Abgabe empfangsbedürftiger WE unter Abwesenden – Freundin mit Absendung beauftragt


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Klassisches Klausurproblem

M will bei seiner Freundin F einziehen. Um das Mietverhältnis über sein Apartment zu beenden, schreibt er eine an seinen Vermieter V gerichtete Kündigung. Er bittet die F, die Kündigung in den nächsten Postbriefkasten zu werfen.

Einordnung des Falls

Abgabe empfangsbedürftiger WE unter Abwesenden – Freundin mit Absendung beauftragt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kündigung an V ist wirksam geworden, als M sie der F übergeben hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach dem Abschluss des Erklärungsvorgangs (Phase 1) ist die Abgabe (Phase 2) erfüllt, wenn der Erklärende die Erklärung willentlich in Richtung auf den Empfänger in Bewegung setzt, sodass er bei Zugrundelegung normaler Verhältnisse mit dem Zugang beim Empfänger rechnen darf. Dazu genügt, dass er die Erklärung einem (Erklärungs-)Boten aushändigt und diesen beauftragt, die adressierte Erklärung in den Postbriefkasten zu werfen. Zum Erreichen der Wirksamkeit bei empfangsbedürftigen Willenserklärung muss darüber hinaus der Zugang der WE erfolgen (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB).Indem M die an V gerichtete Kündigung an F ausgehändigt und F damit beauftragt hat, den Brief in den Postbriefkasten einzuwerfen, hat er die Willenserklärung abgegeben. Mangels Zugang ist sie aber noch nicht wirksam geworden.

2. Die Kündigung an V ist wirksam geworden, als M sie vollständig verfasst und unterzeichnet hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Beim Wirksamwerden einer Willenserklärung (WE) kann man vier Phasen unterscheiden: (1) Abschluss des Erklärungsvorgangs, (2) Abgabe, (3) Zugang und (4) tatsächliche Kenntnisnahme. Gesetzlich geregelt ist allein der Zugang (teilweise, §§ 130-132 BGB). Phase 1 (Abschluss des Erklärungsvorgangs) ist erfolgt, wenn der Erklärende den objektiven und subjektiven Tatbestand der WE erfüllt und seinen endgültigen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck bringt. Nicht empfangsbedürftige WE (z.B. Testament) sind mit Abschluss dieses Erklärungsvorgangs bereits wirksam. Anders bei empfangsbedürftigen WE (wie der Kündigung): Sie sind bis zur Abgabe nichtig. Der Abschluss des Erklärungsvorgangs ist reine Vorbereitungshandlung.Durch das vollständige Verfassen und Unterzeichnen ist erst die Phase 1 (Abschluss des Erklärungsvorgangs) beim Wirksamwerden einer Willenserklärung erfüllt. Die Kündigung, als empfangsbedürftige W ist folglich noch nicht wirksam geworden.

3. Die Kündigung an V wird wirksam, wenn F sie in den öffentlichen Briefkasten einwirft.

Nein!

Bei verkörperten (schriftlichen) Willenserklärungen liegt nach Abschluss des Erklärungsvorgangs (Phase 1) und Abgabe (Phase 2) der Zugang (Phase 3) vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Zum „Bereich des Empfängers“ zählen etwa sein Briefkasten, sein Postfach und sein E-Mail-Account.Briefe sind zugegangen, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der Leerung des Briefkastens zu rechnen ist. Die tatsächliche Kenntnisnahme der Kündigung durch V (Phase 4) ist für die Wirksamkeit der Kündigung irrelevant. Zugang genügt. Den Brief in einen öffentlichen Briefkasten zu werfen reicht für den Zugang jedoch nicht aus, da der Brief sich dann noch nicht im Machtbereich des Empfängers befindet. Die Kündigung ist noch nicht wirksam.

4. Die Kündigung an V wird wirksam, wenn der Postbote sie in den persönlichen Briefkasten des V einwirft und nach der Verkehrsanschauung mit der Leerung des Briefkastens zu rechnen ist.

Genau, so ist das!

Bei verkörperten (schriftlichen) WE liegt nach Abschluss des Erklärungsvorgangs (Phase 1) und Abgabe (Phase 2) der Zugang (Phase 3) vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Zu diesem „Bereich des Empfängers“ zählen etwa sein Briefkasten, sein Postfach und sein E-Mail-Account.Briefe sind zugegangen, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der Leerung des Briefkastens zu rechnen ist. Die tatsächliche Kenntnisnahme der Kündigung durch V (Phase 4) ist für die Wirksamkeit der Kündigung irrelevant. Zugang genügt.

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FABY

Faby

1.4.2022, 11:52:16

Kann man das konkreter sagen, also wann (noch) mit der Leerung des Briefkastens zu rechnen ist? :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.4.2022, 14:06:34

Hallo Faby, pauschal ist dies nicht möglich, sondern unterliegt letztlich immer dem Einzelfall. Maßgeblich ist dabei auch, zu welchen Zeiten die Post üblicherweise zugestellt wird (erfolgt dies regelmäßig um 11 Uhr, so muss man uU nicht damit rechnen, dass ein Brief noch um 16 Uhr zugeht). Für die Klausurpraxis ist eine Zustellung bis 18 Uhr als grober Richtwert praktikabel, um von einem Zugang am selben Tag auszugehen. Entscheidend sind letztlich aber stets die Angaben bezüglich des konkreten Einzelfalls. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper

Edward Hopper

15.11.2022, 22:59:15

Heißt wenn man einen Brief um 23 Uhr morgens in den Briefkasten reinschmeist dann noch kein Zugang und erst am nächsten Tag Zugang?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.11.2022, 14:39:14

Hallo Edward, genau so ist es :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JCF

JCF

25.6.2024, 20:30:16

In dem Satz "Die Kündigung, als empfangsbedürftige W ist folglich noch nicht wirksam geworden" sollte das Komma entfernt werden. In dem Satz "Den Brief in einen öffentlichen Briefkasten zu werfen reicht für den Zugang jedoch nicht aus, da der Brief sich dann noch nicht im Machtbereich des Empfängers befindet" fehlt ein Komma nach "werfen". 😉


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