Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Angebot und Annahme

Geltung kraft Gesetzes als Willenserklärung, normiertes Schweigen (§ 516 Abs. 2 S. 2 BGB)

Geltung kraft Gesetzes als Willenserklärung, normiertes Schweigen (§ 516 Abs. 2 S. 2 BGB)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S hat Schulden bei Mafiaboss M. Um S aus dieser misslichen Lage zu befreien, bezahlt Freund F dessen Schulden bei M, ohne dass der stolze S hiervon weiß. Als S sich nicht bedankt, fordert F ihn auf, ihm bis nächste Woche zu sagen, ob er die Zahlung an M als Geschenk annehme. S schweigt.

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Einordnung des Falls

Geltung kraft Gesetzes als Willenserklärung, normiertes Schweigen (§ 516 Abs. 2 S. 2 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Schuld des S ist durch die Zahlung des F erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird (§ 362 Abs. 1 BGB). Wenn der Schuldner nicht in Person zu leisten hat, so kann auch ein Dritter die Leistung bewirken (§ 267 S. 1 BGB). Somit ist die Schuld des S durch Zahlung von F an M erloschen.
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2. Die Tilgung der Schulden des S durch F stellt eine Zuwendung dar, durch die das Vermögen des S bereichert wird (Schenkung, § 516 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

§ 516 Abs. 1 BGB setzt eine Zuwendung aus dem Vermögen des Schenkers voraus, durch die der Beschenkte bereichert wird. Eine Zuwendung ist die Hingabe eines Vermögensbestandteils seitens des Schenkers zugunsten einer anderen Person. Der andere ist bereichert, wenn eine wirtschaftliche Vermögensmehrung festzustellen ist. Diese kann nicht nur in einer Vermehrung der Aktiva, sondern auch in einer Verminderung der Passiva („Schulden“) zu sehen sein. Indem F die Schulden des S tilgte, hat er ihn bereichert. Es liegt damit eine vollzogene Schenkung vor.

3. In der Zahlung an M liegt ein konkludentes Angebot des F an S, gerichtet auf Abschluss eines Schenkungsvertrages.

Ja!

Ein Angebot (§ 145 BGB) ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf den Abschluss eines Vertrages gerichtet ist. Es kann ausdrücklich erklärt werden oder durch schlüssiges Verhalten (konkludent) erfolgen. Das gilt jedenfalls für solche konkludenten Handlungen, in denen der Antragswille aus der Sicht des Angetragenen „aktiv“ zum Ausdruck kommt. Aus Sicht eines objektiven Betrachters, in Anbetracht der Verkehrsanschauung (§§ 133, 157 BGB analog), kann sich die Zahlung fremder Schulden ohne weitere Anhaltspunkte nur als konkludentes Angebot gerichtet auf Abschluss eines Schenkungsvertrages darstellen.

4. Eine Schenkung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, sodass es für eine rechtswirksame Schenkung nicht auf den Willen des S ankam.

Nein, das ist nicht der Fall!

Niemand soll sich gegen seinen Willen etwas schenken lassen müssen. Deshalb ist die Schenkung ein Vertrag (= zweiseitiges Rechtsgeschäft) und nicht etwa ein einseitiges Rechtsgeschäft, obwohl die Schenkung nur den Schenker, nicht aber den Beschenkten zu einer Leistung verpflichtet. § 516 Abs. 1 BGB verlangt, dass "beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt". Ein Vertrag kommt durch mindestens zwei inhaltlich übereinstimmende, mit Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen zustande (Angebot und Annahme, §§ 145ff.).S muss also ein Schenkungsangebot des F angenommen haben.

5. Das konkludente Vertragsangebot des F ist S zugegangen.

Ja, in der Tat!

Eine konkludente Willenserklärung ist eine nicht verkörperte Willenserklärung. Eine nicht verkörperte (mündliche oder konkludente) WE geht zu, wenn (1) der Empfänger sie wahrgenommen hat oder (2) wenn der Erklärende nach den erkennbaren Umständen keinen Zweifel daran haben konnte, dass der Empfänger sie wahrgenommen hat (hM, sog. eingeschränkte Vernehmungstheorie). Dass F seine Schulden beglich, konnte S nicht unmittelbar wahrnehmen. Spätestens als sich F über seine Undankbarkeit beschwerte, ist ihm das Schenkungsangebot jedoch zugegangen.

6. § 516 Abs. 2 S. 2 BGB enthält eine Ausnahme vom Grundsatz, dass Schweigen kein Erklärungswert beizumessen ist.

Ja!

Grundsätzlich ist Schweigen rechtlich keine Bedeutung beizumessen. § 516 Abs. 2 S. 2 BGB normiert jedoch eine Ausnahme von diesem Grundsatz für den Fall, dass (1) eine Zuwendung vor der Schenkungsabrede erfolgt, (2) dem Begünstigten eine Frist zur Erklärung der Annahme gesetzt wird und (3) er sich innerhalb der Frist nicht erklärt. Sein Schweigen gilt dann ausnahmsweise als Annahme des Angebots (sog. normiertes Schweigen). Die Regelung gibt dem Schenker ein Mittel zur Beseitigung des Schwebezustands an die Hand, der sich daraus ergibt, dass er ansonsten unbefristet an sein Angebot gebunden wäre (Rückschluss aus § 516 Abs. 2 S. 2 BGB).

7. Das Schweigen des S auf die Nachfrage des F gilt als Annahme des Schenkungsangebots (§ 516 Abs. 2 S. 2 BGB).

Genau, so ist das!

F hat S eine Zuwendung gemacht und ihm eine Frist zur Erklärung der Annahme gesetzt. S hat daraufhin geschwiegen. Die Voraussetzungen von § 516 Abs. 2 S. 2 BGB liegen damit vor, sodass das Schweigen des F als Annahme des Schenkungsangebots gilt. Zwischen F und S besteht daher ein wirksamer Schenkungsvertrag (§ 516 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

XY

Xyzzaxy

5.1.2020, 14:30:26

Ist die Annahme überhaupt notwendig? Schließlich ist die Einwilligung des Schuldners gem. §267 I 2 BGB nicht erforderlich, um eine geschuldete Leistung zu bewirken. Was wären die Folgen, wenn S die Schenkung ablehnt? Würde dann M F das Geld schulden?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

23.5.2020, 08:58:06

Ja, gegenüber M bleibt die Erfüllung wirksam. Gegenüber F fehlt dann die Causa, sodass S die Befreiung einer Verbindlichkeit gegenüber M durch Leistung des F erlangt hat und grds. ein Anspruch des F gegen S aus 812 I 1 Alt. 1 BGB bestehen würde.

Büşra MB

Büşra MB

18.2.2020, 20:18:29

Die Zahlung an M durch F kann doch nicht automatisch als konkludente WE für einen Schenkungsvertrag gegenüber S sein, denkbar wäre beispielsweise auch ein Darlehensvertrag oder eine GoA ?

GEL

gelöscht

1.4.2020, 19:14:39

Die Zahlung ist auch nicht gemeint, sondern die gesonderte Aufforderung des F an S, sich zu erklären, ob die Schenkung in Ordnung sei.

ErdbärIn

ErdbärIn

1.11.2020, 20:58:28

Wobei der F nicht fragt, ob die SCHENKUNG in Ordnung geht, sondern die Zahlung. Insofern könnte man schon auch auf die Idee kommen. Vielleicht macht es F ja auch nur, um M loszuwerden. Quasi: "Besser, du hast Schulden bei mir, als bei einem Maffiaboss".

Martin

Martin

1.7.2021, 21:54:53

Ich sehe das genauso: Dennoch schließt eine GoA die Schenkung nicht aus: F zahlt im Interesse und Willen des S für S und ohne Auftrag. Das ist eine klassische berechtigte GoA, woraus sich ein

Aufwendungsersatzanspruch

gem. § 683 S. 1 ergibt. Diesen Anspruch könnte F an S allerdings geschenkt haben mit einem Erlassvertrag nach § 397 I als Verfügungsgeschäft der Schenkung. Jedoch ist es meiner Ansicht nach abwegig eine Schenkung allein durch den Umstand anzunehmen, dass F sich danach erkundigt, ob es auch im Willen des S war. Denn dann würde ja immer der Freund, der den Kredit des Freundes bezahlt, der vielleicht in Zahlungsverzug ist und dem droht verklagt zu werden, in Gefahr laufen nicht mehr an sein Geld zu kommen, wenn er nochmal nachfragt ob das okay ist. Deshalb finde ich, ist man mit dem lateinischen Rechtssprichwort „donatio non praesumitur“ gut beraten, dass besagt, dass nicht jemand ohne weiteres dem anderen etwas schenkt. Die Umstände sprechen nämlich auch eher dagegen, insbesondere dann wenn es um hohe Drogengelder geht. Fernab müsste F dann noch Schenkungssteuer bezahlen. Anders wäre der Fall würde F sagen: „Ich habe für dich bezahlt, wir sind damit quitt“, weil dann aus den Umständen klar wird, dass F seinen Anspruch gegen S aus § 683 S. 1 endgültig nicht gelten machen will. Schlussendlich scheint es mir so, dass hier der BGH wieder vermeiden wollte, dass Kriminelle sich gegenseitig verklagen. Ein solches Argument ist jedoch nicht nur undogmatisch, sondern hat auch im Zivilrecht nichts zu suchen. Außerdem könnte F dann eventuell anfechten, wollte er nicht schenken. PS: Darlehensvertrag kommt zumindest mangels Annahme nicht in Betracht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.11.2021, 20:45:07

Danke euch für die angeregte Diskussion! In der Tat kommen bei der Erfüllung durch einen Dritten als causa natürlich noch andere Schuldverhältnisse als die Schenkung in Betracht (insb. eben das von euch erwähnte Darlehen bzw. die GoA). Wir haben den Sachverhalt insoweit etwas präzisiert, um hier Unklarheiten zu vermeiden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

S.

s.t.

3.9.2021, 12:39:47

Ich hätte hier 2 Fragen Nr. 1: Wieso ist hier kein

Vertrag zugunsten Dritter

angesprochen ? Nr.2: Ist die Erwartung des F nicht doch als Auflage nach 525 oder vllt auch grober Undank gegeben, sodass F Widerrufen könnte, 530 ff. ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.12.2021, 12:57:34

Hallo s.t., ein

Vertrag zugunsten Dritter

würde voraussetzen, dass zwischen M und F ein schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft geschlossen wurde, durch das sich F gegenüber M verpflichten würde, die entsprechende Leistung zu erbringen. Dass F eine solche Rechtspflicht gegenüber einem Mafiaboss begründen wollte, erscheint indes eher fernliegend. Vielmehr handelt es sich hierbei gegenüber M primär um ein reines Verfügungsgeschäft, durch das S' Schulden getilgt werden sollte. Einen Dank erwartet F nicht, sondern vielmehr will er lediglich Klarheit darüber haben, ob S das aufgedrängte Geschäft annimmt. Über groben Undank kann man angesichts der schwammigen Formulierung des § 530 BGB durchaus nachdenken. Allerdings setzt dieser eine schwere Verfehlung voraus. Zieht man dabei die Fallgruppen der §§ 2333, 2339 BGB zumindest indiziell bei der Frage heran, ob die Verfehlung "schwer" wiegt, so wird deutlich, dass der fehlende Dank in der Regel nicht die Schwelle des "groben Undanks" überschreitet. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SI

sinaaaa

2.1.2023, 16:32:55

Warum wird 133,157 analog angewendet?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.1.2023, 16:55:58

Hallo sinaaaa, nach dem Wortlaut des § 157 BGB ist dieser nur auf die Auslegung eines "Vertrages" anwendbar. Hier geht es allerdings um die Auslegung einer Willenserklärung. Die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen erfolgt nach hM grundsätzlich nach dem objektiven

Empfängerhorizont

, sodass insoweit § 157 BGB analog herangezogen wird. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

L

L

16.11.2023, 23:28:04

Der konkludente Antrag ist doch gar nicht zugegangen. Und das Telefonat war nicht nur konkludent ein Antrag.

LELEE

Leo Lee

18.11.2023, 16:16:41

Hallo L, du hast natürlich völlig recht damit, dass der Antrag zunächst nicht zugegangen ist. Beachte allerdings, dass später (siehe hierzu Frage 5) mit dem Anruf, i.R.d. der S gefragt wird, ob das ok sei, sehr wohl ein Angebot konkludent oder eben ausdrücklich zugegangen ist. D.h., als die Schulden bezahlt wurden, gab es zwar ein Angebot, das jedoch nicht zuging. Beim Telefonat spätestens lag aber ein solches vor, was auch zuging :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

L

L

18.11.2023, 16:30:42

Hallo Leo, dann habe ich es ja richtig verstanden. Allerdings war die Frage in der Aufgabe konkret auf ein konkludentes Angebot gerichtet. Das Telefonat habe ich aber als ausdrückliches Angebot interpretiert und nicht bloß als ein konkludentes, sodass die Frage ja eigentlich verneint werden muss.

HADA

Haniel Dardman

1.2.2024, 03:48:42

Durch das Begleichen der Schulden des S hat F ein konkludentes Angebot zum Abschluss eines Schenkungsvertrags abgegeben. Dieses ist S spätestens dann zugegangen, als F ihn angerufen hat und gefragt hat, ob es ok war, dass er die Schulden beglichen hat. Den Anruf an sich ist nur eine Aufforderung zur Erklärung über die Annahme des Angebots.

ALE

Alexander14

11.2.2024, 19:02:12

Ich finde die Lösung etwas ungenau. Nach dem Wortlaut gilt nicht das Schweigen als Annahme sondern die Schenkung gilt als angenommen. Das ist für mich nicht das gleiche. Denn es muss ja auch erst die Frist ablaufen damit die Schenkung als angenommen gilt.

CL@

cl@ra

31.8.2024, 09:34:18

Warum wäre der Schenker, wenn es den §516 II 2 BGB nicht geben würde, unbefristet an sein Angebot gebunden? Gilt hier nicht auch dann §147 BGB?


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