Geltung kraft Gesetzes als Willenserklärung, normiertes Schweigen (§ 516 Abs. 2 S. 2 BGB)


leicht

Diesen Fall lösen 88,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S hat Schulden bei Mafiaboss M. Um S aus dieser misslichen Lage zu befreien, bezahlt Freund F dessen Schulden bei M, ohne dass der stolze S hiervon weiß. Als S sich nicht bedankt, fordert F ihn auf, ihm bis nächste Woche zu sagen, ob er die Zahlung an M als Geschenk annehme. S schweigt.

Einordnung des Falls

Geltung kraft Gesetzes als Willenserklärung, normiertes Schweigen (§ 516 Abs. 2 S. 2 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Schuld des S ist durch die Zahlung des F erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird (§ 362 Abs. 1 BGB). Wenn der Schuldner nicht in Person zu leisten hat, so kann auch ein Dritter die Leistung bewirken (§ 267 S. 1 BGB). Somit ist die Schuld des S durch Zahlung von F an M erloschen.

2. Die Tilgung der Schulden des S durch F stellt eine Zuwendung dar, durch die das Vermögen des S bereichert wird (Schenkung, § 516 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

§ 516 Abs. 1 BGB setzt eine Zuwendung aus dem Vermögen des Schenkers voraus, durch die der Beschenkte bereichert wird. Eine Zuwendung ist die Hingabe eines Vermögensbestandteils seitens des Schenkers zugunsten einer anderen Person. Der andere ist bereichert, wenn eine wirtschaftliche Vermögensmehrung festzustellen ist. Diese kann nicht nur in einer Vermehrung der Aktiva, sondern auch in einer Verminderung der Passiva („Schulden“) zu sehen sein. Indem F die Schulden des S tilgte, hat er ihn bereichert. Es liegt damit eine vollzogene Schenkung vor.

3. In der Zahlung an M liegt ein konkludentes Angebot des F an S, gerichtet auf Abschluss eines Schenkungsvertrages.

Ja!

Ein Angebot (§ 145 BGB) ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf den Abschluss eines Vertrages gerichtet ist. Es kann ausdrücklich erklärt werden oder durch schlüssiges Verhalten (konkludent) erfolgen. Das gilt jedenfalls für solche konkludenten Handlungen, in denen der Antragswille aus der Sicht des Angetragenen „aktiv“ zum Ausdruck kommt. Aus Sicht eines objektiven Betrachters, in Anbetracht der Verkehrsanschauung (§§ 133, 157 BGB analog), kann sich die Zahlung fremder Schulden ohne weitere Anhaltspunkte nur als konkludentes Angebot gerichtet auf Abschluss eines Schenkungsvertrages darstellen.

4. Eine Schenkung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, sodass es für eine rechtswirksame Schenkung nicht auf den Willen des S ankam.

Nein, das ist nicht der Fall!

Niemand soll sich gegen seinen Willen etwas schenken lassen müssen. Deshalb ist die Schenkung ein Vertrag (= zweiseitiges Rechtsgeschäft) und nicht etwa ein einseitiges Rechtsgeschäft, obwohl die Schenkung nur den Schenker, nicht aber den Beschenkten zu einer Leistung verpflichtet. § 516 Abs. 1 BGB verlangt, dass "beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt". Ein Vertrag kommt durch mindestens zwei inhaltlich übereinstimmende, mit Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen zustande (Angebot und Annahme, §§ 145ff.).S muss also ein Schenkungsangebot des F angenommen haben.

5. Das konkludente Vertragsangebot des F ist S zugegangen.

Ja, in der Tat!

Eine konkludente Willenserklärung ist eine nicht verkörperte Willenserklärung. Eine nicht verkörperte (mündliche oder konkludente) WE geht zu, wenn (1) der Empfänger sie wahrgenommen hat oder (2) wenn der Erklärende nach den erkennbaren Umständen keinen Zweifel daran haben konnte, dass der Empfänger sie wahrgenommen hat (hM, sog. eingeschränkte Vernehmungstheorie). Dass F seine Schulden beglich, konnte S nicht unmittelbar wahrnehmen. Spätestens als sich F über seine Undankbarkeit beschwerte, ist ihm das Schenkungsangebot jedoch zugegangen.

6. § 516 Abs. 2 S. 2 BGB enthält eine Ausnahme vom Grundsatz, dass Schweigen kein Erklärungswert beizumessen ist.

Ja!

Grundsätzlich ist Schweigen rechtlich keine Bedeutung beizumessen. § 516 Abs. 2 S. 2 BGB normiert jedoch eine Ausnahme von diesem Grundsatz für den Fall, dass (1) eine Zuwendung vor der Schenkungsabrede erfolgt, (2) dem Begünstigten eine Frist zur Erklärung der Annahme gesetzt wird und (3) er sich innerhalb der Frist nicht erklärt. Sein Schweigen gilt dann ausnahmsweise als Annahme des Angebots (sog. normiertes Schweigen). Die Regelung gibt dem Schenker ein Mittel zur Beseitigung des Schwebezustands an die Hand, der sich daraus ergibt, dass er ansonsten unbefristet an sein Angebot gebunden wäre (Rückschluss aus § 516 Abs. 2 S. 2 BGB).

7. Das Schweigen des S auf die Nachfrage des F gilt als Annahme des Schenkungsangebots (§ 516 Abs. 2 S. 2 BGB).

Genau, so ist das!

F hat S eine Zuwendung gemacht und ihm eine Frist zur Erklärung der Annahme gesetzt. S hat daraufhin geschwiegen. Die Voraussetzungen von § 516 Abs. 2 S. 2 BGB liegen damit vor, sodass das Schweigen des F als Annahme des Schenkungsangebots gilt. Zwischen F und S besteht daher ein wirksamer Schenkungsvertrag (§ 516 BGB).

Jurafuchs kostenlos testen

© Jurafuchs 2024