+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Am Gründonnerstag bittet O seinen Freund T eindringlich, ihn am Ostermontag mit einem Pistolenschuss ins Herz zu töten. Karfreitag teilt O dem T mit, er nehme diesen Wunsch zurück. Dennoch erschießt T ihn am Ostermontag.

Einordnung des Falls

Zurücknahme des Tötungsverlangens

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Straftatbestand der Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass der Täter durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden ist.

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Genau, so ist das!

Der Tatbestand des § 216 Abs. 1 StGB setzt voraus: (1) Objektiv muss (a) ein anderer Menschen getötet worden sein, (b) der Getötete muss ausdrücklich und ernstlich die Tötung verlangt haben und zudem muss (c) der Getötete den Täter zur Tötung bestimmt haben. (2) Subjektiv ist Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich. Der Vorsatz muss somit auch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen umfassen.

2. O hat seine Tötung am Gründonnerstag "ausdrücklich und ernstlich verlangt" (§ 216 Abs. 1 StGB).

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Ja, in der Tat!

Ein ausdrückliches und ernstliches Verlangen setzt mehr als ein bloßes Einverständnis voraus, denn der Getötete muss auf den Willen des Täters nachdrücklich eingewirkt haben. Ausdrücklich meint hierbei eine eindeutige und unmissverständliche Ausdrucksweise des Verlangens. Ernstlich ist ein Verlangen, wenn es auf freier und fehlerfreier Willensbildung beruht; es muss also frei von Täuschung, Zwang, Irrtum oder anderen wesentlichen Willensmängeln sein. O hat hier am Gründonnerstag seine Tötung ausdrücklich und ernsthaft gegenüber T verlangt.

3. Indem O dem T am Karfreitag mitgeteilt hat, er nehme seinen Wunsch zurück, hat er das Tötungsverlangen zurückgenommen.

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Ja!

Das Tötungsverlangen muss noch im Zeitpunkt der Tathandlung fortbestehen. Es ist jederzeit zurücknehmbar. Hier zeigen sich Parallelen zur rechtfertigenden Einwilligung. Auch diese kann bis zur Tatbegehung grundsätzlich jederzeit frei widerrufen werden. Am Tattag (Ostermontag) lag kein ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen des O vor. Da T von der Rücknahme des Verlangens wusste, greift § 16 Abs. 2 StGB nicht ein. T hat sich somit wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

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Tigerwitsch

Tigerwitsch

15.2.2021, 23:10:05

Zu 16 II ganz grundsätzlich: Nimmt man dann „nur“ die Rechtsfolge des 216 StGB an - oder ist gar der gesamte TB des 216 StGB erfüllt (auch wenn kein ernstliches und ausdrückliches Verlangen des Opfers besteht, sondern der Täter das nur irrig annimmt)? Also wie baut man das in der Prüfung auf...(im Verhältnis etwa von 212 StGB)

HEVE

Henry Vetter

15.4.2021, 11:55:13

Ich würde hier unter dem Merkmal „ernsthaftes und ausdrückliches Verlangen“ den 16 II StGB prüfen, damit ich nicht schon aus dem objektiven Tatbestand rausfliege. Ist aber wirklich nicht einfach, da hier objektive und subjektive Aspekte vermischt werden...


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