Strafrecht

BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.

Raub (§ 249 StGB)

Wegnahme fremder beweglicher Sache – Abgrenzung § 255: Fall mit unterschiedlichen Ergebnissen

Wegnahme fremder beweglicher Sache – Abgrenzung § 255: Fall mit unterschiedlichen Ergebnissen

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Diebin D steigt in eine Wohnung ein als sie dort von der Wohnungsinhaberin O überrascht wird. D veranlasst diese daraufhin unter Androhung von Gewalt gegen ihre Person, einen mit einem Zahlenschloss gesicherten Tresor zu öffnen. Diesem entnimmt D die darin befindlichen Geldscheine.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der objektive Tatbestand des Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass D die Geldscheine weggenommen hat.

Ja, in der Tat!

Tathandlung des Raubes ist die Wegnahme des Tatobjekts. Wegnahme bedeutet den Bruch fremden und die Begründung neuen – nicht notwendigerweise tätereigenen – Gewahrsams. Gewahrsam ist die vom natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft, beurteilt nach der Verkehrsanschauung. Gewahrsam wird gebrochen, wenn er gegen oder ohne den Willen des Inhabers aufgehoben wird. Die O hat einen vom generellen Herrschaftswillen getragenen Gewahrsam an den in ihrer Wohnung und damit in ihrer Herrschaftssphäre befindlichen Geldscheinen. Diesen hat T spätestens mit dem Verlassen der Wohnung aufgehoben und eigenen begründet. Fraglich ist allerdings, ob dies auch gegen den Willen der O geschah.
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2. Nach Ansicht der Rechtsprechung liegt kein tatbestandsausschließendes Einverständnis der O vor, sodass D die Geldscheine weggenommen hat.

Ja!

Die Aufhebung des ursprünglichen Gewahrsams erfolgt dann nicht ohne bzw. gegen den Willen des Opfers, wenn ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vorliegt. Wann das beim Raub der Fall ist, wird uneinheitlich beantwortet. Nach der Rechtsprechung handelt es sich dann um eine Wegnahme, wenn sich das Tatgeschehen nach dem äußeren Erscheinungsbild als ein "Nehmen" des Täters und nicht als ein "Geben" des Opfers darstellt. D hat das Geld eigenständig aus dem geöffneten Tresor herausgenommen.

3. Nach anderer Ansicht liegt indes ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der O vor, sodass D die Geldscheine nicht weggenommen hat.

Genau, so ist das!

Nach anderer Ansicht in der Literatur ist die innere Willensrichtung des Opfers entscheidend. Glaubt das Opfer, eine Schlüsselposition innezuhaben, also einen unerlässlichen Mitwirkungsakt für den Gewahrsamswechsel leisten zu müssen, liegt bei Vorname dieses Mitwirkungsakts ein Einverständnis vor. Denn das Opfer verfügt dann mit einem sog. Rest an Freiwilligkeit über eigenes Vermögen. O hat mittels einer Zahlenkombination den Tresor erst öffnen müssen, damit D das Geld herausnehmen konnte. Aufgrund divergierender Ergebnisse ist ein Streitentscheid vorzunehmen.

4. Der Streit entscheidet sich maßgeblich daran, in welchem Verhältnis der Raub zur räuberischen Erpressung steht (§§ 253, 255 StGB). Die Rechtsprechung sieht den Raub als lex specialis zur räuberischen Erpressung.

Ja, in der Tat!

Die Rechtsprechung sieht den Raub als lex specialis zur räuberischen Erpressung. Denn eine Wegnahme ist im Sinne der Duldung derselben stets auch ein tauglicher Nötigungserfolg gem. §§ 253, 255 StGB. Dafür spricht zunächst der eindeutige Wortlaut des § 253 StGB. Eine "Vermögensverfügung" müsste als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal hineingelesen werden. Im Vergleich zu § 240 StGB wäre dies jedoch eine abweichende Auslegung gleichen Wortlauts. Ferner scheint es auch nicht sachgerecht, ausgerechnet die vis absoluta als schwerste Form der Gewalt mangels Freiwilligkeit als taugliches Erpressungsmittel auszuschließen. Zudem lässt sich in der Praxis durch ein objektiv erkennbares Abgrenzungskriterium eine klare Abgrenzung treffen.

5. Nach der Literaturansicht besteht indes ein strenges Exklusivitätsverhältnis zwischen Raub und räuberischer Erpressung.

Ja!

Nach der Literaturansicht besteht ein strenges Exklusivitätsverhältnis zwischen Raub und räuberischer Erpressung. Das Wortlautargument lässt sich dadurch entkräften, dass auch der Betrugstatbestand (§ 263 StGB) nicht von einer Vermögensverfügung spricht, sie gleichwohl dort unbestritten ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal darstellt. Auch muss vis absoluta nicht per se die schwerste Form der Gewalt darstellen ("Einsperren" vs. "Zusammenschlagen"). Ferner wäre bei einem Spezialitätsverhältnis der § 249 StGB schlicht überflüssig. Zudem lässt sich im StGB nirgendwo sonst eine Verweisung des Strafrahmens vom allgemeineren zum spezielleren Delikt finden ("gleich einem Räuber").Folgt man dieser Ansicht ist im Anschluss §§ 253, 255 StGB zu prüfen und unter Bejahung der Vermögensverfügung der O anzunehmen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Edward Hopper

Edward Hopper

21.5.2023, 22:22:26

Nach Rsp haben wir hier aber doch auch keine wegnahme? Nach dem äußeren Erscheinungsbild hat O die Sache doch übergeben, oder überseh ich was.

SE.

se.si.sc

22.5.2023, 09:16:44

Doch, nach der Rspr haben wir hier eine Wegnahme, weil die Rspr bei der Differenzierung zwischen dem äußeren "Geben" und dem äußeren "Nehmen" extrem "stumpf" ist. Wie ist D tatsächlich an das

Geld

gekommen, wurde es ihr gegeben oder hat sie es sich genommen? Im Sachverhalt steht, dass sie sich das

Geld

aus dem Tresor gegriffen hat, also nach der Rspr ein Nehmen, damit eine Wegnahme und damit Raub. Wenn O den Tresor geöffnet und D daraufhin mit vorgehaltener Waffe den O aufgefordert hätte, in den Tresor zu greifen und ihr das

Geld

in die Hand zu drücken, hätten wir mit der Rspr ein äußerliches "Geben" und damit eine räuberische Erpressung. Was du im Kopf hast und womit du das hier vermischst, ist die Literaturansicht, wonach es um die innere Willensrichtung des Opfers geht und bei der es dann darauf ankommt, ob das Opfer die Vorstellung hat, den Verlust der Sache verhindern zu können notfalls unter Einsatz des eigenen Lebens (das sind die klassischen "Tresorfälle", bei denen das Opfer erst die Kombination preisgeben muss).

Selma🌻

Selma🌻

25.2.2024, 22:57:42

Ich verstehe noch nicht ganz das Argument der Literatur, dass 249 überflüssig wäre, wenn er lex specialis zu 253, 255 wäre. Wenn in jedem Raub auch eine räuberische Erpressung zu sehen ist, dann bräuchte man doch eher die räuberische Erpressung nicht, weil man immer einen Raub bejahen könnte. Wo ist mein Denkfehler?

LELEE

Leo Lee

26.2.2024, 21:00:01

Hallo Selma, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man auf den ersten Blick meinen, mit der Literaturmeinung bräuchte man genauso andersrum die räuberische Erpressung nicht. Zunächst ist dein Einwand auch verständlich. Beachte allerdings, dass die Literatur aus dem folgenden Grund die Überflüssigkeit als Argument anführt. Wenn mit der Rspr. in jeder nötigungsbedingten Vermögensübertragung eine räuberische Erpressung zu sehen ist, läge IMMER eine räuberische Erpressung vor. D.h., die Rechtsprechung kann zwar auch aus 249, jedoch auch zeitgleich immer aus der räuberischen Erpressung bestrafen (wenn wir mal von der äußeren Weggabe vs. Wegnahme wegsehen). Die Literatur kritisiert die Rspr. gerade deshalb, weil der BGH damit die Grenzen zwischen diesen zwei Tatbeständen verwischt, wohingegen die Literatur immer streng nach der Willenstheorie (gibt das Opfer weg weil er noch eine Wahl hat, oder ist dies faktisch eine Wegnahme, weil er keine andere Wahl sieht?) abgrenzt und NIE die Erpressung mit dem Raub vermischt. Somit kritisiert die Literatur letztlich, dass die Rechtsprechung – in Fällen äußerlicher Wegnahme jedoch FEHLENDER

Zueignungsabsicht

– trotz des Erfordernisses der „Wegnahme“ auf Ebene des obj. TBs – sich auf einmal über die eigenen Kriterien hinwegsetzt und den Raub zwar ablehnt, jedoch mit der räuberischen Erpressung (gleicher Strafrahmen) weitermacht, weil doch in jedem Raub eine räuberische Erpressung stecke (selbst wenn die Sache nach außen hin weggenommen wurde). Deshalb sei nach der Literaturmeinung bei BGH-Ansicht der Raub überflüssig (weil der BGH in Fällen, wo er konsequenterweise die räuberische Erpressung mangels Wegnahme ablehne müsste, bejaht). Summa summarum: mit dem BGH wäre deshalb der Raub überflüssig, weil er faktisch IMMER zusammen mit der räuberischen Erpressung vorläge; andersrum funktioniert es auch, außer in den Fällen, wo eben nach außen hin eine Wegnahme vorliegt, jedoch der Tatbestand mangels

Zueignungsabsicht

ausscheidet. Falls die Erklärung nicht klar genug war: Melde dich gern! I.Ü. kann ich hierzu die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Sander § 253 Rn. 16 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

DO

Dominic

9.8.2024, 00:29:35

Folgende Ausführungen sind ungenau: "Die Aufhebung des ursprünglichen Gewahrsams erfolgt dann nicht ohne bzw. gegen den Willen des Opfers, wenn ein

tatbestandsausschließendes Einverständnis

vorliegt. *Wann das beim Raub der Fall ist, wird uneinheitlich beantwortet*." Eigentlich wird nicht unterschiedlich beantwortet, WANN ein

tatbestandsausschließendes Einverständnis

vorliegt. Sondern der Begriff der Wegnahme wird unterschiedlich ausgelegt/definiert. Nach der Lit. ist er deckungsgleich zu § 242 StGB, womit auch ein

tatbestandsausschließendes Einverständnis

(bei Willentlichkeit) in Betracht kommt. Nach der Rechtsprechung hingegen sei der Begriff abweichend von dem Begriff in 242 zu definieren. Nämlich nach dem äußeren Erscheinungsbild.

BE

Bioshock Energy

30.8.2024, 14:55:38

Eine Frage, die mich schon länger beschäftigt: Fängt man die Prüfung mit dem Raub oder mit der räuberischen Erpressung an, wenn man sieht, dass es auf die Abgrenzung hinausläuft?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

8.9.2024, 09:15:47

Hallo @[Bioshock Energy](207759), eine gute und absolut berechtigte Frage. Die Antwort lässt sich aufgrund des verästelten Meinungsstreits leider in einem Forumspost in den Details kaum mehr abbilden, zumal die typischen Empfehlungen, mit welcher Prüfung man anfängt, nicht immer vollkommen deckungsgleich sind. Gleichzeitig ist das aber ein wichtiger Punkt und man sollte das zumindest ein Mal komplett durchdacht haben. Ich verweise deshalb an dieser Stelle schon mal auf einen Aufsatz von Heghmanns in der ZJS, der sich auch mit der Frage der Prüfungsreihenfolge befasst (inkl hilfreichem, wenn auch auf den ersten Blick abschreckenden Schaubild am Ende): https://www.zjs-online.com/dat/artikel/2023_5_1785.pdf Inhaltlich nur in Kürze: Eine häufige und mE vernünftige Empfehlung lautet, jedenfalls dann mit der Prüfung des Raubs nach § 249 StGB zu beginnen, wenn sich das Täterverhalten äußerlich als Nehmen darstellt. Nach der Rspr haben wir in diesem Fall eine Wegnahme und keine Weggabe, sodass § 249 StGB ggü der räuberischen Erpressung nach § 255 StGB spezieller ist und § 255 StGB grds nicht näher geprüft werden muss. Auch nach den verschiedenen Differenzierungen in der Literatur haben wir hier einen Raub, weil es an einer Vermögensverfügung/dahingehenden inneren Willensrichtung des Opfers fehlt. Falls der Raub iE nicht vorliegt oder sich das Täterverhalten von Anfang an äußerlich als Geben darstellt, ist noch § 255 StGB zu prüfen bzw sollte tendenziell mit dieser Prüfung begonnen werden. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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