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Sachenrechtliche Einordnung einer modularen Freiflächen-Photovoltaikanlage

Sachenrechtliche Einordnung einer modularen Freiflächen-Photovoltaikanlage

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V errichtet auf einem gemieteten Grundstück eine Freiland-Photovoltaikanlage. Die modulartig verschraubte, gerüstähnliche Unterkonstruktion trägt 5.000 austauschbare Solarmodule. Ein Jahr später „verkauft und übereignet“ V 20 der Solarmodule an K.

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Einordnung des Falls

Sachenrechtliche Einordnung einer modularen Freiflächen-Photovoltaikanlage

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Hamburg 2023
Examenstreffer NRW 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Übereignung einer beweglichen Sache setzt stets eine dingliche Einigung voraus (§§ 929 ff. BGB).

Genau, so ist das!

Die Übereignung beweglicher Sachen richtet sich nach den §§ 929 ff. BGB. Unabhängig davon, ob die Übereignung durch Übergabe (§ 929 BGB), Begründung eines Besitzkonstituts (§§ 929 S. 1, 930 BGB) oder Abtretung eines Herausgabeanspruchs erfolgen soll (§§ 929 S. 1, 931 BGB), bedarf es zunächst einer wirksamen dinglichen Einigung.
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2. Die dingliche Einigung zwischen V und K ist nur wirksam, wenn die Solarmodule im Zeitpunkt der Übereignung sonderrechtsfähig waren (§§ 93 ff. BGB).

Ja, in der Tat!

Die Verfügung über eine Sache, die nicht sonderrechtsfähig ist, ist nichtig (RdNr. 6). Sonderrechtsfähig ist eine Sache, wenn sie Gegenstand besonderer dinglicher Rechte sein kann. Wesentliche Bestandteile einer anderen Sache sind dagegen nicht sonderrechtsfähig (§§ 93, 94 BGB). Sie haben keine eigene rechtliche Sachqualität, sondern teilen das sachenrechtliche Schicksal der Hauptsache. Wenn die Module im Zeitpunkt der Übereignung nicht sonderrechtsfähig waren, ist die dingliche Einigung nichtig. An der Sonderrechtsfähigkeit fehlt es, wenn die Module wesentliche Bestandteile des Grundstücks oder der gesamten Photovoltaikanlage waren (RdNr. 2).

3. Die Photovoltaikanlage im Ganzen war im Zeitpunkt der Übereignung wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 BGB).

Nein!

Mit dem Boden fest verbundene Sachen sind wesentliche Bestandteile des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 S. 1 BGB). Dies gilt nicht, wenn sie mit diesem nur zu einem vorübergehenden Zweck verbunden sind (§ 95 Abs. 1 S. 1 BGB). Dann handelt es sich um sonderrechtsfähige Scheinbestandteile des Grundstücks. Erfolgt eine Verbindung aufgrund schuldrechtlicher Berechtigung am Grundstück (zB Miete), spricht eine tatsächliche Vermutung für den nur vorübergehenden Zweck (RdNr. 8). V hat die Photovoltaikanlage - also die Unterkonstruktion mitsamt ihren Modulen - auf gemietetem Grund errichtet. Die tatsächliche Vermutung wird nicht erschüttert. Die Anlage ist somit ein Scheinbestandteil.

4. Den 20 Solarmodulen fehlt es aber auch dann an der eigenständigen Sonderrechtsfähigkeit, wenn sie ihrerseits wesentliche Bestandteile der Photovoltaikanlage sind (§§ 93, 94 Abs. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Bewegliche Sachen verlieren auch ihre Sonderrechtsfähigkeit, wenn sie (1) zur Herstellung eines Gebäudes eingefügt werden (§ 94 Abs. 2 BGB) oder (2) wenn sie nicht mehr von einer verbundenen Sache getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere Bestandteil zerstört oder in seinem Wesen verändert wird (§ 93 BGB). Zu 1: Gebäude im Sinne des § 94 Abs. 2 BGB kann auch eine bewegliche Sache sein. Die Norm gilt daher auch für Gebäude, die bloß Scheinbestandteil eines Grundstücks sind oder mit diesem keine feste Verbindung aufweisen (Herrler, in: Staudinger, BGB, 2021, § 94 RdNr. 23).

5. Die Definition eines Gebäudes in §§ 94, 95 BGB entspricht derjenigen eines Bauwerks (§§ 438 Abs. 1 Nr. 2, 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Bauwerk (§§ 438 Abs. 1 Nr. 2, 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB) ist jede ortsfeste, durch Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit dem Erdboden hergestellte Sache. Dieser Begriff ist weiter als der Begriff des Gebäudes (RdNr. 14), denn er verfolgt einen anderen Zweck: Die Verjährungsregeln dienen dem Ausgleich bauwerksspezifischer Mängelrisiken. Die §§ 93 ff. BGB dienen dagegen der Erhaltung wirtschaftlicher Werte im volkswirtschaftlichen Interesse und einer rechtssicheren Vermögenszuordnung (RdNr. 13, 17). Der Zweck der §§ 93 ff. BGB ist für diese Entscheidung prägend. Behalte ihn für die nächsten Fragen im Hinterkopf!

6. Stellt die Photovoltaikanlage ein Gebäude dar (§ 94 Abs. 2 BGB)?

Nein!

Gebäude im herkömmlichen Sinne sind Baukörper, die durch räumliche Einfriedung Schutz gewähren und den Eintritt von Menschen gestatten (RdNr. 16). Ein Gebäude liegt bei wertender Betrachtung von Beschaffenheit, Bauweise und Funktion einer Sache zudem vor, wenn diese etwas mit klassischen Baustoffen „Gebautes“ von solcher Größe und Komplexität ist, dass ihre Beseitigung die Zerstörung oder wesentliche Beschädigung und den Verlust ihrer Funktionalität zur Folge hätte (RdNr. 18, 20). BGH: Die nicht massiv aus klassischen Baustoffen errichtete, bloß modulartig zusammengeschraubte Photovoltaikanlage sei leicht zerlegbar und insoweit kein Gebäude (RdNr. 21). Entsprechend handelt es sich bei den Modulen nicht um wesentliche Bestandteile eines Gebäudes (§ 94 Abs. 2 BGB).

7. Die Module könnten im Zeitpunkt der Übereignung wesentliche Bestandteile der Photovoltaikanlage nach § 93 BGB gewesen sein. Waren sie Bestandteile dieser Anlage?

Genau, so ist das!

Bestandteile im Sinne von § 93 BGB sind körperliche Gegenstände, die von Natur aus eine Einheit bilden oder durch Verbindung miteinander nach ihrem Zweck und Wesen als eine einzige Sache erscheinen. Maßgebend dafür ist die Verkehrsanschauung. Fehlt diese, kommt es auf die natürliche, technisch-wirtschaftliche Betrachtung eines verständigen Beobachters an (RdNr. 24). Die Module konnten nur in Verbindung mit den anderen Teilen der Photovoltaikanlage ihren Zweck der Stromerzeugung erfüllen, waren also Bestandteile der Anlage (RdNr. 25).

8. Die Module waren im Zeitpunkt der Übereignung allerdings bloße Scheinbestandteile der Photovoltaikanlage nach § 95 Abs. 1 S. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Sachen, die mit einem Grundstück(!) verbunden sind, können trotz Vorliegen der Voraussetzungen der § 93 BGB oder § 94 BGB Scheinbestandteile des Grundstücks sein (§ 95 Abs. 1 S. 1 BGB). Sie bleiben dann sonderrechtsfähige bewegliche Sachen. Die Module waren mit der Unterkonstruktion verbunden. Die Unterkonstruktion ist aber selbst weder Grundstück, noch Gebäude, sondern ihrerseits Scheinbestandteil des Grundstücks und damit eine bewegliche Sache (RdNr. 39). Auf die Einfügung der Module in die Unterkonstruktion findet § 95 Abs. 1 S. 1 BGB deshalb keine direkte Anwendung.

9. Können die Regelungen zu Scheinbestandteilen auf bewegliche Sachen analog angewendet werden, sodass die Module bereits deshalb sonderrechtsfähig sind (§ 95 Abs. 1 S. 1 BGB analog)?

Nein!

§ 95 Abs. 1 S. 1 BGB gilt seinem Wortlaut nach nur für Grundstücke. BGH: Für eine analoge Anwendung der Vorschrift auf bewegliche Sachen fehle es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Vorschrift beschränke das sachenrechtliche Publizitätsprinzip und das Akzessionsprinzip (§§ 94, 946 BGB) zum Schutz des Interesses des Einfügenden am Erhalt seines Eigentums. Dessen bedürfe es typischerweise aber nur bei Verbindungen aufgrund schuldrechtlicher Grundstücksnutzungsrechte. Bei Verbindung beweglicher Sachen gewähre schon § 947 BGB hinreichenden Schutz, wonach der Verbindende Miteigentum an der Hauptsache erhält (RdNr. 41). Merke: Bewegliche Sachen haben keine Scheinbestandteile.

10. Waren die Module im Zeitpunkt der Übereignung auch wesentliche Bestandteile der Photovoltaikanlage (§ 93 BGB), sodass es ihnen zu diesem Zeitpunkt an der Sonderrechtsfähigkeit fehlt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Wesentlich sind Bestandteile, deren Trennung voneinander einen von ihnen wirtschaftlich zerstören oder nachteilig in seinem Wesen verändern würde. Zerstört wird ein Bestandteil, wenn er wirtschaftlich wertlos wird. Ersetzbare und wiederverwendbare Bestandteile sind daher nicht wesentlich, selbst wenn ihre Abtrennung die Hauptsache vorübergehend funktionsunfähig macht oder im Wert mindert (RdNr. 27, 43). Das Wesen eines Bestandteils bilden die ihm selbst anhaftenden Funktionen und Eigenschaften (RdNr. 44). Die Module waren im Zeitpunkt der Übereignung austauschbar, konnten also ersetzt und in einer anderen Anlage weiterverwendet werden.

11. Zum Zeitpunkt der Installation konnten die Module noch nicht ausgetauscht werden. Ändert dies etwas an der Beurteilung der Wesentlichkeit der Module für die Photovoltaikanlage im Hinblick (§ 93 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Im Hinblick auf die Wesentlichkeit eines Bestandteils sei zu differenzieren: (1)Sofern diese über die Frage des Untergangs eines Rechts infolge Verbindung entscheide, sei der Zeitpunkt der Verbindung maßgeblich (RdNr. 29, 31; BGHZ 191, 285 RdNr. 23). (2)Wenn die Wesentlichkeit dagegen über die Begründbarkeit eines Rechts durch Dritte entscheide (zB Übereignung), sei der Zeitpunkt der Entstehung dieses Rechts maßgeblich. Dies gebiete der Normzweck. Danach sollen unwirtschaftliche Zerschlagungen von Sachen verhindert werden. Sofern zum Zeitpunkt der Übereignung eine wirtschaftliche Trennung aber möglich sei, so spreche dies dafür, hier die Sonderrechtsfähigkeit anzuerkennen. Die Module waren jedenfalls im Zeitpunkt der Übereignung an K austauschbar. Ob dies bei Installation auch möglich war, ist unerheblich. Eine wirksame dingliche Einigung liegt damit vor. Im Originalfall fehlten hinsichtlich der Austauschbarkeit sowie der Übergabe der Module noch tatsächliche Anhaltspunkte, sodass der BGH den Fall ans Berufungsgericht zurückverwies.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JEN

jenny24

23.8.2023, 11:37:01

Waere toll wenn auch prozessuale fragen eingebaut würden. Fürs 2.Examen. Danke

Nordisch

Nordisch

22.12.2023, 18:24:26

War heute eine Teilfrage im 1. Examen Hamburg (und NRW)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.12.2023, 01:05:37

Vielen Dank für die Meldung, Nordisch!


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