Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2020

Ver­käu­ferin eines Hauses muss nicht auf Dop­pel­mord hin­weisen

Ver­käu­ferin eines Hauses muss nicht auf Dop­pel­mord hin­weisen

3. Dezember 2024

4,6(19.348 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B verkauft K ein Wohnanwesen unter Gewährleistungsausschluss. Kurz danach erfährt K, dass 20 Jahre zuvor im Haus ein Doppelmord stattfand. In Kenntnis dieses Umstands hätte K das Anwesen nicht erworben. B hat selbst lange dort gelebt und wusste vom Mord. K erklärt die Anfechtung.

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Einordnung des Falls

Ver­käu­ferin eines Hauses muss nicht auf Dop­pel­mord hin­weisen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K könnte gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des Grundstücks haben.

Ja!

Gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist derjenige, der etwas durch die Leistung eines anderen ohne rechtlichen Grund erlangt hat, zur Herausgabe verpflichtet (Leistungskondiktion). B könnte zur Herausgabe des Kaufpreises an K verpflichtet sein.
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2. Der Anspruch von K gegen B aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB setzt zunächst voraus, dass B etwas durch Leistung von K erlangt hat. Ist das hier der Fall?

Genau, so ist das!

Der Schuldner erlangt etwas, wenn er einen vermögenswerten Vorteil erhält. Dies geschieht durch Leistung, wenn der andere das Vermögen des Schuldners bewusst und zweckgerichtet vermehrt. Der Erhalt des Kaufpreises ist ein vermögenswerter Vorteil. K hat durch die Bezahlung dieses Kaufpreises das Vermögen der B bewusst und zweckgerichtet vermehrt. B hat somit etwas durch Leistung von K erlangt. Da diese Voraussetzungen hier unproblematisch gegeben sind, solltest Du sie kurz und knapp bejahen – gern im Urteilsstil.

3. Fraglich ist, ob die Leistung der K ohne Rechtsgrund erfolgt ist. Ist dies der Fall, wenn K den Kaufvertrag wirksam angefochten hat?

Ja, in der Tat!

Eine Leistung ist unter anderem dann rechtsgrundlos erfolgt, wenn das zugrundeliegende Kausalgeschäft unwirksam ist. Eine Anfechtung bewirkt die ex-tunc Nichtigkeit eines Vertrages (§ 142 Abs. 1 BGB). Das bedeutet, dass der Vertrag als von Anfang an nichtig anzusehen ist und somit keinen Rechtsgrund für eine Leistung darstellen kann. Sofern K den Kaufvertrag wirksam angefochten hat, ist die Leistung (die Bezahlung des Kaufpreises) rechtsgrundlos erfolgt.

4. Ein Vertrag kann ohne Grund innerhalb von 2 Wochen nach Abschluss angefochten werden.

Nein!

Ein Rechtsgeschäft kann nur unter bestimmten Voraussetzungen angefochten werden. Erforderlich ist ein Anfechtungsgrund (§§ 119 Abs. 1, 119 Abs. 2, 120, 123 BGB) und eine Anfechtungserklärung (§ 143 BGB) innerhalb der Anfechtungsfrist (§§ 121, 124 BGB). Eine zweiwöchige Frist besteht nur bei dem Widerrufsrecht gemäß § 355 Abs. 2 BGB. Das Widerrufsrecht kann zwar grundsätzlich ohne Grund ausgeübt werden, besteht aber nur bei bestimmten Verbraucherverträgen, wie z.B. Fernabsatzverträgen (§§ 312c, 312g BGB). Bei dem hier streitigen Kaufvertrag über das Grundstück besteht kein Widerrufsrecht.

5. Als Anfechtungsgrund kommt vorliegend eine arglistige Täuschung in Betracht. Kann ein Vertragspartner auch durch das Verschweigen bestimmter Tatsachen arglistig täuschen?

Genau, so ist das!

Eine arglistige Täuschung durch Unterlassen setzt die vorsätzliche Verletzung einer Aufklärungspflicht voraus. Rechtsgrundlage der Pflicht ist § 242 BGB. Voraussetzung für das Bestehen der Aufklärungspflicht ist, dass der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung Aufklärung erwarten durfte (Ellenberger, in: Palandt, 79.A.2020, § 123 Rdnr. 5). Grundsätzlich ist jeder im Rahmen seiner Eigenverantwortung gehalten, sich selbst zu informieren.Eine allgemeine Aufklärungspflicht über Umstände, die für den anderen Teil für den Vertragsschluss von Bedeutung sein könnten, besteht nicht.

6. Kann ein Mord in einem zum Verkauf stehenden Haus ein Umstand sein, den der Verkäufer des Hauses gegenüber dem Käufer aufklären muss, um eine Täuschung auszuschließen?

Ja, in der Tat!

Voraussetzung für das Bestehen einer Aufklärungspflicht ist, dass der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung Aufklärung erwarten durfte. Der Umstand, dass auf einem zum Verkauf stehenden Grundstück ein Mord stattgefunden hat, kann grundsätzlich aufklärungspflichtig sein. Denn es kann sich dabei um einen Umstand handeln, den der Käufer bei seiner Kaufentscheidung oder bei der Bewertung der Kaufsache für maßgeblich erachten darf und entsprechende Aufklärung erwarten darf. Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Sollte Dir der konkrete Maßstab hier nicht geläufig sein, solltest Du versuchen, unter sauberer Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben einen entsprechenden nachvollziehbaren Maßstab zu entwickeln. Methodisch saubere und juristisch kluge Arbeit wird hier mindestens so mit Punkten belohnt wie Wissen.

7. Ist der Doppelmord vor 20 Jahren ein Umstand, über den B hätte aufklären müssen?

Nein!

Voraussetzung für eine Aufklärungspflicht von B ist, dass K nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung erwarten durfte, über das Verbrechen im Haus aufgeklärt zu werden. Der Umstand, dass auf einem zum Verkauf stehenden Grundstück ein Mord stattgefunden hat, kann grundsätzlich aufklärungspflichtig sein. Unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung kann dies aber nicht zeitlich unbegrenzt gelten. Zwischen Mord und Vertragsabschluss sind 20 Jahre vergangen. Bei objektiver Bewertung ist die Bedeutung des Verbrechens angesichts der langen Zeit gering. B musste somit nicht ungefragt über den Doppelmord aufklären. Hier kannst Du dich mit entsprechender Argumentation auch anders entscheiden. Sollte das Verbrechen im Klausursachverhalt weniger lange zurückliegen, liegt eine Aufklärungspflicht nahe.

8. Unabhängig vom Bestehen einer Aufklärungspflicht hat B im vorliegenden Fall jedenfalls nicht arglistig gehandelt.

Genau, so ist das!

Arglistig bedeutet vorsätzlich. B müsste also vom Verbrechen gewusst und mindestens billigend in Kauf genommen haben, dass K vom Doppelmord nichts wusste und bei Kenntnis den Vertrag nicht (so) abgeschlossen hätte. B wusste von dem Verbrechen. Sie nahm jedoch nicht billigend in Kauf, dass K den Vertrag in Kenntnis der Vorgeschichte nicht abgeschlossen hätte. Denn B wohnte selbst lange in dem Haus. Das indiziert, dass sie dem Verbrechen keinerlei Bedeutung für die Wohnnutzung des Grundstücks beimaß. Sie handelte somit nicht arglistig.

9. K kann die Rückabwicklung des Vertrags noch durch Rücktritt erreichen.

Nein, das trifft nicht zu!

Gemäß §§ 437 Nr. 2, 326 Abs. 5 BGB kann der Käufer vom Kaufvertrag zurücktreten, wenn die Sache einen unbehebbaren Sachmangel aufweist. Diese Möglichkeit kann dem Käufer durch einen vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschluss genommen werden. Gemäß § 444 BGB kann sich der Verkäufer auf einen solchen Gewährleistungsausschluss allerdings dann nicht berufen, wenn er einen Mangel arglistig verschwiegen hat. K und B haben den Kaufvertrag unter Ausschluss der Gewährleistung geschlossen. Selbst wenn man die Vorgeschichte des Grundstücks als Sachmangel ansieht, ist ein Rücktritt der K vertraglich ausgeschlossen. Die Regelung des § 444 BGB greift hier nicht, da B den Doppelmord nicht arglistig verschwiegen hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PPAA

Philipp Paasch

10.7.2022, 12:15:03

Die Überlegung, B handelte nicht arglistig, weil sie selbst lange Zeit in dem Haus gewohnt habe, kann so in seiner Absolutheit nicht richtig sein. Nur weil B für sich entscheid, trotz vorangegangenen Verbrechen dort zu wohnen, führt das ja nicht dazu, dass das für die Allgemeinheit so gilt. Auch ist nicht vorausgesetzt, dass ein Haus nach einem Doppelmord generell für einen gewissen Zeitraum unbewohnbar ist. Es geht nur um das Wissen darum.

CEMA

cemawo

10.7.2022, 20:18:43

Es reicht eben nicht nur das bloße Wissen. Es braucht bedingten

Vorsatz

, sowohl hinsichtlich der Täuschung als auch hinsichtlich der Kausalität.

Edward Hopper

Edward Hopper

10.7.2022, 21:34:22

Kann das was Phillip sagt nachvollziehen, aber das wäre wohl Sachverhaltsquätsche, da wie Cemavo sagt man

Vorsatz

braucht, würde im Sachverhalt stehen, dass sie wusste dass bei wissen K nicht zugestimmt hätte. Im echten Leben würde das natürlich kein Richter glauben. Zu glauben ein doppelmord hätte keinen Einfluß auf die Entscheidung des Käufers, naja

PPAA

Philipp Paasch

10.7.2022, 23:54:58

@[cemawo](46626) ich meine, der Mangel besteht in dem Wissen, dass ein Doppelmord verübt wurde. Hätte die Käuferin es nicht gewusst, wäre das Haus für sie nicht mangelbehaftet.

Edward Hopper

Edward Hopper

11.7.2022, 00:24:38

Da musst du aufpassen dass du diverse Sachen nicht durcheinander bringst. Mangel hat nichts mit im Wissen zu tun Mangel richtet sich nach 434. Ob es eine Aufklärungspflicht gibt richtet sich nach 242. Das heißt es kann durchaus eine Aufklärungspflicht über einen Umstand geben der keinen Mangel ist. Hier im konkreten Fall fällt das zusammen also es liegt ein Mangel vor und es müsste aufgeklärt werden (a. A. BGH).

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.7.2022, 12:06:12

Hallo zusammen, in der Juristerei ist selten einmal etwas schwarz oder weiß. Insoweit ist Philipp durchaus zuzustimmen, dass allein der Umstand, dass B hier in dem Haus gewohnt hat, nicht zwingend dazu führt, dass die Arglist zu verneinen ist. Das LG Coburg hatte B informatorisch angehört und aufgrund dieser Anhörung sowie dem Umstand, dass B selbst in der Wohnung gewohnt hatte, geschlossen, dass ihr tatsächlich nicht klar war, dass es für andere die Kaufentscheidung beeinflussen könne, wenn sie von den Morden erfahren. Als Hilfsbegründung hat es sich zudem auf die Beweislastverteilung berufen. Die Arglist gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, sodass K hierfür darlegungs- und beweisbelastet wäre. Ks Aufgabe wäre es also gewesen, die Arglist der B zu beweisen. Dies hatte sie im Ausgangsfall nicht geschafft. Schaut euch hierzu gerne die verlinkte Entscheidung auch einmal im Original an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LO

Lorenz

14.9.2023, 15:09:28

Ich glaube Philipp meint, dass der "Mangel" im Wissen über den Mord liegt. Es geht um das ungute Gefühl und ggf. Aberglaube. Objektiv ist das Haus einwandfrei, Blutflecken gibt es ja auch nicht mehr.

Edward Hopper

Edward Hopper

10.7.2022, 21:36:09

Da steht Rücktritt scheitert am Ausschluß der Gewährleistung, selbst wenn es ein Mangel wäre. Aber der Rücktritt scheidet doch auch wegen der Überheblichkeit aus oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.7.2022, 12:35:24

Hallo Nackenfalte, könntest Du mir hier etwas auf die Sprünge helfen? Was genau meinst Du mit der "Überheblichkeit"? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper

Edward Hopper

12.7.2022, 19:21:30

Sorry meinte "unbeachtlichkeit"

JEN

jenny24

11.3.2023, 20:06:03

mE sollte man Anfechtung und Gewährleistungsrechte nicht so unkommentiert nebeneinander und in dieser Reihenfolge prüfen. Grundsätzlich sind die GWLR vorrangig zu prüfen wg des Vorrangs der Nacherfüllung so zumindest hM. hier kann man wegen der

Unmöglichkeit

der Nacherfüllung und der deswegen entfallenden Fristvoraussetzung ggf. anders entscheiden. Letztlich kommt es hier nicht darauf an. Jedoch ist die Anfechtung nur dann nebeneinander anwendbar wenn Arglist vorliegt wg des dann nicht schützenswerten Verkäufers. Also hätte man den Doppelmord eigentlich zunächst als Mangel diskutieren müssen, oder?

CR7

CR7

10.7.2023, 08:21:07

@[jenny24](201955) sehe ich auch so.

JUDI

judith

3.8.2024, 10:52:37

Könnte K mglw. wegen der

Störung der Geschäftsgrundlage

gemäß § 313 III vom Vertrag zurücktreten?

LELEE

Leo Lee

4.8.2024, 15:00:09

Hallo judith, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Entscheidung selbst wurde 313 nicht angesprochen, da es hierauf nicht ankam (die Leistungskondiktion reichte insofern aus). Allerdings wäre 313 auch eine Möglichkeit, wodurch man eine Anpassung fordern könnte (etwa Herabsetzung des Preises oder schlimmstenfalls Rücktritt). Da es jedoch „einfacher“ ist, anzufechten und 812 zu erwirken, wird 313 in diesem Fall (in der Praxis zumindest) nicht sehr relevant sein. In der Klausur sollte 313 gleichwohl schon geprüft werden :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

SCH

Schrobl

4.10.2024, 23:34:25

Es wird durchaus auch vertreten, dass bei der Anfechtung nicht die allg. Leistungskondiktion, sondern § 812 I S. 2 Alt. 1 BGB einschlägig ist. Mit der allgemeinen LK "outet" man sich als Vertreter der Ansicht, dass die Anfechtung ein Wirksamkeitshindernis ist, während eine a.A. sie als Erlöschensgrund (eines Anspruchs) sieht und daher den späteren Wegfall des Rechtsgrundes prüft.

LELEE

Leo Lee

6.10.2024, 12:06:36

Hallo Schrobl, vielen Dank für den sehr wichtigen Hinweis! In der Tat hast du völlig Recht, dass diese Frage nicht "einhellig" beantwortet wird und sich auch zahlreiche Vertreter für ein nachträgliches Wegfallen des Rechtsgrundes (also dann die Anfechtung als Erlöschensgrund) finden. Wir haben uns jedoch für den "gängigeren" Weg entscheiden, der auch an Unis und in Reps gelehrt wird und insofern "üblich" ist und bitten insoweit um Verständnis. I.Ü. ist es zwar völlig richtig, dass man sich insofern "outet". Aber das sollte etwa nicht zum Punktabzug führen! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Schwab § 812 Rn. 446 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

KI

kithorx

31.10.2024, 14:47:40

Da kommt bei mir die Frage auf, wann man auf diese beiden unterschiedlichen Herangehensweisen überhaupt eingehen sollte. Ein SV wird einen da kaum drauf "hinweisen". Ist die Wahl des einen oder des anderen überhaupt irgendwann relevant?

SCH

Schrobl

31.10.2024, 15:18:40

Darauf eingehen solltest du m. E. gar nicht. Wichtig ist nur, dass wenn du eine Anfechtung im Abschnitt Anspruch entstanden prüfst, du sie offenbar als Wirksamkeitshindernis siehst. Dann ist die

condictio indebiti

die richtige. Wenn du die Anfechtung hingegen (wie nach meiner Wahrnehmung deutlich gängiger als Leo vermuten lässt) als Erlöschensgrund siehst (Arg.: bedarf Erklärung sowie Wortlaut "als nichtig anzusehen", § 142 statt "ist nichtig), also bei Anspruch erloschen prüfst, dann musst du konsequent auch die

condictio ob causam finitam

prüfen.


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