Öffentliches Recht
VwGO
Vorläufiger Rechtsschutz (§ 123 VwGO)
Statthaftigkeit § 123 VwGO: Feststellungsklage (Sicherungsanordnung)
Statthaftigkeit § 123 VwGO: Feststellungsklage (Sicherungsanordnung)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Baubehörde B erlässt eine Abrissverfügung gegenüber Gundula Gause (G). G weiß aufgrund ihrer guten Allgemeinbildung, dass der Bescheid nichtig ist, weil er B als Behörde nicht erkennen lässt. Nach einem Monat kündigt B an, dass Gs Haus nächsten Montag abgerissen wird.
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Einordnung des Falls
Statthaftigkeit § 123 VwGO: Feststellungsklage (Sicherungsanordnung)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Gs Haus soll zeitnah abgerissen werden. Um ihr Haus vor dem Abriss zu schützen sollte G daher dringend an die Erhebung einstweiligen Rechtsschutzes denken.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Statthafte Rechtsschutzart in der Hauptsache ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO).
Nein!
3. Statthaft in der Hauptsache ist die allgemeine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO).
Genau, so ist das!
4. Der einstweilige Rechtsschutz richtet in diesem Fall sich nach §§ 80, 80a VwGO.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Helena
16.12.2021, 09:58:34
Ich habe gelernt, dass im Fall eines nichtigen Verwaltungsakt der Kläger die Möglichkeit hat, sich zwischen der Anfechtungs- und
Feststellungsklagezu entscheiden. Bedeutet das, dass im Fall eines nichtigen Verwaltungsakt es auch darauf ankommt, für welche Klageart sich der Kläger entscheidet? Wie ist das dann zu lösen, wenn Vorläufiger Rechtsschutz vor Erhebung der Klage in der Hauptsache eingelegt wird? Ist der Kläger dann an die Klageart gebunden für die er den Rechtsschutz eingelegt hat?
Wendelin Neubert
17.12.2021, 17:57:48
Hallo Helena, super Fragen, danke! Also: Einen nichtigen Verwaltungsakt kann man nicht mit der Anfechtungsklage anfechten, denn ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam (§ 43 Abs. 3 VwVfG) und entfaltet mangels Wirksamkeit keine Beschwer. Gerade für diesen Fall gibt es die
Nichtigkeitsfeststellungsklage(§ 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO). ABER: Für juristische Laien ist nicht ohne weiteres erkennbar, ob es sich um einen nichtigen oder lediglich einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) hat der Kläger deshalb - wie du selbst schreibst - nach h.M. die Wahl zwischen
Feststellungsklageoder Anfechtungsklage, wobei die Anfechtungsklage wegen der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) rechtsschutzintensiver ist. Nach h.M. bleibt auch die Anfechtungsklage statthaft, wenn sich während des Prozesses herausstellt, dass der Verwaltungsakt nichtig war. Der Kläger muss aber wählen, er kann nicht gleichzeitig Anfechtungs- und
Feststellungsklageerheben. Möglich ist aber, die Nichtigkeits-
Feststellungsklageals Hauptantrag und die Anfechtungsklage als Hilfsantrag für den Fall zu stellen, dass die
Feststellungsklageerfolglos bleibt, weil der Verwaltungsakt „nur“ rechtswidrig ist.
Wendelin Neubert
17.12.2021, 18:12:10
Zu deiner zweiten Frage: Ob der Kläger an seinen
Klageantraggebunden ist, hängt von der konkreten Situation ab. Ist der Kläger nicht anwaltlich vertreten, wird das Gericht ohnehin den
Klageantragnach dem Klagebeg
ehren rechtsschutzfreundlich auslegen. Dem anwaltlich vertretenen Kläger sollte der Anwalt raten, die rechtsschutzintensivere Anfechtungsklage zu erheben. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit, die Klage umzustellen.
Wendelin Neubert
17.12.2021, 18:12:36
Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
kristinaelghazi
22.3.2023, 14:37:30
Wenn in einem Fall der Kläger gegen einen nichtigen VA vorgehen will, er aber denkt er wäre lediglich rechtswidrig und in Erwägung zieht Einstweiligen Rechtsschutz zu ersuchen und bereits Anfechtungsklage erhoben hat (obwohl aus juristischer Sicht eine
Nichtigkeitsfeststellungsklagestatthaft wäre) und er als Laie deshalb auch die Anfechtungsklage erheben könnte. Prüfe ich dann 80V oder 123? Anfechtungsklage wäre ja rechtsschutzintensiver, dh 80V aber wäre das vertretbar? Oder sollte man lieber in eine
Nichtigkeitsfeststellungsklageumdeuten und 123 prüfen? Hier im Fall wusste die Betroffene von der Nichtigkeit aber was wenn nicht?
yangbo
8.4.2023, 14:30:00
Ich mag falsch liegen, aber das ist doch eigentlich ein Fall des faktischen Vollzugs. Müsste dann nicht eigentlich am Ende doch 80,80a einschlägig sein, da 123 I auch ungünstiger für den Antragsteller ist, da eine Glaubhaftmachung erforderlich ist?
CR7
30.4.2023, 14:36:17
Hätte es sich um einen wirksamen VA gehandelt, der aufgrund eines WS nach
§ 68 VwGOeine aufschiebende Wirkung hätte (sofern die sofortige Vollziehbarkeit nicht angeordnet wäre) dann wäre es ein Fall des faktischen Vollzugs, so dass nach § 80 V VwGO analog ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Abrissverfügung möglich wäre. Hier handelt es sich jedoch einen nichtigen VA, d.h. es ist so zu betrachten, wie wenn kein VA in der Welt bestünde. Dann § 123 I VwGO.
Flohm
13.8.2023, 13:44:29
Wie würde ich das in einer Klausur prüfen? Prüfe ich in der statthaften Klageart schon im Rahmen der AK ob der VA nichtig ich und sage dann dass die AK nicht statthaft ist oder nehme ich da schon zu viel voraus und mache die Prüfung „kopflastig“ mit ?
aylin.
5.10.2023, 00:40:26
II.
Statthafte Antragsart, 88 i.V.m. 122 VwGO 1. Feststellung des Beg
ehrens des Antragstellers 2. Abgrenzung: 80 - 123 a) wirksamer va i.S.v.
35 VwVfG(-) ->
44 VwVfGb) Feststellung, dass die Anfechtungsklage nicht einschlägig ist, also 123 c) Zwischenergebnis 3. Ergebnis Das wäre mein Aufbau :) Die Prüfung hätte ich tatsächlich schon in der Zulässigkeit geführt, da dies zur Bestimmung der Antragsart relevant ist.
A-MUC
7.5.2024, 15:48:06
Warum ist § 88 VwGO eigentlich analog anzuwenden? § 123 I VwGO verweist ja explizit auf § 88 VwGO ("entsprechend(e Anwendung)"). Damit ist ja eigentlich keine Regelungslücke gegeben und bei der einstweiligen Anordnung wird schließlich auch "durch Beschluss" entschieden, Abs. 4. Ich könnte mir nur vorstellen, dass es systematische Gründe hat (§ 122 in Abschnitt 10, der § 123 in Abschnitt 11), aber ganz erschließt sich mir das auch nicht. @[CR7](145419)
CR7
7.5.2024, 15:51:27
@[Anna-MUC](209564) Ja, der thread ist schon 83 Tage alt. Manche Seiten, die sich mit „Jura“ und „Akademie“ schmücken, kennen wohl den Unterschied zwischen entsprechende Anwendung und Analogie nicht und haben mich entsprechend in die Irre geführt. Du hast Recht, habe gerade mal in eine alte Probeklausur von mir geschaut, es ist eine entsprechende Anwendung.
A-MUC
7.5.2024, 17:52:44
Ok, super, haha, danke für deine Antwort :D