Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2020
Verkäuferin eines Hauses muss nicht auf Doppelmord hinweisen
Verkäuferin eines Hauses muss nicht auf Doppelmord hinweisen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
B verkauft K ein Wohnanwesen unter Gewährleistungsausschluss. Kurz danach erfährt K, dass 20 Jahre zuvor im Haus ein Doppelmord stattfand. In Kenntnis dieses Umstands hätte K das Anwesen nicht erworben. B hat selbst lange dort gelebt und wusste vom Mord. K erklärt die Anfechtung.
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Einordnung des Falls
Verkäuferin eines Hauses muss nicht auf Doppelmord hinweisen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K könnte gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des Grundstücks haben.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Anspruch von K gegen B aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB setzt zunächst voraus, dass B etwas durch Leistung von K erlangt hat. Ist das hier der Fall?
Genau, so ist das!
3. Fraglich ist, ob die Leistung der K ohne Rechtsgrund erfolgt ist. Ist dies der Fall, wenn K den Kaufvertrag wirksam angefochten hat?
Ja, in der Tat!
4. Ein Vertrag kann ohne Grund innerhalb von 2 Wochen nach Abschluss angefochten werden.
Nein!
5. Als Anfechtungsgrund kommt vorliegend eine arglistige Täuschung in Betracht. Kann ein Vertragspartner auch durch das Verschweigen bestimmter Tatsachen arglistig täuschen?
Genau, so ist das!
6. Kann ein Mord in einem zum Verkauf stehenden Haus ein Umstand sein, den der Verkäufer des Hauses gegenüber dem Käufer aufklären muss, um eine Täuschung auszuschließen?
Ja, in der Tat!
7. Ist der Doppelmord vor 20 Jahren ein Umstand, über den B hätte aufklären müssen?
Nein!
8. Unabhängig vom Bestehen einer Aufklärungspflicht hat B im vorliegenden Fall jedenfalls nicht arglistig gehandelt.
Genau, so ist das!
9. K kann die Rückabwicklung des Vertrags noch durch Rücktritt erreichen.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philipp Paasch
10.7.2022, 12:15:03
Die Überlegung, B handelte nicht arglistig, weil sie selbst lange Zeit in dem Haus gewohnt habe, kann so in seiner Absolutheit nicht richtig sein. Nur weil B für sich entscheid, trotz vorangegangenen Verbrechen dort zu wohnen, führt das ja nicht dazu, dass das für die Allgemeinheit so gilt. Auch ist nicht vorausgesetzt, dass ein Haus nach einem Doppelmord generell für einen gewissen Zeitraum unbewohnbar ist. Es geht nur um das Wissen darum.
cemawo
10.7.2022, 20:18:43
Es reicht eben nicht nur das bloße Wissen. Es braucht bedingten Vorsatz, sowohl hinsichtlich der Täuschung als auch hinsichtlich der Kausalität.
Edward Hopper
10.7.2022, 21:34:22
Kann das was Phillip sagt nachvollziehen, aber das wäre wohl Sachverhaltsquätsche, da wie Cemavo sagt man Vorsatz braucht, würde im Sachverhalt stehen, dass sie wusste dass bei wissen K nicht zugestimmt hätte. Im echten Leben würde das natürlich kein Richter glauben. Zu glauben ein doppelmord hätte keinen Einfluß auf die Entscheidung des Käufers, naja
Philipp Paasch
10.7.2022, 23:54:58
@[cemawo](46626) ich meine, der Mangel besteht in dem Wissen, dass ein Doppelmord verübt wurde. Hätte die Käuferin es nicht gewusst, wäre das Haus für sie nicht mangelbehaftet.
Edward Hopper
11.7.2022, 00:24:38
Da musst du aufpassen dass du diverse Sachen nicht durcheinander bringst. Mangel hat nichts mit im Wissen zu tun Mangel richtet sich nach 434. Ob es eine Aufklärungspflicht gibt richtet sich nach 242. Das heißt es kann durchaus eine Aufklärungspflicht über einen Umstand geben der keinen Mangel ist. Hier im konkreten Fall fällt das zusammen also es liegt ein Mangel vor und es müsste aufgeklärt werden (a. A. BGH).
Lukas_Mengestu
12.7.2022, 12:06:12
Hallo zusammen, in der Juristerei ist selten einmal etwas schwarz oder weiß. Insoweit ist Philipp durchaus zuzustimmen, dass allein der Umstand, dass B hier in dem Haus gewohnt hat, nicht zwingend dazu führt, dass die Arglist zu verneinen ist. Das LG Coburg hatte B informatorisch angehört und aufgrund dieser Anhörung sowie dem Umstand, dass B selbst in der Wohnung gewohnt hatte, geschlossen, dass ihr tatsächlich nicht klar war, dass es für andere die Kaufentscheidung beeinflussen könne, wenn sie von den Morden erfahren. Als Hilfsbegründung hat es sich zudem auf die Beweislastverteilung berufen. Die Arglist gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, sodass K hierfür darlegungs- und beweisbelastet wäre. Ks Aufgabe wäre es also gewesen, die Arglist der B zu beweisen. Dies hatte sie im Ausgangsfall nicht geschafft. Schaut euch hierzu gerne die verlinkte Entscheidung auch einmal im Original an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Lorenz
14.9.2023, 15:09:28
Ich glaube Philipp meint, dass der "Mangel" im Wissen über den Mord liegt. Es geht um das ungute Gefühl und ggf. Aberglaube. Objektiv ist das Haus einwandfrei, Blutflecken gibt es ja auch nicht mehr.
Edward Hopper
10.7.2022, 21:36:09
Da steht Rücktritt scheitert am Ausschluß der Gewährleistung, selbst wenn es ein Mangel wäre. Aber der Rücktritt scheidet doch auch wegen der Überheblichkeit aus oder?
Lukas_Mengestu
12.7.2022, 12:35:24
Hallo Nackenfalte, könntest Du mir hier etwas auf die Sprünge helfen? Was genau meinst Du mit der "Überheblichkeit"? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Edward Hopper
12.7.2022, 19:21:30
Sorry meinte "unbeachtlichkeit"
jenny24
11.3.2023, 20:06:03
mE sollte man Anfechtung und Gewährleistungsrechte nicht so unkommentiert nebeneinander und in dieser Reihenfolge prüfen. Grundsätzlich sind die GWLR vorrangig zu prüfen wg des Vorrangs der Nacherfüllung so zumindest hM. hier kann man wegen der Unmöglichkeit der Nacherfüllung und der deswegen entfallenden Fristvoraussetzung ggf. anders entscheiden. Letztlich kommt es hier nicht darauf an. Jedoch ist die Anfechtung nur dann nebeneinander anwendbar wenn Arglist vorliegt wg des dann nicht schützenswerten Verkäufers. Also hätte man den Doppelmord eigentlich zunächst als Mangel diskutieren müssen, oder?
CR7
10.7.2023, 08:21:07
@[jenny24](201955) sehe ich auch so.
judith
3.8.2024, 10:52:37
Leo Lee
4.8.2024, 15:00:09
Hallo judith, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Entscheidung selbst wurde 313 nicht angesprochen, da es hierauf nicht ankam (die Leistungskondiktion reichte insofern aus). Allerdings wäre 313 auch eine Möglichkeit, wodurch man eine Anpassung fordern könnte (etwa Herabsetzung des Preises oder schlimmstenfalls Rücktritt). Da es jedoch „einfacher“ ist, anzufechten und 812 zu erwirken, wird 313 in diesem Fall (in der Praxis zumindest) nicht sehr relevant sein. In der Klausur sollte 313 gleichwohl schon geprüft werden :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Schrobl
4.10.2024, 23:34:25
Es wird durchaus auch vertreten, dass bei der Anfechtung nicht die allg. Leistungskondiktion, sondern § 812 I S. 2 Alt. 1 BGB einschlägig ist. Mit der allgemeinen LK "outet" man sich als Vertreter der Ansicht, dass die Anfechtung ein Wirksamkeitshindernis ist, während eine a.A. sie als Erlöschensgrund (eines Anspruchs) sieht und daher den späteren Wegfall des Rechtsgrundes prüft.
Leo Lee
6.10.2024, 12:06:36
Hallo Schrobl, vielen Dank für den sehr wichtigen Hinweis! In der Tat hast du völlig Recht, dass diese Frage nicht "einhellig" beantwortet wird und sich auch zahlreiche Vertreter für ein nachträgliches Wegfallen des Rechtsgrundes (also dann die Anfechtung als Erlöschensgrund) finden. Wir haben uns jedoch für den "gängigeren" Weg entscheiden, der auch an Unis und in Reps gelehrt wird und insofern "üblich" ist und bitten insoweit um Verständnis. I.Ü. ist es zwar völlig richtig, dass man sich insofern "outet". Aber das sollte etwa nicht zum Punktabzug führen! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Schwab § 812 Rn. 446 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo