Strafrecht
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.
Raub (§ 249 StGB)
Wegnahme fremder beweglicher Sache – Abgrenzung § 255: Fall mit unterschiedlichen Ergebnissen
Wegnahme fremder beweglicher Sache – Abgrenzung § 255: Fall mit unterschiedlichen Ergebnissen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Diebin D steigt in eine Wohnung ein als sie dort von der Wohnungsinhaberin O überrascht wird. D veranlasst diese daraufhin unter Androhung von Gewalt gegen ihre Person, einen mit einem Zahlenschloss gesicherten Tresor zu öffnen. Diesem entnimmt D die darin befindlichen Geldscheine.
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der objektive Tatbestand des Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass D die Geldscheine weggenommen hat.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Nach Ansicht der Rechtsprechung liegt kein tatbestandsausschließendes Einverständnis der O vor, sodass D die Geldscheine weggenommen hat.
Ja!
3. Nach anderer Ansicht liegt indes ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der O vor, sodass D die Geldscheine nicht weggenommen hat.
Genau, so ist das!
4. Der Streit entscheidet sich maßgeblich daran, in welchem Verhältnis der Raub zur räuberischen Erpressung steht (§§ 253, 255 StGB). Die Rechtsprechung sieht den Raub als lex specialis zur räuberischen Erpressung.
Ja, in der Tat!
5. Nach der Literaturansicht besteht indes ein strenges Exklusivitätsverhältnis zwischen Raub und räuberischer Erpressung.
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Edward Hopper
21.5.2023, 22:22:26
Nach Rsp haben wir hier aber doch auch keine wegnahme? Nach dem äußeren Erscheinungsbild hat O die Sache doch übergeben, oder überseh ich was.
se.si.sc
22.5.2023, 09:16:44
Doch, nach der Rspr haben wir hier eine Wegnahme, weil die Rspr bei der Differenzierung zwischen dem äußeren "Geben" und dem äußeren "Nehmen" extrem "stumpf" ist. Wie ist D tatsächlich an das Geld gekommen, wurde es ihr gegeben oder hat sie es sich genommen? Im Sachverhalt steht, dass sie sich das Geld aus dem Tresor gegriffen hat, also nach der Rspr ein Nehmen, damit eine Wegnahme und damit Raub. Wenn O den Tresor geöffnet und D daraufhin mit vorgehaltener Waffe den O aufgefordert hätte, in den Tresor zu greifen und ihr das Geld in die Hand zu drücken, hätten wir mit der Rspr ein äußerliches "Geben" und damit eine räuberische Erpressung. Was du im Kopf hast und womit du das hier vermischst, ist die Literaturansicht, wonach es um die innere Willensrichtung des Opfers geht und bei der es dann darauf ankommt, ob das Opfer die Vorstellung hat, den Verlust der Sache verhindern zu können notfalls unter Einsatz des eigenen Lebens (das sind die klassischen "Tresorfälle", bei denen das Opfer erst die Kombination preisgeben muss).
Selma🌻
25.2.2024, 22:57:42
Ich verstehe noch nicht ganz das Argument der Literatur, dass 249 überflüssig wäre, wenn er lex specialis zu 253, 255 wäre. Wenn in jedem Raub auch eine räuberische Erpressung zu sehen ist, dann bräuchte man doch eher die räuberische Erpressung nicht, weil man immer einen Raub bejahen könnte. Wo ist mein Denkfehler?
Leo Lee
26.2.2024, 21:00:01
Hallo Selma, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man auf den ersten Blick meinen, mit der Literaturmeinung bräuchte man genauso andersrum die räuberische Erpressung nicht. Zunächst ist dein Einwand auch verständlich. Beachte allerdings, dass die Literatur aus dem folgenden Grund die Überflüssigkeit als Argument anführt. Wenn mit der Rspr. in jeder nötigungsbedingten Vermögensübertragung eine räuberische Erpressung zu sehen ist, läge IMMER eine räuberische Erpressung vor. D.h., die Rechtsprechung kann zwar auch aus 249, jedoch auch zeitgleich immer aus der räuberischen Erpressung bestrafen (wenn wir mal von der äußeren Weggabe vs. Wegnahme wegsehen). Die Literatur kritisiert die Rspr. gerade deshalb, weil der BGH damit die Grenzen zwischen diesen zwei Tatbeständen verwischt, wohingegen die Literatur immer streng nach der Willenstheorie (gibt das Opfer weg weil er noch eine Wahl hat, oder ist dies faktisch eine Wegnahme, weil er keine andere Wahl sieht?) abgrenzt und NIE die Erpressung mit dem Raub vermischt. Somit kritisiert die Literatur letztlich, dass die Rechtsprechung – in Fällen äußerlicher Wegnahme jedoch FEHLENDER
Zueignungsabsicht– trotz des Erfordernisses der „Wegnahme“ auf Ebene des obj. TBs – sich auf einmal über die eigenen Kriterien hinwegsetzt und den Raub zwar ablehnt, jedoch mit der räuberischen Erpressung (gleicher Strafrahmen) weitermacht, weil doch in jedem Raub eine räuberische Erpressung stecke (selbst wenn die Sache nach außen hin weggenommen wurde). Deshalb sei nach der Literaturmeinung bei BGH-Ansicht der Raub überflüssig (weil der BGH in Fällen, wo er konsequenterweise die räuberische Erpressung mangels Wegnahme ablehne müsste, bejaht). Summa summarum: mit dem BGH wäre deshalb der Raub überflüssig, weil er faktisch IMMER zusammen mit der räuberischen Erpressung vorläge; andersrum funktioniert es auch, außer in den Fällen, wo eben nach außen hin eine Wegnahme vorliegt, jedoch der Tatbestand mangels
Zueignungsabsichtausscheidet. Falls die Erklärung nicht klar genug war: Melde dich gern! I.Ü. kann ich hierzu die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Sander § 253 Rn. 16 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Dominic
9.8.2024, 00:29:35
Folgende Ausführungen sind ungenau: "Die Aufhebung des ursprünglichen Gewahrsams erfolgt dann nicht ohne bzw. gegen den Willen des Opfers, wenn ein
tatbestandsausschließendes Einverständnisvorliegt. *Wann das beim Raub der Fall ist, wird uneinheitlich beantwortet*." Eigentlich wird nicht unterschiedlich beantwortet, WANN ein
tatbestandsausschließendes Einverständnisvorliegt. Sondern der Begriff der Wegnahme wird unterschiedlich ausgelegt/definiert. Nach der Lit. ist er deckungsgleich zu §
242 StGB, womit auch ein
tatbestandsausschließendes Einverständnis(bei Willentlichkeit) in Betracht kommt. Nach der Rechtsprechung hingegen sei der Begriff abweichend von dem Begriff in 242 zu definieren. Nämlich nach dem äußeren Erscheinungsbild.
Bioshock Energy
30.8.2024, 14:55:38
Eine Frage, die mich schon länger beschäftigt: Fängt man die Prüfung mit dem Raub oder mit der räuberischen Erpressung an, wenn man sieht, dass es auf die Abgrenzung hinausläuft?
Sebastian Schmitt
8.9.2024, 09:15:47
Hallo @[Bioshock Energy](207759), eine gute und absolut berechtigte Frage. Die Antwort lässt sich aufgrund des verästelten Meinungsstreits leider in einem Forumspost in den Details kaum mehr abbilden, zumal die typischen Empfehlungen, mit welcher Prüfung man anfängt, nicht immer vollkommen deckungsgleich sind. Gleichzeitig ist das aber ein wichtiger Punkt und man sollte das zumindest ein Mal komplett durchdacht haben. Ich verweise deshalb an dieser Stelle schon mal auf einen Aufsatz von Heghmanns in der ZJS, der sich auch mit der Frage der Prüfungsreihenfolge befasst (inkl hilfreichem, wenn auch auf den ersten Blick abschreckenden Schaubild am Ende): https://www.zjs-online.com/dat/artikel/2023_5_1785.pdf Inhaltlich nur in Kürze: Eine häufige und mE vernünftige Empfehlung lautet, jedenfalls dann mit der Prüfung des Raubs nach § 249 StGB zu beginnen, wenn sich das Täterverhalten äußerlich als Nehmen darstellt. Nach der Rspr haben wir in diesem Fall eine Wegnahme und keine Weggabe, sodass § 249 StGB ggü der räuberischen Erpressung nach § 255 StGB spezieller ist und § 255 StGB grds nicht näher geprüft werden muss. Auch nach den verschiedenen Differenzierungen in der Literatur haben wir hier einen Raub, weil es an einer Vermögensverfügung/dahingehenden inneren Willensrichtung des Opfers fehlt. Falls der Raub iE nicht vorliegt oder sich das Täterverhalten von Anfang an äußerlich als Geben darstellt, ist noch § 255 StGB zu prüfen bzw sollte tendenziell mit dieser Prüfung begonnen werden. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Jimmy105
3.10.2024, 14:26:03
Warum soll sich der Streit darüber wann ein den Tatbestand der Wegnahme ausschließendes Einverständnis vorliegt danach bestimmen, in welchem Verhältnis der Raub zur räuberischen Erpressung steht?
Tinki
9.10.2024, 20:12:17
Hi @[Jimmy105](252785)! Hinter der Auffassung der Rspr. steht die Überzeugung, dass § 249 lex specialis zu §§ 253, 255 ist. Im Rahmen von §§ 253, 255 genügt als
Nötigungserfolgjedes Tun, Dulden oder Unterlassen. Da jede Wegnahme gleichzeitig auch als
Duldungderselben gewertet werden kann, wird zur Abgrenzung auf das äußere Erscheinungsbild abgestellt. Hinter der Lit- Auffassung steht dagegen die Überzeugung, dass sich § 249 und §§ 253, 255 gegenseitig ausschließen. Und zwar deswegen, weil § 249 als Fremdschädigungsdelikt, §§ 253, 255 als Selbstschädigungsdelikt angesehen wird. Vor diesem Hintergrund wird iRv § 249 darauf abgestellt, ob das Opfer sich selbst willentlich oder freiwillig selbst mit Vornahme einer Vermögensverfügung zugunsten des Täters geschädigt hat. Ist das nicht der Fall, liegt zwingend eine Wegnahme vor. Aus diesem Grund kommt es bzgl. der Frage, welcher Ansicht bzgl. des Wegnahmebegriffs der Vorzug gebührt, darauf an, welche Auffassung bzgl. des Verhältnisses von § 249 und §§ 253, 255 vorzugswürdig ist. Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen! LG :)