Scherzhafte Äußerung und § 16 Abs. 2 StGB

25. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

O ist ein lebensfroher Mensch und bittet die T aus Spaß, ihn doch bei nächster Gelegenheit umzubringen. T versteht das Tötungsverlangen als ernst gemeint und tötet den O.

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Einordnung des Falls

Scherzhafte Äußerung und § 16 Abs. 2 StGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Straftatbestand der Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass der Täter durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden ist.

Genau, so ist das!

Der Tatbestand des § 216 Abs. 1 StGB setzt voraus: (1) Objektiv muss (a) ein anderer Menschen getötet worden sein, (b) der Getötete muss ausdrücklich und ernstlich die Tötung verlangt haben und zudem muss (c) der Getötete den Täter zur Tötung bestimmt haben. (2) Subjektiv ist Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich. Der Vorsatz muss somit auch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen umfassen.
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2. O hat seine Tötung "ausdrücklich und ernstlich verlangt" (§ 216 Abs. 1 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Ein ausdrückliches und ernstliches Verlangen setzt mehr als ein bloßes Einverständnis voraus, denn der Getötete muss auf den Willen des Täters nachdrücklich eingewirkt haben. Ausdrücklich meint hierbei eine eindeutige und unmissverständliche Ausdrucksweise des Verlangens. Ernstlich ist ein Verlangen, wenn es auf freier und fehlerfreier Willensbildung beruht; es muss also frei von Täuschung, Zwang, Irrtum oder anderen wesentlichen Willensmängeln sein. Hier hat O seinen Wunsch nach der Tötung der T aus Spaß mitgeteilt. Ein solches Tötungsverlangen kann die hohen Voraussetzungen an die Ernsthaftigkeit nicht erfüllen.

3. T hat sich wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

Nein!

Grundsätzlich liegen die Voraussetzungen des § 212 Abs. 1 StGB vor. Jedoch nimmt die T das Verlangen ernst, geht also irrig vom Vorliegen eines Verlangens aus. Der Täter ist nach § 16 Abs. 2 StGB so zu behandeln, als ob tatsächlich das privilegierende Merkmal eines Tötungsverlangens vorliegen würde. Trotz dessen, dass objektiv also kein ernstliches Tötungsverlangen vorliegt, kann T nur aus § 216 Abs. 1 StGB bestraft werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

🦊²

🦊²

29.10.2021, 10:20:44

Hey, und wie stellt man dies im Gutachten dar? Strafbarkeit des T I. Strafbarkeit gem. § 216 StGB 1. OTB (-) -> kein ernstliches verlangen II. Strafbarkeit gem. § 212 StGB 1. Tatbestand a) OTB (+) b) STB (+) -> T wusste und wollte das Opfer töten. Aber § 16 II StGB, welcher zwar nicht den

Vorsatz

ausschließt, sich dann in der Rechtsfolge auswirkt? II. Rechtswidrigkeit (+) III. Schuld (+) IV. Strafe: § 212 StGB verwirklicht, Bestrafung folgt aber nur aus § 216 StGB,s.o Macht man das so?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.11.2021, 19:06:19

Hallo Fuchs², da die rechtliche Einordnung des § 216 StGB umstritten ist (Rspr: selbstständiger Tatbestand; hL: unselbstständige Privilegierung), gibt es auch hier nicht die eine richtige Lösung. So könnte man beide Tatbestände auch zusammenprüfen (vgl. hierzu, Putzke, Probleme mit dem Erben, JURA 2017, 344) oder wie Du, nacheinander. Da man im Ergebnis, aber eine vollendete Strafbarkeit nach §§ 216 Abs. 1, 16 Abs.2 StGB erzielt, würde ich bei getrennter Prüfung zunächst mit § 212 Abs. 1 StGB anfangen, die Strafbarkeit hier unter Verweis auf § 16 Abs. 2 StGB verneinen und sodann § 216 Abs. 1 StGB prüfen. Denn insoweit wird vertreten, dass über § 16 Abs. 2 StGB auch das Vorliegen des Tatbestandes der Privilegierung fingiert wird (so zB Rengier, Strafrecht BT II, § 6 RdNr. 10; SchSch/Eser/Sternberg-Lieben, § 216 RdNrd. 14), sodass Du hier dann einfach durchprüfen kannst (wobei dann in der Kette der Strafnormen § 16 Abs. 2 StGB direkt genannt werden muss). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Helena

Helena

23.2.2022, 10:35:55

Also ist es so, dass für eine Strafminderung wegen Irrtum nach §16 II es nicht darauf ankommt, Ob der Irrtum vermeidbar war? Weil insbesondere im vorliegenden Fall scheint das Vertrauen des T auf die Ernsthaftigkeit des O sehr unbegründet.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.2.2022, 15:44:25

Hallo Helena, ist die Vermeidbarkeit des Irrtums nicht zu prüfen. Zugegeben, das Beispiel ist bewusst zugespitzt formuliert. In der Praxis müsste natürlich im Rahmen der Beweisaufnahme im Einzelnen geklärt werden, was der Täter sich vorgestellt hat. Dabei wird in der Regel an objektive Umstände angeknüpft. Ergibt sich aus diesen aber tatsächlich, dass der Täter davon ausging, der andere wolle getötet werden, so kommt es nicht auf die Vermeidbarkeit an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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