsprechend des Schutzzweckes der Halterhaftung weit ausgelegt. Denn die Haftung ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs als Fortbewegungs- und Transportmittel erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Ein Schaden ist „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben. Umfasst sind dabei aber nur Schäden, die auf Gefahren beruhen, vor denen der Verkehr durch die Haftungsnorm geschützt werden soll. Die Schadensursache muss hierzu in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs stehen.
4. Schäden, die durch Arbeitsmaschinen verursacht werden, unterfallen stets dem Schutzzweck der Halterhaftung (§ 7 Abs. 1 StVG).
Nein, das ist nicht der Fall!
Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen muss ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeuges als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine bestehen (vgl. § 1 Abs. 2 StVG), um den Anwendungsbereich der Halterhaftung zu eröffnen. Die Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird. Sie entfällt auch bei Schäden, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht hat.
Das Merkmal „bei dem Betrieb“ eines KfZ wird in den meisten Fällen unproblematisch vorliegen.
5. Da der Traktor sich bei den Mäharbeiten bewegte, wurde der Stein, der B traf, „bei dem Betrieb“ des Traktors hochgeschleudert.
Nein, das trifft nicht zu!
BGH: Zwar sei grundsätzlich die Halterhaftung nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Rechtsgutsverletzung auf einem Privatgelände erfolgte. Jedenfalls bei Arbeitsmaschinen sei aber für die Frage, ob ihr Einsatz in den Schutzbereich der Halterhaftung falle, der Umstand maßgeblich, ob der Einsatz auf oder in örtlicher Nähe zu Straßenverkehrsflächen stattfinde (z.B. Streufahrzeug).
Das Feld diente weder dem öffentlichen, noch dem privaten Verkehr. Es handelte sich um eine landwirtschaftliche Nutzfläche. Insoweit stand die Funktion des Traktors als Arbeitsmaschine im Vordergrund und der Steinschlag war nicht durch den Betrieb eines Kraftfahrzeuges i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG geprägt.
6. B hat einen Schadensersatzanspruch gegen A nach § 7 Abs. 1 StVG.
Nein!
Der (1) Halter eines Kfz haftet für (2) Personen- oder Sachschäden, die (3) bei dem Betrieb des Kfz verursacht werden, (4) wenn die Haftung nicht ausgeschlossen ist (§ 7 Abs. 1 StVG).Da die Funktion des Traktors als Arbeitsmaschine im Vordergrund stand und der Steinschlag nicht durch den Betrieb eines Kraftfahrzeuges geprägt war, fällt das verwirklichte Risiko nicht in den Schutzbereich der Halterhaftung (§ 7 Abs. 1 StVG).
7. B besitzt aber einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen A (§ 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB iVm § 229 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
Die deliktischen Schadensersatzansprüche setzen im Gegensatz zur verschuldensunabhängigen Halterhaftung ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) des Schädigers voraus.Anhaltspunkte dafür, dass A bei den Arbeiten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat, liegen nicht vor. Insofern hat sie nicht einmal fahrlässig gehandelt. Mangels Verschulden bestehen keine deliktischen Ansprüche.
Zu einem vollständigen Gutachten gehören immer auch die verschuldensabhängigen deliktischen Ansprüche. Da aber in straßenverkehrsrechtlichen Klausuren regelmäßig kein Schwerpunkt liegt, kann man sich hier kurz fassen.